Saskia Wollenhaupt liegt auf Krankenhausbett, Mutter Sandra sitzt daneben, beide lächeln verhalten in die Kamera.

Wer in Deutschland ein Spenderorgan braucht, muss meist Jahre warten. Für eine junge Frau aus dem Werra-Meißner-Kreis kam die Rettung aus ihrer eigenen Familie: Ihre Mutter spendete ihr eine Niere. Dabei half auch ein OP-Roboter am Uniklinikum Marburg.

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OP mit Hightech-Roboter – Mutter spendet Tochter Niere

Frau in Krankenbett
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Dass ihre Nieren nicht so funktionieren, wie sie sollen, weiß Saskia Wollenhaupt seit dem Teenageralter. Die 33-Jährige aus Bad Sooden-Allendorf im Werra-Meißner-Kreis führte trotzdem jahrelang ein normales Leben, spielte Fußball, arbeitete als Köchin in einem Hotel. Bis die Ärzte feststellten: Sie leidet an einer seltenen Erbkrankheit, durch die das Nierengewebe vernarbt und ihre Nieren aufhören zu arbeiten.

Vor etwas über einem Jahr verschlechterten sich Saskias Werte plötzlich rapide. "Ich hatte zwar vorher schon mal darüber nachgedacht, ob ich vielleicht irgendwann an die Dialyse muss, aber dass es dann so schnell passiert, war ein Schock", sagt sie und streicht sich durch die kurzen dunklen Haare.

Ihr Leben veränderte sich drastisch: Sie konnte ihren Job nicht mehr so ausüben wie vorher, musste dreimal pro Woche ins Dialyse-Zentrum nach Eschwege. Jeweils rund vier Stunden lang wurde dort ihr Blut entgiftet. Dafür bekam sie einen Vorhof-Katheter gelegt, der das Blut direkt aus ihrem Herz pumpte.

Anstrengende und zeitraubende Dialyse

Die Dialyse-Prozedur war anstrengend und zeitraubend, Saskia musste ihre Ernährung umstellen. Phospat- und kaliumhaltige Lebensmittel wie Schokolade, Zitrusfrüchte oder grünes Gemüse waren tabu. Sie nahm es pragmatisch: "Wenn Dialyse bedeutet weiterzuleben, dann entscheidet man sich für die Dialyse."

Saskia zog zurück zu ihren Eltern nach Meinhard, und damit näher ans Dialyse-Zentrum. Nicht einfach, sagt auch ihre Mutter Sandra Wollenhaupt: "Saskia hatte ihr eigenes Leben, hat alles für sich selbst geregelt und gemacht. Auf einmal war sie wieder zu Hause, und automatisch fängst du an und entscheidest wieder für dein Kind, obwohl es kein Kind mehr ist."

Die Mutter musste nicht lange überlegen

Eine Situation, die noch jahrelang so hätte weitergehen können - denn die Chancen, schnell eine Spenderniere zu bekommen, stehen in Deutschland schlecht: Auf der Warteliste für eine Niere stehen Patienten im Schnitt rund acht Jahre lang. Aktuellen Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge warten rund 8.400 Deutsche auf eine neue Niere, Lunge oder ein neues Herz.

Saskia Wollenhaupt liegt auf einem Krankenhausbett und ist an Dialyse angeschlossen, ihre Mutter Sandra sitzt neben dem Bett.

Jahrelang an der Blutwäsche zu hängen, dieses Schicksal wollte die 55 Jahre alte Sandra Wollenhaupt ihrer Tochter unbedingt ersparen. Als die Ärzte die Möglichkeit einer Lebendspende ins Spiel brachten, musste sie nicht lange überlegen, wie sie erzählt: "Wenn sie mit meiner Niere ein einigermaßen normales Leben führen kann, und wenn es nur zehn Jahre sind, soll sie die kriegen!"

Viele Untersuchungen und Gespräche mit Psychologen folgten, die Ethikkommission wurde hinzugezogen. Dann stand fest: Sandra Wollenhaupt darf ihrer Tochter eine Niere spenden.

