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Hier stirbt es sich in Hessen (literarisch) am schönsten

Collage mit Portraits von fünf Menschen auf einem dunkelblauen Hintergrund gesprenkelt mit roten Farbfeldernund kleinen Piktogrammen, die Kriminalistik symbolisieren.

Sie machen das Jugendstilbad in Darmstadt zum Tatort, lassen eine Frau in der Lahn verschwinden oder verwandeln Gelnhausen in einen Folterschauplatz. Fünf hessische Krimiautoren berichten vom literarischen Morden in der Region und zeigen: Gestorben wird nicht nur im Taunus.

Ein Leiche auf dem heimischen Feldweg, da, wo man jeden Tag entlang läuft: Grausamkeiten direkt vor der Haustür sind das Erfolgsgeheimnis von sogenannten Regionalkrimis. Sie seien in den vergangenen 20 Jahren zu einem relevanten Umsatzbringer für viele Verlage und Buchhandlungen geworden, sagt Jürgen Kron von der Interessengemeinschaft (IG) Regionalia des Börsenvereins des deutschen Buchhandels.

Kron schätzt, dass jedes Jahr rund 1.000 neue Regiokrimis auf den Markt kommen. Aus Hessen sind vor allem die Taunus-Krimis von Nele Neuhaus und die in Frankfurt angesiedelte Marthaler-Reihe von Jan Seghers bekannt. Literarisch gemordet wird aber auch anderswo: Der Odenwaldkreis beispielsweise lobte kürzlich einen eigenen Wettbewerb für Krimis aus der Region aus.

Wer sind die Menschen, die uns die mörderische Spannung in die Heimat bringen? Fünf Regiokrimi-Autorinnen und -Autoren von Nord- bis Südhessen erzählen von ihrer Arbeit.

Michael Kibler lässt in Darmstadt morden

Die Ideen kommen ihm wie aus dem Nichts. Nachdem er bei einem Besuch im damals neu eröffneten Jugendstilbad in Darmstadt drei ältere Damen mit Schwimmnudel entspannt im Wasser treiben sah, dachte er sich voller schriftstellerischem Tatendrang: "Okay, hier wird eine alte Dame umgebracht." Im Roman versteht sich. Und so wurde das Jugenstilbad in Darmstadt zum Tatort.

Kombination aus zwei Fotos: links Portrait Michael Kibler, rechts Bild vom Innenraumes eine Jugenstil-Hallenbades.

Michael Kibler hat bereits 17 Regionalkrimis rund um Darmstadt geschrieben, sein jüngster Roman erscheint im Oktober. Kibler hält sich an die Schriftsteller-Regel "Schreibe über das, womit du dich auskennst" - und mit Darmstadt kennt er sich aus, bezeichnet sich selbst sogar als "Darmstädter aus Leidenschaft". Dabei ist er genau wie sein Kommissar Steffen Horndeich ein Zugezogener.

Er habe "eine Topografie Darmstadts im Kopf, wo schon überall die Leichen gelegen und die Kommissare geforscht haben", sagt Kibler. Den großen Erfolg der Regiokrimis erklärt er sich mit dem zunehmenden gesellschaftlichen Wunsch nach einem Heimatgefühl. "In dieser überglobalisierten Welt ist das ein Wert, der so ein bisschen hinten runtergekippt ist." Gegen die Bezeichnung Heimatautor habe er nichts, "das nehme ich wirklich als Kompliment". Kiblers liebster Tatort: das Jugendstilbad in Darmstadt aus seinem Krimi "Schattenwasser".

Nicole Braun gruselt sich in Kassel

Manchmal gruselt sich Nicole Braun vor sich selbst. "Beim Schreiben denke ich: Oh mein Gott, wo nimmst du das eigentlich her?" Die Krimiautorin aus Kassel denkt gar nicht nach, wie sie jemanden literarisch tötet. "Ich schlüpfe in die Figuren und lasse sie es machen", sagt sie.

Über das festsitzende Vorurteil, Regionalkrimis seien schlechte Krimis, ärgert sich Braun. Ihnen werde unterstellt, die Orte nur deshalb darzustellen, damit die Leserinnen und Leser sie wiedererkennen. Für sie sei jeder Krimi ein Regionalkrimi, so Braun - "er muss ja irgendwo spielen".

Kombination aus zwei Fotos: links Portrait Nicole Braun, rechts s/wBild einer Frau mit zwei Hunden, die im Wald vor einer kleinen Holzhütte stehen bzw. liegen.

