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Rechtsextreme unterwandern Flüchtlingsdebatten in Mittelhessen

Dunkel gekleidete Männer mit großem Banner auf dem steht: Nein zum Heim, Der Lahn-Dill-Kreis wehrt sich

Die Unterbringung von Geflüchteten in Hallen oder Containerdörfern führt in Hessen vermehrt zu Konflikten in den betroffenen Gemeinden. Das nutzen auch Rechtsextreme, um vor Ort Stimmung zu machen.

Es der einzige Tagesordnungspunkt an diesem Abend. Aber das, worum es Anfang März bei der Sondersitzung der Stadtverordneten von Solms (Lahn-Dill) gehen soll, ist schon vor der Taunushalle unübersehbar: Rund 15 dunkel gekleidete Menschen stehen vor der Tür. Sie halten ein riesiges Plakat hoch: "Nein zum Heim", steht darauf. Auch die Polizei ist da.

Es kommen immer mehr Geflüchtete nach Hessen und vielerorts fehlt Platz für die Unterbringung. Auf Wiesen an Stadträndern oder mitten im Dorf entstehen Notunterkünfte in Leichtbauhallen, Zelten oder Containern.

Besonders im ländlichen Raum brodelt es vermehrt - gerade dann, wenn es um große Sammelunterkünfte in kleinen Orten geht. Immer öfter kommt es zu Bürgerinitiativen, Petitionen oder wie in Solms sogar zu öffentlichen Protesten. 

Bürgermeister: "Hier sollte Stimmung gemacht werden" 

"Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber wir sind gegen dieses Containerdorf" – diesen Satz hört man derzeit oft. hr-Recherchen zeigen: Befeuert werden solche Diskussionen in letzter Zeit vermehrt von rechtsextremen Gruppen oder Personen, die vor Ort mitmischen. 

In Solms wird beispielsweise seit Monaten über eine Containerunterkunft für bis zu 200 Menschen diskutiert. Es ist ein schwieriges Thema für die Stadt, sagt Bürgermeister Frank Inderthal (SPD). Aber man suche konstruktive Lösungen und sei als Kommune nun mal verpflichtet, den Menschen Obdach zu geben.  

Screenshot von Facebook, Foto von Männern mit geschwärzten Gesichtern, die ein Plakat hochhalten, auf dem "Nein zum Heim" steht

Bei genauem Hinsehen stellt man fest: Bei einem der Demonstranten vor der Stadthalle handelt es sich um einen regional bekannten NPD-Funktionär, der zeitweise Stadtverordneter in Wetzlar war und aktuell Kreistagsabgeordneter im Lahn-Dill-Kreis ist. Andere tragen Kleidung, die der rechtsextremen Hooliganszene zugeschrieben werden kann, etwa mit der Aufschrift "Deutsche Jungs".

Bürgermeister Inderthal hat den Eindruck: Hier soll bewusst Stimmung gemacht und eingeschüchtert werden - von Menschen, die vermutlich noch nicht mal in Solms wohnen. "Ich habe die Menschen vor der Halle nicht gekannt", sagt er. Die Situation sei "bedrückend" gewesen.  

Rechtsextreme verteilen Flyer und hängen Plakate auf 

Es ist kein Einzelfall: Auch aus anderen Orten sind dem hr Vorfälle im Zusammenhang mit geplanten Sammelunterkünften bekannt, bei denen rechtsextreme Gruppen oder Personen auftauchen. In Ehringshausen (Lahn-Dill) kursieren beispielsweise Flyer der Kleinpartei Dritter Weg, die von Behörden als verfassungsfeindlich und rechtsextremistisch eingeschätzt wird.  

Screenshot der Internetseite der Partei Dritter Weg mit einem Bild, das ein Ortschild mit Flyern davor zeigt

"Wir sind ja nicht mal die Merkel-Gäste los und schon will der Landkreis und das Land Hessen unsere Gemeinde wieder fluten", heißt es darin. Die Flyer warnen in Ehringshausen vor einer Situation wie in Solms. 

Verfassungsschutz: Rechtsextreme suggerieren "katastrophales Ereignis" 

Der hessische Verfassungsschutz bestätigt: Rechtsextreme nutzen Kritik an geplanten Flüchtlingsunterkünften derzeit besonders, um Anschluss in der Gesellschaft zu finden.  

