Idil und Tuna Özyurt

Die Türkei erlebt eine wahre Auswanderungswelle: Immer mehr Mediziner kommen nach Deutschland. So wie Idil und Tuna Özyurt aus Ankara. Sie arbeiten in einer Klinik für Psychiatrie in Riedstadt - und trotzen den bürokratischen Hürden.

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Ärzte aus der Türkei – warum immer mehr in Hessen arbeiten wollen

hs
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Idil und Tuna Özyurt stehen auf dem Eisernen Steg in Frankfurt und lächeln in die Smartphone-Kamera. Selfie-Time mit Hochhaus-Kulisse und dem Main, der unter der Brücke hindurch fließt. 

Die beiden 28 Jahre alten Ärzte aus Ankara, die seit kurzem im beschaulichen Riedstadt wohnen, halten Familie und Freunde in ihrer Heimat auf dem Laufenden. Seit vergangenem Sommer arbeitet das Ehepaar in Riedstadt in einer Klinik für Psychiatrie. Und sie haben es trotz der großen Umstellung nicht bereut.

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"Das ist erstmal schon etwas komisch, aus der zweitgrößten Stadt der Türkei hierher aufs Land zu kommen", sagt Tuna Özyurt. Auf der anderen Seite sei es für den Anfang genau das Richtige. "Wir können uns auf unsere Arbeit konzentrieren, denn deswegen sind wir ja hier."

Zahl der Ärzte ohne deutschen Pass auf Rekordniveau

So wie Idil und Tuna Özyurt geht es vielen türkischen Medizinerinnen und Medizinern. In der Vergangenheit war für die türkischen Akademiker Auswandern kein so großes Thema. Jetzt verlassen sie zunehmend aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen ihr Land. Einige sind auch frustriert von den Arbeitsbedingungen.

So stieg die Zahl von Ärztinnen und Ärzten ohne deutschen Pass im vergangenen Jahr auf ein Rekordniveau. Ende 2023 waren es laut Bundesärztekammer insgesamt 63.763 Mediziner. Davon kamen demnach 2.628 aus der Türkei - etwa zehn Prozent davon arbeiten laut Landesärztekammer in Hessen. Neben der Türkei sind die häufigsten Herkunftsländer der Ärztinnen und Ärzte auch Syrien, Rumänien, Österreich, Griechenland und Russland.

Ärzteverband: "Sie fliehen regelrecht"

Wer aus der Türkei kommt, benötigt ein ärztliches Führungszeugnis. Im Jahr 2023 haben laut Ärzteverband Izmir das schon rund 3.000 Ärztinnen und Ärzte bei der türkischen Ärztevereinigung beantragt. "Sie fliehen regelrecht. Oder wollen sich zumindest die Option offenhalten, das Land zu verlassen", sagt Yüce Ayhan vom Ärzteverband. Dass sie im Ausland gebraucht werden, mache ihnen Mut, auszuwandern. 

Die hierzulande dringend gesuchten Fachkräfte haben in Deutschland allerdings mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. Die türkischen Abschlüsse der Özyurts, die in der Türkei in der Notaufnahme gearbeitet haben, sind noch nicht anerkannt. 

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"Unsere Generation besteht aus Weltbürgern"

"Die Landesärztekammer muss bewerten, ob unser Studium gut genug ist für die Approbation", erklärt Idil Özyurt. Beide dürfen erstmal nur unter Anleitung eines approbierten Arztes arbeiten. Die Berufserlaubnis in Deutschland ist auf zwei Jahre befristet. 

Ihre Entscheidung bereuen sie dennoch nicht. Die Arbeitsbedingungen seien in Riedstadt besser. "Vor vierzig, fünfzig Jahren war Migration eine riesige Herausforderung. Heute gehen Menschen in andere Länder, als ob sie in den nächsten Ort ziehen würden", so Özyurt. Ihre Generation bestehe aus Weltbürgern, die sich schneller anpassen können.

Bereits während des Medizin-Studiums in Ankara hatten sich die Özyurts dazu entschieden, nach Deutschland zu gehen und Sprachkurse besucht.

Klinikdirektor: "Der Personalmangel ist enorm"

Auch der Klinikdirektor in Riedstadt, Ingo Weisker, ist froh, dass die Özyurts gekommen sind: "Egal welchen Chefarzt Sie fragen, welchen Klinikdirektor Sie fragen: Es geht immer darum, junge Kolleginnen und Kollegen gewinnen zu können. Der Personalmangel ist enorm."

Im stationären Bereich der Klinik für Psychiatrie arbeiten momentan 19 Ärzte. Die Hälfte kommt aus dem Ausland. Vier von ihnen aus der Türkei.

Ärztin Iren: "Türkei ist in einer Sackgasse"

Gekommen, um erstmal zu bleiben, ist auch die Familie Iren aus Izmir. Dilek Iren ist Fachärztin für Labormedizin und arbeitet nun in einer Klinik in Fulda. "Das Land ist wirtschaftlich in einer Sackgasse. Und immer öfter werden Menschen gegenüber Ärzten gewalttätig", berichtet die 45-Jährige über den Berufsalltag in der Türkei. "Ich möchte irgendwo arbeiten, wo man mich respektiert." 

Dilek Iren ist jetzt Ärztin in Fulda

Dafür kämpfte Dilek Iren. Denn um an den Job in der Klinik in Fulda zu kommen, war eiserner Wille und Geduld gefragt. Erst im dritten Anlauf bestand sie in Frankfurt ihre Fachsprachenprüfung für Deutsch. Ihr Mann Emrah, der Physiotherapeut ist, und ihre Kinder unterstützen sie dabei. "Wir lieben unser Land. Aber wir wollen ja eine bessere Zukunft für unsere Kinder", sagt er.  

Ärztekammer warnt vor Missverständnissen bei Diagnosen

Die Anforderungen für Mediziner aus dem Ausland sind hoch, für manche Ärztevertreter aber nicht hoch genug. "Mangelhafte Sprachkenntnisse sind heute schon ein massives Problem", sagte der Hauptgeschäftsführer der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Jürgen Hoffart, jüngst den Funke-Zeitungen. Es komme immer wieder zu lebensgefährlichen Missverständnissen. 

Das Problem wird sich aufgrund des Fachkräftemangels in den kommenden Jahren noch verschärfen. Mit den "eigenen" Studierenden ist laut Hoffart der Personalbedarf in der Medizin künftig nicht zu decken. Von den jährlich rund 11.000 Studienabgängern in Deutschland gehe ein beachtlicher Teil nicht in den Beruf.

Arbeitsbelastung für Ärzte extrem hoch

In der Türkei wollen dagegen viele Mediziner auch als Ärzte arbeiten. Rund 20 Prozent eines Mediziner-Jahrgangs verlässt laut Yüce Ayhan vom Ärzteverband Izmir das Land. Die Arbeitsbelastung für die Ärzte sei extrem hoch. "Der Gesundheitssektor ist Opfer kurzfristiger, politischer Entscheidungen. Das macht uns traurig", sagt Ayhan. Der Patient werde nur als Wähler gesehen, dem man viel verspreche.

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