Intendant Florian Lutz steht mit verschränkten Armen auf der Bühne des Kasseler Staatstheaters

Der Intendant auf der einen Seite, Orchester und Generalmusikdirektor auf der anderen Seite, dazwischen die Politik: Am Staatstheater in Kassel hängt der Haussegen schief. Wie kann es weitergehen?

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Streit am Staatstheater Kassel

Interview im Theater
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Seit Monaten wird gestritten am Staatstheater Kassel. Das Übel allen Zorns: die Positionierung des Orchesters. Die Positionierung auf der Bühne, aber auch die im Betrieb des Theaters. Denn die Musiker fühlen sich nicht richtig verstanden - weder akustisch, noch in ihrer Rolle, weder vom Publikum, noch von der Intendanz oder der Politik.

Auf der Raumbühne "Antipolis" hätten sie zu wenig Platz, kritisieren die Musiker. Die musikalische Qualität sei dadurch gefährdet. Der Versuch der Intendanz, diese Kritik hinter den Kulissen zu halten, versetzte zuletzt nicht nur das Orchester, sondern auch die Öffentlichkeit in Aufruhr. Die Querelen, aufgeschrieben in drei Akten.

Prolog: Ein neuer Vertrag

Anfang März diesen Jahres unterschreibt Florian Lutz seinen neuen Vertrag. Vorher bereits bis 2026 verpflichtet, verlängert der Intendant des Kasseler Staatstheaters bis ins Jahr 2031. Die damalige Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) habe den Vertrag für das Land bereits im Januar unterzeichnet. Es habe in der Gesamtabwägung auch keine Gründe gegeben, dies nicht zu tun, sagt der Kasseler Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne).

Das Orchester ist damals fassungslos. Denn bereits ein halbes Jahr zuvor hatte es sich über den Intendanten beschwert, sich sogar deutlich gegen eine Verlängerung ausgesprochen. Nur etwa 15 Prozent der Belegschaft macht das Orchester am Staatstheater aus, doch haut es ordentlich auf die Pauke.

Während das Orchester lieber klassische Oper produzieren will, steht die Intendanz für modernes Musiktheater und einen frischen Wind auf der Bühne. In den neuen Inszenierungen wird das Orchester deshalb an unterschiedlichen Stellen auf der Bühne positioniert. Mitunter auch am Rand der Bühne und umgeben von Publikum.

Für den Besucher ein 360-Grad-Erlebnis, für das Orchester eine Herausforderung. Es erschwere das Zusammenspiel und die Konzentration, monieren die Musikerinnen und Musiker.

Dirigent Francesco Angelico hatte seinen Vertrag schon vor dem Konflikt um die Raumbühne im Sommer 2022 auslaufen lassen - aus privaten Gründen, sagt Intendant Lutz. Die Suche nach einem Nachfolger stürzt die Institution schließlich ins Chaos.

Ein leerer Orchestergraben vor der Bühne

Akt I: Die Causa Generalmusikdirektor

Ein neuer Dirigent, auch Generalmusikdirektor genannt, muss also her. Ein Bewerber kommt dafür zum Probedirigat und wird danach vom Orchester bewertet. Auf Nachfrage des Agenten des Bewerbers gibt der Orchestervorstand das Abstimmungsergebnis ohne Rücksprache preis: Er sei nicht als neuer Dirigent gewünscht. Der Bewerber zieht daraufhin seine Bewerbung zurück.

Mitglieder des Orchestervorstands erhalten deshalb eine Abmahnung und drei Ermahnungen wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Oberbürgermeister Schoeller findet das gerechtfertigt: "Da gab es Indiskretionen, die im Raum stehen, auf die ein Arbeitgeber durchaus mit einer Abmahnung reagieren kann", sagt er im Gespräch mit hessenschau.de.

Im Oktober trifft sich ob des Vorfalls die Theaterleitung mit dem Orchestervorstand, danach beschließt Intendant Lutz, ein Schreiben aufzusetzen.

Akt II: Ein verhängnisvoller Brief

In seinem Brief an das Staatsorchester, der auch hessenschau.de vorliegt, erinnert der Intendant "auch auf Anregung und Bitte unseres Orchestervorstandes" alle Orchestermitglieder an die "Verschwiegenheits- und Treuepflicht gegenüber den Interessen des Arbeitgebers". Doch Lutz legt diese Pflicht zu weitreichend aus.

Das Orchester zieht mithilfe der Gewerkschaft "unisono" vor das Kasseler Arbeitsgericht. In einem Vergleich erwirken sie, dass der Brief und die Abmahnungen Ende Januar zurückgezogen werden. "Es gibt eine Verschwiegenheitspflicht, aber die reichte nicht so weit, wie der Intendant sie seinerzeit gern formuliert hätte", sagt unisono-Geschäftsführer Gerald Mertens: "Der Intendant hatte hier seinen Rahmen völlig überzogen".

