Arzt reicht Patienten Medikamente

Dank hochwirksamer Medikamente sind HIV-positive Menschen kaum noch ansteckend. Doch nach wie vor müssen Infizierte mit Vorurteilen und Benachteiligung rechnen - gerade in Arztpraxen.

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Mit HIV beim Arztbesuch diskriminiert

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In den 1980er und 1990er Jahren kamen die Diagnose HIV-positiv und der Ausbruch der Krankheit Aids erschreckend oft einem Todesurteil gleich. Infizierte wurden gemieden, ihre Mitmenschen hatten Angst vor Ansteckung. Lange her, möchte man meinen.

Die Medizin hat auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht - manche Vorurteile scheinen sich dennoch hartnäckig zu halten. So erzählt Stefan, einer von mehreren tausend HIV-Infizierten in Hessen, dass er sich aufgrund seiner Erkrankung häufig zurückgewiesen fühle und Berührungsängste erlebe - und das ausgerechnet bei Ärztinnen und Ärzten.

Der 45-Jährige, der seinen vollen Namen hier nicht lesen möchte, erzählt, dass ihm einmal sogar die Behandlung verwehrt worden sei: "Eine Ärztin sagte dann: Ich muss mich und meine Mitarbeiter schützen. Es ging um ein Gespräch in ihrem Sprechzimmer."

Stefan steht im Park und schaut in die Kamera.

Gerade in Arztpraxen, wo man auf Hilfe angewiesen sei, empfinde er das als emotional sehr belastend, sagt Stefan: "Man ist dann vielleicht auch nicht in der Verfassung, aufklärerisch tätig zu sein oder in Gegenrede zu gehen." Das mache ihn wütend und traurig, sagt er mit zitternder Stimme.

Diskriminierung im Gesundheitswesen häufig

Mit seinen Erfahrungen ist Stefan nicht allein. Eine Onlinebefragung der Deutschen Aidshilfe und des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft von 2021 zeigt: Besonders häufig kommt Diskriminierung im Gesundheitswesen vor. Fast 1.000 HIV-positive Menschen wurden befragt. Mehr als die Hälfte von ihnen machten demnach in den zwölf Monaten vor der Befragung mindestens eine negative Erfahrung im Gesundheitswesen.  

Viele Betroffene suchen Rat bei Annette Haberl. Die Ärztin leitet im HIV-Center der Frankfurter Uniklinik den Bereich "HIV und Frauen". Die Patientinnen kämen zur Routineuntersuchung zu ihr, sagt sie, doch meist nehme dabei die medizinische Behandlung den geringsten Raum ein. Es gehe auch darum, schlechte Erlebnisse zu verarbeiten und nach Lösungen in vergleichbaren Situationen zu suchen.

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HIV-Infizierte berichten von Benachteiligungen

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Die Diskriminierungserfahrungen reichten von unangemessenem Nachfragen bis hin zu verweigerten Behandlungen, erzählt Haberl. Manche bekämen einen Termin erst am Ende der Sprechstunde. "Ihnen wird dann gesagt: Wenn Sie hier waren zur Behandlung, dann müssen wir erst mal richtig sauber machen."

Haberl schüttelt den Kopf. "Aber das stimmt nicht. Es reicht völlig aus, die allgemeinen Hygieneregeln einzuhalten." Die Ärztin erklärt sich ein solches Verhalten nach 40 Jahren Leben mit und Forschen über HIV und Aids damit, dass manche Mediziner noch immer zu wenig Bescheid wüssten über die Infektion. Sie wollten sich mit dem Thema nicht beschäftigen und keine HIV-Patienten in ihrer Praxis haben, sagt Haberl.

HIV-Warnung auf einem Schild

Wie die Umfrage der Aidshilfe auch zeigte, kommt es nicht selten auch zum Bruch der Schweigepflicht. In vielen Krankenhäusern würden Akten von HIV-positiven Patientinnen und Patienten noch immer gekennzeichnet - manchmal sichtbar für Dritte.

Anika hat die Hände in ihrer Winterjacke und schaut in die Kamera.

So etwas hat Transfrau Anika erlebt (vollständiger Name der Redaktion bekannt). Nach einem Krankenhausaufenthalt sei sie in eine Rehaklinik gekommen. Am Tisch für das Mittagessen dann der Schock: "Ein Schild mit der Aufschrift 'HIV!!!' stand an meinem Platz", erzählt die 64-Jährige. Schnell habe sie das Schild versteckt und gehofft, dass es niemand gesehen habe.

Als sie davon erzählt, formt sie ihre Hände zu Fäusten. Sie ist sichtlich ergriffen. Ihre Stimme zittert. "Das ist das Massive, dass einem von außen das Stigma aufgedrückt wird: HIV! Hier ist eine halbe Leiche. Haltet euch fern!"

Angst vor Ausgrenzung

Dabei ist die Geschichte der HIV-Medizin eine Erfolgsgeschichte. Aus medizinischer Sicht können Betroffene ein normales Leben führen. Bei einer erfolgreichen Therapie ist das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar. HIV kann dann nicht mehr übertragen werden. Doch die Angst vor Ausgrenzung schränkt viele weiterhin ein.

"Wenn man erst einmal Diskriminierung erfahren hat, stellt man sich bei neuen Arztbesuchen ja immer die Frage: Soll ich das jetzt sagen?", sagt Stefan. Viele legten daher ihren HIV-Status nicht mehr offen. "Man versteckt es, man verheimlicht es. Und das ist natürlich auch wieder belastend", weiß Stefan aus eigener Erfahrung.

Mangelndes Wissen über Therapien und Lebenswelten

Annette Haberl berichtet von mangelndem Wissen über die HIV-Infektion, über die therapeutischen Möglichkeiten und über verschiedene Lebenswelten, zum Beispiel von Transpersonen oder homosexuellen Männern. Deshalb erleben HIV-positive Menschen oft auch Mehrfachdiskriminierung.

Ärztin Annette Haberl sitzt an ihrem Schreibtisch im HIV-Center der Uniklinik.

So berichtet jeder zweite homosexuelle oder bisexuelle Mann in der oben genannten Onlinebefragung von Erfahrungen mit Homophobie. 62 Prozent der befragten People of Color beklagen Rassismuserfahrungen.

Wunsch nach offener Kommunikation

Auch Stefan blickt seit seiner Diagnose 2013 immer wieder in fragende Gesichter, wenn er bei Ärztinnen und Ärzten seine Krankheit anspricht. Dann wünscht er sich einfach mehr Ehrlichkeit und Offenheit: "Dass man eben nicht mit Vorwürfen oder anschuldigenden Fragen kommt oder erst mal jeglichen Kontakt ablehnt, sondern vielleicht einfach sagt: Ich kenne mich in dem Thema nicht aus, darf ich dich dazu etwas fragen?"

Deshalb haben es sich Stefan und Anika zur Aufgabe gemacht, aufzuklären. Anika in der Trans*Beratung Hanau und Stefan im Vorstand der Deutschen Aidshilfe und ehrenamtlich im Projekt Buddy.hiv. Dort trifft er Menschen, die vor kurzem ein positives Testergebnis erhalten haben, teilt seine Erfahrungen und klärt auf.

Annette Haberl vom HIV-Center setzt auch auf die neue Generation von Ärztinnen und Ärzten. Das stimme sie optimistisch. "Mediziner werden heute anders geschult. Das ist ein Thema im Studium. Diese alten Bilder vom Sterben mit HIV, mit Aids - das ist ja völlig überholt."

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