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Raubkunst auch in vielen kleineren Museen

Kombo mit historischer Aufnahme und aktuellem Schild von der Ausstellung

Es lagert nicht nur in Großstadtmuseen, sondern auch in kleineren Häusern: Raubgut aus der Kolonialzeit oder der NS-Geschichte. Experten sagen: Kaum ein Museum ist nicht betroffen. Die Spurensuche ist für kleine Museen allerdings besonders schwierig.

1891 zieht eine deutsche Soldatentruppe durch das damalige Deutsch-Ostafrika. Sie rücken mit Maschinengewehren an und hinterlassen verbrannte Erde. Es ist eine "Strafexpedition". Die Kolonialmacht will ihren Einflussbereich sichern und die rebellischen Einheimischen abstrafen. Denn: In der Region Iringa, im heutigen Tansania, gibt es ein mächtiges Volk, das sich wehrt, die Wahehe.

Unterwegs nach Iringa brennen die Deutschen schon dutzende Höfe nieder. Die Wahehe haben nur wenige Feuerwaffen, sie führen eine Art Guerillakrieg mit Holzspeeren und Lederschilden. Aber: Sie sind zahlenmäßig überlegen.

Weil die Wahehe die Kolonnen in einen Hinterhalt locken, können sie die Deutschen in einem blutigen Gefecht zurückdrängen, hunderte Menschen sterben, darunter auch der deutsche Befehlshaber. Die übrig gebliebenen Kolonialherren ziehen sich zurück, nehmen jedoch Beute mit. An die Rebellion von 1891 wird in Tansania bis heute erinnert.

Beute von damals ist heute in Gießen

Lederschild in Museum

Rund 140 Jahre später befindet sich ein Teil der Beute von damals im Oberhessischen Museum in Gießen: ein riesengroßer Lederschild, mehrfach geflickt - man sieht ihm die Spuren vergangener Kämpfe an. Jahrelang lag er in Gießen auf dem Dachboden, gemeinsam mit zahlreichen anderen Objekten aus Übersee. Aber wie ist der Schild nach Gießen gekommen? Und gehört er überhaupt rechtmäßig hier hin?

Solche Fragen stellen sich derzeit Museen in ganz Deutschland im Bezug auf Objekte, die aus aus sogenannten Unrechtskontexten kommen könnten, etwa der Kolonialzeit oder der NS-Geschichte. Was bisher wenig bekannt ist: Nicht nur Großstadtmuseen in Berlin oder Frankfurt haben Raubgut in ihrem Bestand, sondern auch viele kleine Stadt-, Regional- und Heimatmuseen.

Eine Umfrage des hessischen Museumsverband ermittelte, dass von knapp 190 befragten Museen in Hessen ein Viertel über außereuropäische Objekte verfügt, die meisten davon aus Afrika und Asien und ganz besonders aus ehemaligen Kolonialgebieten im heutigen Namibia und Tansania. Die genaue Herkunft ist bei den meisten ungeklärt. Hinzu kommen Objekte, die möglicherweise von Juden enteignet worden sind.

"Fast kein Museum ist ohne Verdachtsfälle"

"Die Erfahrung hat gezeigt, dass fast kein Museum ohne Verdachtsfälle ist", so Saskia Johann, die beim hessischen Museumsverband im Bereich Provenienzforschung arbeitet, also dem Forschungsfeld rund um die Herkunft von Kunstgegenständen. Kleinere Museen haben dabei ganz besondere Herausforderungen, meint Johann: Selten seien Objekte genau beschriftet, die Datenlage sei dünn. Meistens fehle den Häusern das Personal, das Geld oder das Fachwissen, um dem nachzugehen. Manchmal seien es sogar Ehrenamtliche, die sich um kleinere Sammlungen kümmern.

Die Sammlungen von kleineren Häusern seien außerdem oft sehr heterogen, erklärt Johann. "Da gibt es Objekte vom Kochlöffel über den Schrank bis hin zu Gemälden." Bei außereuopäischen Objekten sei ganz besonders herausfordernd, dass es sich häufig um Sammlungen aus ganz unterschiedlichen Regionen handle.

"Wo fängt man da überhaupt an?"

