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Uni Marburg will NS-Zeit aufarbeiten

verschiedene Historische Fotografien

Universitäten ließen sich in der NS-Zeit bereitwillig gleichschalten, so auch in Marburg. An der Uni gab es Verfolgung, Raubgut, Zwangsarbeit und auch Forschung entsprechend der Nazi-Ideologie. Die Uni will diesen Teil ihrer eigenen Geschichte nun verstärkt kritisch aufarbeiten.

Es ist keine wirkliche Eroberung notwendig. Ganz im Gegenteil: 1933 stehen die Türen der Marburger Philipps-Universität sehr weit offen für den Einzug der Nationalsozialisten.

Universitäten waren in der NS-Zeit alles andere als "weiße Flecken auf einer braunen Landkarte", erklärt Eckart Conze, Professor für Neuste und Neuere Geschichte an der Philips-Universität Marburg. Sie seien sogar wichtige Akteure bei der Verbreitung der NS-Ideologie gewesen - und hätten vielfältig vom Regime profitiert.

"Kritische Erinnerungskultur"

Zur NS-Zeit wurde bereits viel geforscht in Marburg. Nun will die Universität verstärkt ihre eigene Geschichte mit dem Nationalsozialismus in den Fokus rücken und sich fragen: Auf welchen Traditionen, Menschen oder Büchern baut die Uni auf - vielleicht bis heute unhinterfragt?

Dafür hat die Universität ein neues fächerübergreifendes Online-Portal eingerichtet. Es soll unterschiedliche Dimensionen und Formen nationalsozialistischer Belastung an der Uni aufzeigen, die teilweise deutlich über das Jahr 1945 hinausragten und bis heute nachwirken.

Die Uni teilt mit: Besonders vor dem Hintergrund der letzten Jahre, in denen Antisemitismus und Rechtsextremismus wieder erstarkt sind, solle eine "kritische Erinnerungskultur" dazu beitragen, Hass und Hetze entgegenzuwirken.

Auf Partizipation angelegt

Konkret soll das Portal Informationen bündeln, die bereits vorhanden sind. Es soll aber auch zu weiterer Forschung anregen, sagt Professor Conze. Auch Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern wolle man ermöglichen - eine Art "Citizen Science", so der Historiker.

Mann vor Büchern

Interessierte Einzelpersonen oder Gruppen könnten sich an die Uni wenden, so Conze. Es sei beispielsweise möglich, Zugang zu Archiven der Universität zu erhalten.

Uni war "gut aufgestellt" für Nationalsozialismus

Conze erklärt: Die Stadt Marburg und auch die Uni waren 1933 bereits "gut aufgestellt" für die Gleichschaltung. Man habe den Nationalsozialismus bereitwillig willkommen geheißen.

Die Folge: Regimegegner verloren schnell ihre Stellen, zahlreichen Juden wurden ihre Doktortitel aberkannt. Glühende Nazis erklommen wichtige Posten. Und wer kooperierte, hatte Erfolg.

historische Fotografie eines Mannes

Der jüdische Sprachwissenschaftler Hermann Jacobsohn beispielsweise wurde 1933 entlassen. Er nahm sich zwei Tage später das Leben.

Auch finanziell habe die Uni durchaus profitiert, etwa durch Gelder für bestimmte Forschungsfelder. "Das würden wir heute 'Drittmittel' nennen", so Conze. Den Ur- und Frühhistoriker habe beispielsweise der Germanenkult der Nazis genutzt, in der Medizin habe es Gelder für Forschung zur sogenannten Rassenhygiene, zu Zwangssterilisationen und Erbkrankheiten gegeben.

Stimmen des Widerstands die Ausnahme

Auch Zwangsarbeiter gab es an universitären Einrichtungen. Und bis heute geht die Uni davon aus, dass in ihren Beständen immer noch Bücher oder Objekte stehen könnten, die von Juden geraubt wurden. "Wir haben dazu schon vor einigen Jahren ein Projekt gestartet", so Conze. Die Uni sei sehr darum bemüht, Raubgut zu identifizieren und zurückzugeben.

An der Uni gab es durchaus auch Stimmen des Widerstands, etwa die des liberalen Wirtschaftswissenschaftlers Wilhelm Röpke, nach dem heute eine Straße benannt ist, in der viele Uni-Gebäude stehen. Der Historiker Conze betont allerdings: Menschen wie Röpke seien die Ausnahme gewesen.

"Forschung im Trüben"

Nicht alles, was zwischen 1933 und 1945 in Marburg erforscht wurde, sei aus heutiger Sicht problematisch, meint Conze. Aber es sei "Forschung im Trüben" gewesen, wie er es nennt: Ein ganzes universitäre System - institutionell durchgezogen und ideologisch beeinflusst vom Nationalsozialismus.

Vieles habe man bereits aufgearbeitet, berichtet Conze. Trotzdem gebe es noch offene Fragen. Das neue Portal solle deshalb ganz bewusst "nicht abgeschlossen" sein. Das sollte die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus aus seiner Sicht ohnehin nie sein.

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