Straßenschild mit der Beschriftung "Dr. Josef-Gutmann-Straße". Hinter dem Straßenschild liegt eine farbige Fläche, dahinter unscharf leicht verfärbt Strukturen eines Baumes.

Bewusstlos geschlagene Kinder, lädierte Trommelfelle, Tritte von Kopf bis Fuß: Die Gewaltorgien des ehemaligen Amöneburger Priesters und Schulleiters Josef Gutmann sind lange bekannt. Nach jahrelanger Diskussion steht nun fest: Die nach ihm benannte Straße soll weiter so heißen.

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Amöneburg: Straße soll nach Prügellehrer benannt bleiben

hessenschau vom 06.02.2024
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Jeden Morgen stellte sich Bernd Greiten dieselben Fragen: Was hat er heute für eine Laune? Und wenn sie schlecht ist - wie meistens - wen wird es dann wohl erwischen?

Einmal habe Herr Gutmann die halbe Klasse zusammengeschlagen, erzählt der damalige Schüler. Irgendwann habe der Schulleiter sich setzen müssen. "Nicht etwa weil er Bedenken hatte, sondern weil er nicht mehr konnte." Ein massiver, fast zwei Meter großer Mann - fertig vom Prügeln.

Gutmanns Taten sind gut dokumentiert

Kinder blutig schlagen, teilweise krankenhausreif oder bis zur Bewusstlosigkeit - die Taten des ehemaligen Priesters und Leiters der Stiftsschule in Amöneburg (Marburg-Biedenkopf) in den 1950er- und 1960er-Jahren sind inzwischen detailliert dokumentiert. Ehemalige Schüler leiden bis heute unter Hörschäden, weil der Lehrer damals ihre Trommelfelle lädierte.

Mann

Trotzdem heißt in der Kleinstadt weiterhin eine Straße nach dem Peiniger der Kinder von damals. Und nach einer aktuellen Entscheidung der Stadtverordneten soll das auch so bleiben. Aber von Anfang an.

Priester baute Schule nach Krieg wieder auf

Josef Gutmann (1913-1997) kam 1949 als junger Dechant nach Amöneburg. Er sollte die katholische Lateinschule als bischöfliches Progymnasium inklusive Schülerwohnheim nach dem Krieg wieder aufbauen. Die Nazis hatten die Stiftsschule 1939 geschlossen.

Das tat Gutmann auch, und zwar durchaus erfolgreich. Bis 1964 blieb er in der Kleinstadt, mit ein paar Jahren Unterbrechung für einen Aufenthalt in Fulda. Dass er die Schule wieder groß machte, rechnete man ihm in Amöneburg hoch an.

Bis heute ist man im katholisch geprägten Amöneburg stolz auf das anerkannte Gymnasium, an dem mittlerweile über 800 Schüler unterrichtet werden.

Vorwürfe schon früh bekannt

Vorwürfe gegen Gutmann gab es allerdings schon zu seinen Wirkzeiten: Eltern und Kollegen kritisierten seinen autokratischen Herrschaftsstil, seine Schikanen, seine drakonischen Strafen - oft anlasslos und kollektiv verteilt, manchmal sogar auf "Vorrat". Die Führung des Heims sei geprägt von Brutalität, Willkür und Ungerechtigkeit, hieß es bereits damals.

Mit 51 Jahren wurde Gutmann schließlich in den Ruhestand versetzt. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es offiziell hieß. Inzwischen hat das Bistum Fulda bestätigt: Auch Vorwürfe aus dem Kollegium führten damals dazu.

Trotzdem wurde in Amöneburg 1977 eine Straße nach ihm benannt - zu Lebzeiten Gutmanns also noch. Das war im Nachkriegs-Westdeutschland ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang.

Opfer: Bis heute prägende Erlebnisse

Die Spur der Gewalt des Priesters kam erstmals 2010 an die breite Öffentlichkeit. Opfer meldeten sich zu Wort, damals im Rahmen der vielen Berichte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Auch den hatte es an Stiftsschule gegeben, allerdings nach Gutmanns Zeiten.

"Der Horror", nannte etwa Winfried Kaul das, was er als Schüler unter Josef Gutmann erlebte. Besonders ein Ereignis prägt den über 70-Jährigen bis heute.

Historisches Bild

Kaul war damals zwölf Jahre alt. Schon als er am Morgen auf den Schulhof kam, zitierte Gutmann ihn vors Lehrerzimmer und fing sofort an auszuteilen. Der Junge versteckte sich, kroch unter einen Tisch. Gutmann klammerte sich fest an der Tischkante und trat auf den Jungen ein. Von Kopf bis Fuß, erzählte Kaul, bis er windelweich war.