Bei heimatkundlichen Museen wie dem Stadtmuseum Bad Wildungen (Waldeck-Frankenberg) steht vor allem die Frage im Raum, ob im Bestand auch enteignete Besitztümer von Juden sein könnten. Schon das Museumsgebäude selbst hatte früher einer jüdischen Familie gehört. Zur Sammlung gehören historische Alltagsgegenstände wie Porzellan, Bücher oder Waschzubehör. Auch einige eindeutig jüdische Objekte sind dabei, etwa eine Thora und ein Leuchter.

"Aber wo fängt man da überhaupt an?", fragt Museumsleiterin Lisa Beutler. "In den Eingangsbüchern steht dann nur so etwas wie 'Leuchter angekauft'" Und: Man habe selbst überhaupt keine Ressourcen für Provenienzforschung.

Erstcheck für kleine Museen

Fachwerkhaus von außen

Gemeinsam mit drei anderen hessischen Museen hat das Stadtmuseum deshalb bei einem neuen Erstcheck teilgenommen, den der hessische Museumsverband neuerdings anbietet, um kleineren Museen bei der Spurensuche zu helfen. Dabei kommt geschultes Personal in die Häuser und hilft dort über einen sechsmonatigen Zeitraum bei der Provenienzforschung. Derzeit gibt es diesen Erstcheck nur für NS-Raubkunst, aber auch für koloniale Kontexte soll bald ein ähnliches Verfahren entwickelt werden. Gefördert wird das durch öffentliche Gelder.

Lisa Beutler meint: Der Erstcheck habe dem Museum geholfen, um überhaupt erste Ansatzpunkte zu identifizieren, an denen man nun weiterforschen wolle. "Und wenn wir bei Sachen kritische Besitzverhältnisse feststellen, werden wir versuchen, die auch zurückzugeben."

Detektivische Detailarbeit

Im Oberhessischen Museum in Gießen ist man schon ein paar Schritte weiter. Vor einigen Jahren ist das Museum selbst aktiv geworden als ein Vorreiter unter kleineren Museen in Hessen. In detektivischer Detailarbeit haben Museumsmitarbeiterinnen wie Manuela Rochholl versucht, Hintergründe der ethnografischen Sammlung zu rekonstruieren. "Zuallererst mussten wir sehr viele Kisten auspacken", erzählt Rochholl. Schmuck, Schalen, Waffen - auch hier sei das wenigste detailliert beschriftet gewesen.

Ausstellungsobjekte, Frau

Anhand von historischen Fotos und Schriftstücken habe man schließlich einige Wege zurückverfolgen und Objekte genauer zuordnen können. Oft seien es Zufallsfunde gewesen, etwa wenn man auf historischen Fotos anderer Museen eigene Stücke entdeckt habe. Die wirklichen Besitzverhältnisse ließen sich dennoch in den meisten Fällen kaum klären, so Rochholl. "Es bleiben da ganz viele blinde Flecken."

Rückgabe noch ungeklärt

Beim Lederschild war die Provenienzforschung dagegen vergleichsweise leicht. Es war mit einem Schild versehen, auf dem eindeutig stand: Erbeutet, 1891 in Iringa.

Das Oberhessische Museum hat deshalb bereits Kontakt aufgebaut zu einem Museum vor Ort, Manuela Rochholl war erst vor kurzem persönlich dort. "Die Mitarbeiter*innen haben sich gefreut, dass wir uns gemeldet haben und sie helfen uns auch dabei, vor Ort Informationen zu den Objekten einzuholen."

Bleibt natürlich noch die Frage, ob die Beute von damals wieder zurückgegeben wird. Abschließend sei das noch nicht geklärt, meint Rochholl. Der Prozess sei kompliziert, auch rechtliche Aspekte spielten dabei eine Rolle. "Das Museum in Iringa hat bisher auch keine Rückgabe des Schildes gefordert." Man wolle, dass die Geschichte dahinter vor Ort in Gießen weitererzählt werden kann. "Aber man merkt vor Ort schon, dass es da eine Lücke gibt", meint Rochholl. Ein Schild aus dieser Zeit gebe es in Iringa nämlich nicht mehr.

Weitere Informationen

Im Oberhessischen Museum in Gießen läuft noch bis zum 15. Januar 2023 die Ausstellung mit dem Titel: Zwischen Sammelwut & Forschungsdrang. Koloniale Kontexte in Gießen.

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Damals Erbeutetes zurückgeben oder nicht?

Theodor Koch-Grünberg bei der Arbeit, 1911/13 (Zwischen Sammelwut & Forschungsdrang. Koloniale Kontexte in Gießen)
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