Nicht nur Braun, auch ihre Figuren sind Nordhessen, zum Teil sprechen sie sogar Kasseler Mundart. Die Nordhessen müsse man sich erarbeiten, sagt Braun, aber wenn man sie erst mal "durchbohrt" habe - im übertragenen Sinne, nicht im Krimiszenario - seien es "ganz, ganz herzliche Menschen". Brauns liebster Tatort: eine verfallene Waldhütte zwischen Helsa und Wickenrode (Kassel) aus "Heimläuten".

Felix Scholz macht die Lahn zum Leichenfundort

Felix Scholz ist neu im Krimi-Geschäft. Der 34 Jahre alte Marburger nutzte den Corona-Lockdown für seinen in Marburg angesiedelten Debütroman. "Ich kenne mich hier einfach am besten aus und fühle ich mich wahnsinnig wohl", so Scholz. Sogar seine Stammkneipe habe er untergebracht.

In seinem Regiokrimi versucht er den Charakter der Stadt und der Anwohnerinnen und Anwohner nachzuzeichnen: einerseits das linke Studierenden-Milieu, andererseits die rechten Burschenschaften. Aber auch Marburg als Pharmastandort spielt eine entscheidende Rolle. Die größte Arbeit habe für ihn weniger in der Recherche zur Region bestanden als vielmehr zu der Frage, wie Polizeiarbeit funktioniert, sagt Scholz: "Da musste ich mir auch vorher noch mal das eine oder andere Sachbuch durchlesen."

Kombination aus zwei Fotos: links Portrait Felix Scholz, rechts Bild von der Lahn, im Hintergrund Marburg

Der Regiokrimi sei eine seltsame Mischung aus einem normalen Krimi und einem Heimatroman. Die Schwierigkeit daran: beides zu verbinden, ohne zu große Abstriche in einem der beiden Genres zu machen, erklärt Scholz. Er hoffe, dass auch Leserinnen und Leser außerhalb von Marburg Spaß an seinem Buch haben. Für Nachschub ist auf jeden Fall gesorgt. Sein zweiter Regiokrimi liegt schon zum Druck bereit. Scholz liebster Leichenfundort: die Lahn wie in seinem Krimi "Tod in Marburg".

Matthias Fischer zieht Inspiration aus dem Kinzigtal

Ein Pfarrer, der Krimis schreibt - passt das zusammen? Für Matthias Fischer auf jeden Fall. Sein Berufsstand habe eine Affinität zu Krimis, sagt er. "Wir lesen gern Krimis und ich schreibe gerne Krimis." Die Idee dazu kam ihm durch den schwedischen Ermittler Kurt Wallander von Erfolgsautor Henning Mankell. Das sei ja nichts anderes als ein Regionalkrimi.

Inspiration für seine Bücher ziehe er aus den Kleinstädten und dunklen Wäldern im Kinzigtal (Main-Kinzig), Vogelsberg und Spessart. "Ich laufe durch die Region und denke mir: Ach, guck mal, das wäre eigentlich ein toller Leichenfund dort. Oder: Das wäre ein guter Tatort. Hier könnt’s eigentlich mal richtig knallen", sagt Fischer.

Kombination aus zwei Fotos: links Portrait Matthias Fischer, rechts Bild des historischen, runden Turms "Hexenturm".

Der gebürtige Hanauer hat Leserinnen und Leser in der hessischen Heimat, aber auch eine kleine Fangemeinde in Berlin. Darauf ist Fischer stolz. "Die finden es toll, dass etwas nicht immer nur in den Großstädten stattfindet." In den Dörfern der kleinen Regionen gebe es einfach mehr urige Persönlichkeiten. Fischers liebster Tatort: der Hexenturm in Gelnhausen aus "Die Farben des Zorns".

Jule Heck lässt ihre Krimis in der Wetterau spielen

Dass Jule Heck mal Krimiautorin werden würde, war nicht geplant. Einem erkrankten Freund sagte sie zum Spaß: "Ich schreibe mal einen Krimi für dich." Gesagt, getan. Inzwischen umfasst Jutta Hecks Krimi-Reihe "Tod im Schatten der Burg" acht Teile. Die Burg aus dem Titel ist die Burg Münzenberg, das Wahrzeichen der Wetterau.

Kombination aus zwei Fotos: links Portrait Jule Heck, rechts Bild einer Wiese mit Schafen.

An Ideen mangelt es ihr nicht. "Ich muss nur die Zeitung aufschlagen oder auf die Straße gehen", sagt Heck. "Ich höre irgendwas und sofort fällt mir dazu eine Geschichte ein." Sie selbst lese gerne Krimis aus Franken und Bamberg, weil ihr die Region so gut gefalle. In ihren eigenen Krimis bleibe sie aber lieber in der Wetterau. Hecks liebster Tatort: die Wiesen rund um die Burg Münzenberg wie in ihrem Krimi "Tod im Schatten der Burg: Im Kalten Loch".

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