Der Vater wollte Anzeige erstatten, die Mutter war dagegen. Schließlich nahmen die Eltern ihn von der Schule, er kam ins Internat nach Fulda. "Ab da hatte ich keine Mama mehr und keinen Papa, sondern nur noch Vater und Mutter." Was er damals in Amöneburg erlebte, das habe er lange sehr tief in sich eingeschlossen.

Straßenumbenennung seit 2010 Thema

Sowohl Schule als auch Bistum Fulda distanzieren sich mittlerweile deutlich von Gutmann. "Das Leid, das Herr Dr. Gutmann verursacht hat, kann nur dazu führen, dass man als Schule klar sagt: Wir distanzieren uns von den Taten, die er verübt hat", teilt die Schule mit.

Was aber bleibt, ist die Straße. Die ist Sache der Gemeinde.

Opfer formulieren seit Jahren den Wunsch nach Umbenennung und Aufarbeitung durch die Stadt. 2010 wiesen die Stadtverordneten allerdings beides ab. Sie wollten sich nicht weiter mit Gutmann beschäftigen.

Die örtliche SPD - deutlich in der Minderheit im Stadtparlament - startete 2022 noch einen Versuch und stellte den Antrag nach Umbenennung. Seitdem wird in Amöneburg wieder diskutiert. Und zwar ausgiebig: Allein in 14 Sitzungen verschiedenster Gremien stand der Straßenname in den vergangenen Monaten auf der Tagesordnung.

Anwohner gegen Umbenennung

Die lautesten Stimmen gegen eine Umbenennung sind seit jeher die der Anwohner der Dr. Josef-Gutmann-Straße. Eine Befragung im Ortsbeirat ergab: Die meisten der etwa zwei Dutzend Hauseigentümer wollen keine Umbenennung, trotz des Angebots der Stadt, ihnen pauschal 150 Euro für etwaige Kosten zu zahlen.

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Prügelstrafe in Deutschland

Die Prügelstrafe gehörte in Deutschland lange Zeit zum Alltag vieler Menschen, ob in der Familie, im Strafvollzug, beim Militär oder in Schulen. Auch im Nachkriegsdeutschland wurden Kinder an vielen Schulen noch körperlich "gezüchtigt". In Hessen wurde dies offiziell 1946 verboten, in den meisten anderen Bundesländern erst deutlich später. Ein bundesweites Verbot kam 1973, obwohl man sich in Bayern noch zehn Jahre lang auf ein "gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht" berief. Elterliche Prügel wurden erst im Jahr 2000 verboten.

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Zu viel Aufwand, findet etwa Anwohner Edgar Schlosser: Führerschein, Personalausweis, Reisepass - was da alles kommen würde, zählt er auf. Er habe in den Jahren, in denen er hier wohnt, außerdem schon zwei Umbenennungen mitgemacht. "Die Unkosten müssen nicht sein, nur weil ein paar herkommen, die sagen, sie wurden geschlagen", sagt Schlosser. Nein, Gutmann sei kein Guter gewesen, räumt er ein. "Aber welcher Lehrer hat zu der Zeit nicht geschlagen?"

Hinweisschild statt Umbenennung

Inzwischen steht fest: Der Name bleibt. Die Stadtverordneten stimmten am Montagabend nach langer Aussprache gegen den SPD-Antrag. Nur die Grünen und vereinzelte andere trugen ihn mit. Die Mehrheit der Vertreter von CDU und Freien Wählern stimmte dagegen.

Stattdessen soll nun in der Straße ein Hinweisschild aufgestellt werden, das auf die Gewaltvorwürfe gegen den Namensgeber hinweist und einen QR-Code zu einem 100-seitigen, unabhängigen Gutachten beinhaltet, das im Sommer von einem Historiker veröffentlicht wurde.

Der Tenor unter denen, die den Namen behalten wollen: Man wolle Gutmanns Taten nicht relativieren und sei sich auch darüber einig, dass die Taten auch damals schon nicht dem Gesetz der gesellschaftlichen Norm entsprachen. Man sehe sich auch durchaus an der Seite der Opfer, so einer der Abgeordneten. Aber: Mit der Entscheidung gegen die Umbenennung folge man dem mehrheitlichen Wunsch der Anwohner. Einer meint: Ein Straßenname könne ja auch eine Mahnung sein statt einer Ehrung.

Opfer: Man hätte anders entscheiden müssen

Bernd Greiten kann das nicht so sehen. Er war an dem Abend der Abstimmung auch dabei. Er habe durchaus Respekt davor, dass man sich so lange mit dem Thema auseinandergesetzt habe und erkenne die Entscheidung als Ergebnis eines demokratischen Prozesses an, sagt er. "Aber mit all dem, was heute vorgetragen wurde, hätten die Stadtverordneten aus meiner Sicht trotzdem eine andere Entscheidung treffen müssen."

Und wenn ihn jemand fragen würde, ob er sich als Opfer ernst genommen fühle, müsse er sagen: Leider nein.

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