Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel gibt es in Hessen immer wieder pro-palästinensische Kundgebungen - manche werden aber verboten. Dafür gelten enge Grenzen. Umgekehrt ist nicht jede Äußerung von der Meinungsfreiheit abgedeckt. Ein Überblick.

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Rechtsprofessor Uwe Volkmann über Grenzen des Sagbaren bei Pro-Palästina-Demos

Pro-palästinensische Demo am Frankfurter Opernplatz
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Raketenbeschuss auf Israel, Bombardement des Gaza-Streifens - seit dem von der militant-palästinensischen Hamas in Israel angerichteten Massaker vor vier Wochen eskaliert der Konflikt zwischen Hamas und Israel. Unterstützer beider Seiten gehen auch in Hessen seitdem wiederholt auf die Straße. Auch für das bevorstehende Wochenende sind in Frankfurt und in Wiesbaden Demonstrationen für einen sofortigen Waffenstillstand oder Frieden im Nahen Osten angemeldet.

Manche pro-palästinensische Demonstration wurde auch schon untersagt, aus Sorge vor Straftaten wie offen vorgetragenem Antisemitismus oder Jubel über die tödlichen Angriffe der Terroristen. Was erlaubt ist bei solchen Demonstrationen und was verboten, erfahren Sie hier.

Wann darf eine Demonstration überhaupt verboten werden?  

Die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäußerung sind elementare Grundrechte unserer Demokratie. Das garantieren die Artikel 8 beziehungsweise 5 des Grundgesetzes. Deshalb sind Demonstrationsverbote nur nach bestimmten Kriterien möglich. 

  • Beschränkt werden dürfen anmeldepflichtige Versammlungen, die nicht fristgerecht angemeldet wurden.
  • Ansonsten müssen die Ordnungsbehörden ein Verbot mit Hinweisen auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründen. Damit sind Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Volksverhetzung gemeint.
  • Bis auf Sondergenehmigungen nicht erlaubt sind Versammlungen in den Schutzzonen von Regierungsgebäuden wie etwa rund um den Landtag in Wiesbaden oder den Bundestag in Berlin.


Grundsätzlich gilt: "Das Verbot ist immer nur das letzte Mittel", sagt Uwe Volkmann, Professor für Öffentliches Recht an der Frankfurter Goethe-Universität. Zunächst müsse immer geprüft werden, ob es auch mildere Mittel gibt - etwa den Ausschluss einzelner Personen von einer Versammlung.  

Das Hessische Bereitschaftspolizeipräsidium weist darauf hin, "dass der zuständigen Versammlungsbehörde ein Ermessen zusteht". Notwendig sei immer, den konkreten Einzelfall zu betrachten.

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Demonstrationen

Grundsätzlich müssen Demonstrationen spätestens 48 Stunden vor Beginn und vor ihrer Ankündigung angemeldet werden. Sie müssen nicht genehmigt werden.
Nicht anmeldepflichtig sind spontane Zusammenkünfte. Doch auch sie dürfen aufgelöst werden, wenn sie zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beitragen. Das regelt das Hessische Versammlungsfreiheitsgesetz.

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Was könnte auf einer pro-palästinensischen Demonstration die öffentliche Sicherheit gefährden? 

Wird eine Demonstration verboten, geht es in der Regel um Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung, das Verwenden verfassungsfeindlicher Organisationen oder Volksverhetzung. Diese liegt vor, wenn gegen bestimmte ethnische, religiöse oder nationale Gruppen zum Hass aufgerufen wird und der öffentliche Frieden gestört wird. Auch das Befürworten und Billigen von Straftaten wie Mord oder Geiselnahme sind verboten. 

Am Beispiel der pro-palästinensischen Demos heißt das: Wer die Taten der Hamas befürwortet oder antisemitische Parolen ruft, macht sich strafbar. Seit dem Jahr 2020 ist auch das Verbrennen jeglicher Flaggen verboten, also auch der israelischen.

Der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) fordert nun, das Gesetz zu verschärfen und auch die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe zu stellen. Darüber will er Anfang November mit seinen Amtskollegen aus den anderen Bundesländern bei der Justizministerkonferenz diskutieren. 

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Öffentliche Sicherheit

Das Hessische Bereitschaftspolizeipräsidium hat auf hr-Anfrage konkretisiert, was zur öffentlichen Sicherheit zählt: "Unter der öffentlichen Sicherheit sind die Unverletzlichkeit und der Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der Bestand der staatlichen Einrichtungen zu verstehen." So geregelt im Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetz.

