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"Plastic World" in der Schirn zeigt Geschichte des Plastiks

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht von "Plastic World" in der Schirn. Eine Frau steht vor einem großen roten Stern aus Kunststoff, hinter ihr sind transparente Bälle.

Vom Computer bis zur Brotdose - Plastik ist überall. Der Werkstoff ist aus der modernen Gesellschaft nicht wegzudenken. Auch Künstler beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Plastik. Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn zeigt ganz unterschiedliche Arten der Verwendung und Bewertung des Materials.

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Ausstellung in Frankfurt - Geschichte von Plastik in der Kunst

hs
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Nicht stolpern, da liegt ein Hummer – Besucher:innen der Ausstellung "Plastic World" bewegen sich durch die Arbeiten von Otto Piene wie durch ein Aquarium. Durchsichtige Unterwasserwesen richten sich meterhoch auf, sacken in sich zusammen. 

Es ist das künstliche Abbild eines natürlichen Lebensraums. Die Kunstwerke sind gefertigt aus thermoplastischer Polyurethan-Folie, also aus Plastik – ausgerechnet dem Werkstoff, der heute die Meere verschmutzt.  

"Wie Jekyll und Hide"

"Wir leben im Plastikzeitalter", sagt Kuratorin Martina Weinhart. "Dieses Material ist wie Dr. Jekyll und Mr. Hide. Es bietet einerseits unglaubliche Möglichkeiten, gleichzeitig sorgt es für Probleme." Mit ihrer Ausstellung in der Frankfurter Schirn erzählt sie anhand von Kunstwerken die komplexe Geschichte eines Materials, das die Welt geformt hat.  

Ausstellungsansicht Plastic World Schirn

In den 1960er Jahren fluteten Plastikprodukte den Alltag der Massen. "Die Frau musste nicht mehr putzen – sie musste keine Teller mehr spülen, sondern hat sie einfach weggeworfen", erzählt Weinhart. "Das war die Basis für unsere westliche Konsumgesellschaft."  

Daran erinnert in der Ausstellung die "Tassentasse" von Thomas Bayrle. Sie hält, was der Name verspricht: Dutzende Plastikgeschirrteile hat der Künstler zu einer großen Tasse mit einem Durchmesser von 120 Zentimetern geformt. Daneben schweben aufblasbare Nanas von Niki de Saint Phalle.     

400 Millionen Tonnen Kunststoff jedes Jahr

Die moderne Gesellschaft ist ohne Plastik undenkbar – doch das nützliche Material ist eine Belastung für das Ökosystem Erde geworden. Etwa 400 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr werden weltweit produziert. Der überwiegende Teil wird nicht recycelt. Kleine Plastikteilchen verschmutzen Böden und Gewässer.     

Kuratorin Weinhart weiß um die Ambivalenz des Werkstoffs. Deswegen ist "Plastic World" auch kein gedankenloses Abfeiern poppiger Kunststoffobjekte. 

Weinhart erklärt: "Für die Ausstellung war es interessant zu schauen, wie ein Material so eine Karriere machen kann – von 'finden wir alle ganz toll' bis 'schrecklich, müssen wir unbedingt loswerden'."

Ausstellung zeigt Werke aus 60 Jahren

Ein Acrylglas-Baum hier, eine Stofftier-Wurst da. Kaugummi-Close-ups, ein fluoreszierender Erdöl-Bohrkopf, archivierte "Pseudosteine", collagierte Platinenreste: Die Ausstellung umfasst rund 100 Werke aus der bildenden Kunst – von den 1960er Jahren bis heute. 

Das Bild zeigt Pop Art Kunst in der Ausstellung "Plastic World" in der Schirn.

Schon früh hätten Künstler:innen lustvoll und kritisch zugleich mit Plastik gearbeitet. "Die Pop Art fand das Material toll. Alles war bunt und schön und strahlend", sagt Weinhart. "Zeitgleich gab es in Frankreich den Nouveau Réalisme, da wurden zum Beispiel abgewrackte Rasierapparate ausgestellt."

Bis heute gebe es in der Kunst diese unterschiedlichen Pole im Umgang mit Kunststoffen. 

"Geht bei Material um bildhauerische Eigenschaften"

Die Frankfurter Künstlerinnen-Gruppe HazMatLab arbeitet seit 2016 mit Schleim. In der Schirn haben Sandra Havlicek, Tina Kohlmann und Katharina Schücke zum Beispiel einen Ventilator und einen Wasserkocher mit grünem Glibber überzogen. 

Ausstellungsansicht Plastic World Schirn

"Wir stellen den Schleim selbst her", erzählt Schücke. Er bestehe aus drei verschiedenen Komponenten, einer davon: PVA, ein Plastikwerkstoff, der überall in unserem Alltag vorkomme - in Geschirrspüler-Tabs und Haarspray, wie Schücke erklärt, aber auch Kunstdarm für Leberwurst und die Beschichtung von Chipstüten.  

Dass sie mit Plastik arbeiten, finden die Künstlerinnen von HazMatLab erst einmal nicht problematisch. "Wenn wir uns dazu entscheiden, mit einem Material zu arbeiten, geht es erst einmal nicht darum, ob es nachhaltig ist", erklärt Havlicek. "Wir interessieren uns für seine bildhauerischen Eigenschaften." 

Kuratorin: Ökologischen Fußabdruck klein halten

Nachhaltigkeit sei für das Trio trotzdem wichtig, so Havlicek. Die Gruppe achte darauf, nur so wenig Material wie möglich wegzuschmeißen. Reste würden weiterverarbeitet. "Selbst wenn das Material an sich vielleicht nicht besonders nachhaltig ist, ist unsere Arbeitsweise auf jeden Fall bedacht und nachhaltig." 

Auch Kuratorin Weinhart hat bei der Konzeption von "Plastic World" auf Nachhaltigkeit geachtet. Sie habe sich bemüht, Arbeiten aus der Umgebung zu besorgen, erzählt sie – aus Frankfurt, aus Hessen, jedenfalls aus Deutschland. 

Ziel sei gewesen, den ökologischen Fußabdruck der Ausstellung klein zu halten und die Arbeiten nicht unnötig durch lange Transporte zu belasten, so Weinhart. Plastik sei einerseits zwar schwer abbaubar, allerdings auch alles andere als beständig.   

Kunst, die zerbröselt

Zwei Wandarbeiten von Piero Gilardi sind daher in der Schirn liegend zu sehen – in den jeweiligen Transportboxen. Die aus Polyurethanschaum täuschend echt modellierten Dschungel drohen bei Berührung zu zerbröseln, begründet Weinhart die ungewöhnliche Präsentation.  

Das Bild ist eine Ausstellungsansicht von "Plastic World" in der Schirn und zeigt Palmenblätter und -stämme.

Die Kuratorin betont: "Plastik ist ein absolut heikles Material in Bezug auf die Erhaltung." Deswegen sei eine Ausstellung wie "Plastic World" keine Selbstverständlichkeit – schon in einigen Jahren könnten einige der Arbeiten, die jetzt in der Schirn zu sehen sind, vermutlich nicht mehr gezeigt werden. Auch das macht die Ausstellung zu einem ganz besonderen Erlebnis. 

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