Strenge Richtlinien für Lebend-Organspenden

Die Lebend-Organspende ist durch das deutsche Transplantationsgesetz an strenge Voraussetzungen geknüpft. So muss zwischen Organspender und -empfänger ein besonderes Näheverhältnis bestehen, das heißt eine enge Beziehung durch Verwandtschaft, Partnerschaft oder Freundschaft.

Johannes Huber ist Direktor der Urologie in Marburg am Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) und führt regelmäßig Nierentransplantationen durch. "Diese Regelung soll Organhandel oder das Spenden von Organen gegen Bezahlung verhindern", erklärt er: "Allerdings ist es häufig so, dass eine Verwandtschaft immunologisch gesehen sogar eher Nachteile haben kann."

Dass die Qualität der Nieren-Lebendtransplantationen in Deutschland mit besonders vielen Mismatches verbunden ist, kritisieren auch Ärzteverbände. Denn im Vordergrund stehe die Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis und nicht die, welche Niere am besten zum Empfänger passt.

Prof. Johannes Huber im weißen Arztkittel lächelt in die Kamera.

Abhilfe könnten sogenannte Crossover-Spenden schaffen, die in Ländern mit modernerem Transplantationsrecht schon Standard sind, etwa in Spanien, Österreich, der Schweiz oder den USA. Dabei können geeignete Spender-Empfänger-Paare die gespendeten Organe über Kreuz tauschen, um so ein bestmögliches Match zu erreichen und eine Abstoßungsreaktion des Transplantierten zu vermeiden.

Roboter "DaVinci" erlaubt minimalinvasivere OP

Nach monatelanger Vorbereitung können dann die lebensverändernden Operationen bei Sandra und Saskia Wollenhaupt stattfinden. Die Aufregung ist bei beiden Frauen groß. "Es ist eine Mischung aus Nervosität, Freude und Dankbarkeit", sagt Saskia und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Beide werden von Johannes Huber in Marburg operiert, am selben Tag direkt hintereinander. Dazu nutzt der erfahrene Mediziner modernste Technik: Mit dem rund zwei Millionen Euro teuren Hightech-Operationsroboter "DaVinci" erfolgen die Eingriffe deutlich minimalinvasiver als bei einer offenen OP.

"Die Schnitte sind kleiner, das Zugangstrauma dadurch deutlich geringer", erläutert Huber: "Die Gefäße können unter hoher Vergrößerung und zitterfrei sehr präzise verbunden werden, das erhöht die Sicherheit für die Patientinnen." Auch für die Wundheilung nach dem Eingriff habe das Vorgehen Vorteile, sagt der Mediziner: "Ich bin überzeugt, dass es die Zukunftstechnologie ist und komplexe Eingriffe für viele Patienten sicherer macht."

Operations-Roboter "DaVinci" hängt mit 4 in steriler Folie verpackten Armen über dem Bauch der Patientin im OP-Saal.

Für die Mediziner ist es eine Routine-Operation. In der Marburger Uniklinik wurden im vergangenen Jahr 40 Transplantationen durchgeführt, davon 16 Lebend-Nierentransplantationen. Für 2024 sind allein im ersten Halbjahr zwölf weitere geplant.

Trotzdem sei eine Lebendspende immer ein besonderer Eingriff für ihn persönlich, betont Huber: "Wir operieren einen gesunden Menschen, der seine Niere einem anderen schenkt." Das sei eine besondere Bürde und Verantwortung. "Ich will am Ende natürlich zwei gesunde Patienten entlassen."

Millimetergenaue Präzisionsarbeit

Im OP-Saal steuert Johannes Huber mehrere Roboterarme mithilfe eines Moduls. Mit Hilfe von Kameras, die in den Körper eingeführt wurden, sieht er das Innenleben der Patientinnen hochaufgelöst und dreidimensional. Ein sechsköpfiges Team im OP assistiert dabei, reicht dem Roboter passende Instrumente an, überwacht permanent die Anästhesie und Vitalwerte der Patientinnen.

Prof. Huber sitzt an Steuerungs-Modul des OP-Roboters, hält mit den Händen Joysticks, schaut durch zwei Gucklöcher in den Roboter.