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Welche konkreten Aussagen sind bei pro-palästinensischen Kundgebungen verboten? 

Der Frankfurter Jura-Professor Volkmann sagt, es gebe nur wenige Fälle, die von vornherein klar sind: "Wenn etwa 'Tod den Juden!' skandiert wird, ist das ein klarer Fall von Volksverhetzung." Wenn zu befürchten stehe, dass dies den Ton einer Versammlung präge, oder es tatsächlich geschehe, könne die Veranstaltung nicht nur verboten werden, sie müsse es sogar.

Vor einem Abbruch einer laufenden Veranstaltung müsse die Polizei auch bei strafbaren Aussagen mit Fingerspitzengefühl vorgehen, führt das Bereitschaftspolizeipräsidium aus: Die Beamten vor Ort müssten "zunächst die Möglichkeit des Ausschlusses einzelner störender Personen beachten und, wenn möglich, vorziehen". Besser als ein Abbruch sei unter Umständen auch "die vorläufige Sicherstellung der verwendeten verbotenen Symbole".

Was an Israel-Kritik ist von der Meinungsfreiheit gedeckt?

Ziemlich viel, da die Meinungsfreiheit qua Grundgesetz ein hohes Gut in Deutschland ist. Rechtsexperte Volkmann weist darauf hin, dass es besonders auf die Eindeutigkeit einer Aussage ankomme.

Zum Beispiel der Ausruf "From the river to the sea - Palestine will be free", der oft auf pro-palästinensischen Demonstrationen zu hören ist. Er bezieht sich auf ein freies Palästina zwischen dem Jordan (the river) und dem Mittelmeer (the sea), wo also auch der Staat Israel liegt.

Entsprechend sagt Volkmann: Hier gebe es mehrere Interpretationsmöglichkeiten, die von der Ermordung der israelischen Bevölkerung bis zur Zwei-Staaten-Lösung gehen. Das Bundesverfassungsgericht habe den Grundsatz entwickelt, "dass, wenn bei einer Äußerung mehrere Interpretationen möglich sind, grundsätzlich diejenige zu wählen ist, bei der ein Verstoß gegen Strafgesetze ausscheidet", so Volkmann. 

Das heißt: Gibt es für eine Aussage eine nicht strafbare Interpretationsmöglichkeit, ist die Parole allein erst einmal nicht strafbar.

Gilt Meinungsfreiheit auch bei der Leugnung des Existenzrechts Israels?

Nach Aussage von Jura-Professor Volkmann: ja. Grundsätzlich kann die Leugnung des Existenzrechts Israels in seiner derzeitigen Form als Meinung gewertet werden, die entsprechend vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt ist.

Das ist eine juristische Bewertung, keine politische. Volkmann sagt, entscheidend sei nun mal nicht, was man tragbar oder unmöglich findet: "Der Grat zwischen dem, was man nicht hören will, und einem tatsächlichen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift ist schmal."

Die Forderung von Justizminister Poseck, diese Aussage unter Strafe zu stellen, bewertet Volkmann daher als schwer umsetzbar. Das Bundesverfassungsgericht habe festgelegt, dass einzelne Meinungen nicht verboten werden könnten.

Daran könne auch die deutsche Staatsräson nichts ändern, wozu nach Aussage der Bundesregierung und anderer führender Politiker die Sicherheit Israels zählt. Volkmann: "Das ist kein Rechtsbegriff und für die Frage, ob die öffentliche Sicherheit bei einer Demonstration gewahrt ist, irrelevant."

Welche Kriterien sind zur Risikobewertung vor einer Demonstration relevant?  

Ein Verbot muss von Fall zu Fall unterschieden werden, vergangene Erfahrungen fließen jedoch in die Bewertungen mit ein. Dabei wird analysiert:

  • Wer hat die Versammlung angemeldet?
  • Wenn es vorherige Veranstaltungen derselben Gruppe gab - wie liefen die ab?
  • Was ist das Motto der Veranstaltung?
  • Wer nimmt teil?
  • Wie viele Menschen nehmen teil?


Außerdem müssen die Behörden zunächst mit der Versammlungsleitung ins Gespräch kommen. Hier ist entscheidend, wie kooperativ diese sich zeigt, sensibel und präventiv mit möglichen Straftaten umzugehen.  

Das ist ein bundesweites Problem, wie geht Hessen damit um? 

Hessen hat unter der Leitung des Innenministeriums und des Inspektors der hessischen Polizei eine spezielle Taskforce gegründet, um nach den Terrorangriffen der Hamas schnell und konsequent gegen anti-israelische Propaganda vorgehen zu können.

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