"Insgesamt beobachten wir, dass das Thema Asyl an Bedeutung in der rechtsextremen Szene zunimmt", so Verfassungsschutzpräsident Bernd Neumann. Der Duktus werde dabei immer direkter und unverschleierter. "Mit Begriffen wie 'Asylflut' und 'Invasion' will man letztlich suggerieren, dass ein katastrophales oder kriegerisches Ereignis bevorsteht." 

Widerstand in Weinbach: "Containerdorf ist schlechteste Lösung" 

Auch in Weinbach im Kreis Limburg-Weilburg ist die Stimmung derzeit angespannt: Der Landkreis sucht Stellflächen für Wohncontainer, im kleinsten Weinbacher Ortsteil Fürfurt war zeitweise ein Containerdorf für bis zu 60 Menschen im Gespräch. Im 130-Einwohner-Dorf ist man sich mehr oder weniger einig: Das will man nicht. Im Dorf hängen Plakate, innerhalb kurzer Zeit gründete sich eine Bürgerinitiative. Einen Appell an die Gemeinde unterschrieben fast alle Einwohner. 

Schild mit den Worten: Kein Containerdorf für Fürfurt

Die Kritik und die Sorgen der Dorfbewohner sind vielfältig: Manche fürchten um den Wert ihrer Häuser und sprechen von einem Eingriff in das Erscheinungsbild des Orts und der Natur. "60 Menschen - das sind einfach zu viele für so ein kleines Dorf", sagt eine Anwohnerin. Fürfurt fehle dafür die Infrastruktur. Das gehe außerdem alles viel zu schnell, meint sie. 

Ein anderer fordert: Die Kommune solle sich stärker um dezentrale Unterbringung bemühen – auch wenn das komplizierter oder teurer sei. "Die Unterbringung in solchen Sammelunterkünften ist ein Wegdrücken des Problems", sagt er.  "Obwohl das die schlechteste Lösung für die Dörfer ist – und für die Geflüchteten natürlich auch." 

Kein Ortsteil will die Container 

Mit Rechtsradikalen will die Bürgerinitiative nach eigenen Angaben nichts zu tun haben. Aber auch in Fürfurt lagen kürzlich Flyer vom Dritten Weg in den Briefkästen. Vertreter der Partei hätten sie persönlich eingeworfen und auch an Haustüren geklingelt und das Gespräch gesucht, berichten Dorfbewohner. 

Noch ist unklar, ob in Weinbach tatsächlich Container gebaut werden, erklärt Bürgermeisterin Britta Löhr (parteilos). Die Alternative sei, Dorfgemeinschaftshäuser umzufunktionieren – zu Lasten des Vereinslebens. Klar ist aber: In Fürfurt wird es wohl kein Containerdorf geben. Weil es auch in allen anderen Ortsteilen Widerstände gebe, sei laut Löhr derzeit nur noch eine Fläche in einem Gewerbegebiet im Gespräch. 

Extremismusstelle: Rechtsextreme nutzen legitime Sorgen und Ängste 

Lisa Geßner koordiniert im Kreis Limburg-Weilburg die Anlauf- und Beratungsstelle Dext, die sich gegen Extremismus einsetzt. Auch Geßner stellt zunehmend Konflikte rund um geplante Flüchtlingsunterkünfte fest. 

Bei solchen Widerständen vor Ort handle es sich nicht per se um Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, sondern um legitime Ängste und Sorgen - teilweise auch um ein Gefühl der Überforderung. "Die Menschen fragen sich: Wie können wir die Menschen hier unterbringen und integrieren? Wie soll das Leben in so einem Containerdorf aussehen? Wo sollen die Kinder in die Kita gehen?", so Geßner. 

Trotzdem stellt auch sie fest, dass solche Proteste zunehmend von rechtsextremen Gruppen und Menschen ausgenutzt werden, die bewusst in die betroffenen Orte gehen und sich den Protesten anschließen. "Diese Überforderung und Hilflosigkeit, die da sind, die berechtigten Fragen - die werden versucht, für die eigene Sache zu nutzen", sagt sie.  

Geßner empfiehlt Menschen in betroffenen Ortschaften, sich bewusst von den Thesen der Rechtsextremen zu distanzieren. Sie sagt: "Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es den Rechtsextremisten nicht darum geht, konkrete Lösungen zu finden, sondern lediglich darum anzuheizen."

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