Lutz selbst sieht das etwas anders: "Es gab eine Formulierung auf zwei Din-A4-Seiten, die den Bereich der freien Meinungsäußerung tangierte und nicht korrekt war." Zweck und Inhalt des Briefes war jedoch ein anderer, sagt der Intendant: Aufklärung der Belegschaft über die Kommunikationsgepflogenheiten des Hauses.

Doch der Brief hat fatale Folgen für das Ansehen des Intendanten. Von einem "Maulkorberlass" spricht die Gewerkschaft unisono, von einem "Maulkorbbrief" die FAZ.

Akt III: Das Orchester und die Medien

Auch nach der gerichtlichen Auseinandersetzung können die Gräben nicht überwunden werden. Immer wieder wenden sich verschiedene Personen rund um das Theater an die Öffentlichkeit und kritisieren den Intendanten sowie die grundsätzliche Ausrichtung des Hauses.

Das sei das eigentliche Problem, sagt Florian Lutz im Interview: "Was schief läuft, ist, dass die notwendige und wichtige und richtige Grundsatzdiskussion von Teilen des Orchesters in den letzten Monaten an die Öffentlichkeit getragen wurde – und dass sie teilweise auch in einer Weise verallgemeinert wurde, wie sie auf unseren Spielplan gar nicht zutrifft". Die musikalischen Experimente mit dem Orchester würden etwa nur punktuell durchgeführt.

Die Raumbühne im Staatstheater Kassel

Seit einiger Zeit mischt bei alldem auch Generalmusikdirektor Francesco Angelico mit. Er war für hessenschau.de zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen. Der HNA sagte er aber, es gebe ein "unterschiedliches Verständnis der Rolle der Musik" zwischen Orchester, Intendanz und Dramaturgen.

Das deutete sich bereits in einem früheren Zerwürfnis an. Damals habe Angelico versucht, einer Regisseurin in einer "problematischen und unangemessenen Form" seinen künstlerischen Willen aufzuzwingen - sagt Florian Lutz. Schon damals musste der Intendant intervenieren, wie er berichtet, doch Angelico habe das Dirigat entgegen der Anweisungen des Ministeriums und der Intendanz verweigert.

"Faktisch war das eine schwerwiegende Vertragsverletzung, wo auch klargestellt wurde, dass sie sich so nicht wiederholen darf", sagt Florian Lutz. Unbenommen davon sei Angelico ein hervorragender Dirigent, betont der Intendant.

Auch bei der aktuellen Produktion sei es erneut zu Zoff gekommen. Eine Regieanweisung während der Proben für die neue "Hamletmaschine" habe seine Gefühle verletzt, erzählte der Dirigent im erwähnten Interview. Hier habe der Intendant aber vermitteln können. Doch auch hier stellt sich die Frage: Nimmt sich das Orchester möglicherweise zu wichtig?

Epilog: Die Zukunftswerkstatt

In jedem Fall trägt der medial ausgetragene Streit nicht zur Befriedung bei, sagt Lutz. Gleichzeitig gebe es aber häufig Diskussionen im Opernbereich, wenn mit dem Musiktheater neue Wege gegangen würden.

"Es gibt sehr viele Beschäftigte, die sich auch öffentlich sehr für Herrn Lutz positioniert haben und die das, was da in den Raum gestellt wird, deutlich zurückgewiesen haben", sagt Oberbürgermeister Schoeller.

Um wieder eine Brücke zwischen den verschiedenen Fraktionen im Staatstheater zu bauen, müsse besser kommuniziert werden, betont Gerald Mertens von unisono.

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Zoff am Kasseler Staatstheater

Die Raumbühne
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Die Intendanz hätte früher in den Dialog gehen und Dinge klar ansprechen müssen, so der Gewerkschaftsführer. Eine vom Kunstministerium und der Stadt Kassel geplante Mediation halte er nun für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Auch Lutz ist davon überzeugt, dass es diese Rückkehr zum konstruktiven Dialog braucht.

"Die Zukunftswerkstatt soll ab Sommer Raum für einen vertrauensvollen Dialog und die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen für künstlerische und strukturelle Herausforderungen bieten", heißt es zu dem neuen Vorhaben in einer Stellungnahme des Kunstministeriums an den hr.

In diesem Austausch würden alle Mitarbeiter des Staatstheaters Kassel miteinbezogen – um die Kunst am Theater endlich wieder in den Mittelpunkt rücken zu können.

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