Zunächst wird der Mutter Sandra Wollenhaupt die linke Niere entnommen. Nach gründlicher operativer Vorbereitung muss das Herausnehmen des Organs innerhalb weniger Minuten klappen. Die Niere kommt sofort in eine sterile Schale mit Eiswasser und wird sorgfältig gespült. Später wird die Niere in Saskias rechtes Becken transplantiert. Mit millimeterfeinen Nähten verbindet der Arzt die Vene und Arterie mit dem neuen Organ, schließt den Harnleiter an die Blase an.

Nach insgesamt rund acht Stunden sind beide Operationen geschafft, Urologe Huber ist sehr zufrieden: "Ich bin absolut glücklich! Die Gefäßverbindungen sahen super aus, die Niere war sofort toll durchblutet."

Keine Dialyse mehr

Eine knappe Woche später haben sich Mutter und Tochter schon gut erholt. Saskia Wollenhaupt muss noch rund zwei Wochen im Krankenhaus bleiben, fängt aber wieder an zu laufen. Ihre Mutter darf sogar nach Hause. Die kleinen Schnitte am Bauch heilen gut.

Auch mit nur einer Niere haben Spender durchschnittlich noch etwa 70 Prozent ihrer vorherigen Nierenleistung. Sandra Wollenhaupt kann also ein ganz normales Leben führen. Für ihre Tochter bedeutet die neue Niere vor allem: keine Dialyse mehr, wieder ein selbstbestimmtes Leben führen!

Sandra und Saskia Wollenhaupt stehen vor Fenster der Uniklinik Marburg und lächeln sich zu.

Wie lange ihre Spenderniere gut funktionieren wird, lässt sich nicht genau voraussagen. "In der Regel halten Spenderorgane rund zehn Jahre, manchmal auch deutlich länger", sagt Urologie-Professor Huber: "Weil Saskia noch jung ist, kann es also sein, dass sie im Lauf ihres Lebens eine weitere Spenderniere brauchen wird."

Vorfreude auf normales Alltagsleben

Erst mal freut sich die 33-Jährige auf die unmittelbare Zukunft. Bis sie wieder fit ist, bleibt sie noch bei den Eltern. Doch sie will baldmöglichst wieder in ihre eigene Wohnung ziehen und auch ihren Job als Köchin wiederaufnehmen. "Wenn ich mein altes Leben wie vor der Dialyse wieder bekomme, bin ich schon glücklich", sagt Saskia Wollenhaupt.

Sandra Wollenhaupt ist tief erleichtert, dass alles gutgegangen ist: "Ich hatte die Möglichkeit, meinem Kind zu helfen - das ist alles, was zählt." Für sie sei wichtig, dass Saskia "ihr Leben so führen kann, wie sie es will". Ihre Tochter bedankt sich mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen: "Damit hast du mir das Leben gerettet."

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Extrem wenige Organspender

Obwohl die Zahl der Organspenden in Deutschland und auch in Hessen nach einem starken Rückgang 2022 im vergangenen Jahr leicht angestiegen ist, besteht weiterhin ein erheblicher Mangel an Spenderorganen, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) warnt. Vorläufigen Angaben zufolge gab es 2023 bundesweit 965 Spenderinnen und Spender, denen 2.877 Organe postmortal entnommen wurden.
Am häufigsten wurde eine Niere gespendet, gefolgt von Leber, Herz und Lunge. Mithilfe der Organspenden konnte insgesamt 2.866 schwerkranken Patienten das Überleben oder zumindest eine bessere Lebensqualität ermöglicht werden.
Trotz des leichten Anstiegs kommen in Deutschland im Schnitt nach wie vor auf eine Million Einwohner bundesweit nur 11,4 Organspender. Im internationalen Vergleich steht Deutschland damit schlecht da. Rund 8.400 Menschen stehen auf der Warteliste für Spenderorgane.
Ärzteverbände in Deutschland fordern daher eine gesetzliche Neuregelung der Organspende mit der Widerspruchslösung, die es in vielen anderen Ländern bereits gibt. Demnach würde jeder nach dem Tod automatisch als Organspender gelten, der dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Laut Bundesärztekammer würde dies die große Lücke zwischen der Zahl an Organspendern und der grundsätzliche Spendebereitschaft schließen. Bislang gilt in Deutschland die Zustimmungslösung, das heißt eine Organspende ist nur möglich, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten oder seine Angehörigen postmortal zustimmen.

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