Visualisierung der Idee: In der Straße zwischen Wohnhäusern sind viele Menschen und Pflanzen - und keine Autos - zu sehen.

Autoarm, mehr Flächengerechtigkeit und Lebensqualität im Quartier: Darmstadt hatte angekündigt, Hessens ersten "Superblock" einführen zu wollen. Im Frühjahr soll der Verkehrsversuch starten, allerdings in abgespeckter Form. Dafür hagelt es Kritik.

Im Frühjahr 2024 fällt der Startschuss für Hessens ersten "Superblock" in Darmstadt. Das hat die Stadt kürzlich bekanntgegeben. Noch vor einem Jahr sprach der damalige Mobilitäts- und heutige Umweltdezernent Michael Kolmer (Grüne) nicht ohne Stolz von einem "Pilotversuch", der "Vorbildwirkung" für andere Städte haben solle.

Er schwärmte von entsprechenden Projekten aus Barcelona, wo auch der Name "Superblock" entstand: Wenig bis keine Autos, viel Platz für Fahrräder, Fußgänger und spielende Kinder. Kolmer nannte es ein "autoarmes Quartier".

Jetzt - mittlerweile leitet Paul Wandrey von der CDU das Mobilitätsdezernat - wurde die Stadt konkret und hat die Pläne für Darmstadts "Superblock" vorgestellt. Als Fläche für den ein Jahr dauernden Verkehrsversuch hat sich die Projektleitung wie erwartet den Lichtenbergblock im Südosten des Martinsviertels auserkoren.

Abgespeckte Variante

Wobei der Name "Superblock" nun nicht mehr so richtig passt. Verglichen mit dem Vorbild Barcelona ist eher ein "Nicht-mehr-ganz-so-Superblock" daraus geworden. Von der radikalen Umsetzung der Idee in der spanischen Metropole ist in Südhessen wenig übriggeblieben. Tatsächlich heißt das Projekt bei der Stadt mittlerweile auch "Heinerblock". Für alle, die nicht in Darmstadt wohnen: Als Heiner werden echte Darmstädter und Darmstädterinnen bezeichnet, die noch unverfälschten Dialekt sprechen.  

Grafische Darstellung der geplanten Maßnahmen in Darmstadts Lichtenbergblock
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Superblocks in Barcelona

In den Superblocks in Barcelona werden bis zu neun bestehende Häuserblocks zusammengefasst. Innerhalb der Blocks haben Fuß- und Radverkehr Vorrang. Bei zweispurigen Straßen wird eine Spur weggenommen und etwa für Spielgelegenheiten, Gastronomie oder Parkbänke zur Verfügung gestellt. Hochbeete, Blumenkübel und Bäume sorgen für mehr Grün und eine einladendere Atmosphäre. Autos dürfen innerhalb der Blöcke höchstens 20 km/h fahren. Insgesamt sollen 503 solcher Blocks entstehen. Nach Angaben der Stadt würden somit 60 Prozent der zuvor von Autos genutzten Straßen frei werden.

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Viel Platz für Fuß- und Radverkehr: Eine umgestaltete Straße in einem Superblock in Barcelona.

Während das Modell Barcelona eine radikale Verkehrsberuhigung der Straßen, mehr Fahrradwege und Grünflächen sowie eine weitestgehende Verbannung des Autoverkehrs innerhalb eines Blocks vorsieht, geht Darmstadt im "Heinerblock" deutlich vorsichtiger vor. Auch im Vergleich zu einem früheren Entwurf der Bürgerinitiative "Heinerblocks", die nach Angaben beider Seiten stets in engem Austausch mit der Stadt stand, sind nur noch einzelne Fragmente übrig.

Der "Heinerblocks"-Entwurf sah ein Einbahnstraßensystem im ganzen Lichtenbergblock vor, Straßenabschnitte und die Flächen rund um die Plätze im Quartier sollten komplett autofrei werden. Die Stadt geht andere Wege: Im nun vorgestellten Plan für den Verkehrsversuch wird lediglich eine Straße am Lichtenbergplatz für Autos gesperrt. Die davon abgehende Lichtenbergstraße soll teilweise verkehrsberuhigt und als Spielstraße ausgewiesen werden. Einbahnstraßen werden nur dosiert eingesetzt, Fahrradwege werden keine gebaut.

Die Initiative Heinerblocks hat ein Verkehrskonzept für den Lichtenbergblock ausgearbeitet.

"Wir müssen die Vision natürlich an die Gegebenheiten in Darmstadt anpassen und unseren eigenen Weg gehen", sagte Projektleiterin Sabrina Hadwiger vom Mobilitätsamt in dieser Woche bei einer Infoveranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger des Martinsviertels. Ein "Superblock" nach katalanischem Vorbild sei eine Vision, die man nicht einfach so auf die bestehenden Strukturen im Lichtenbergblock übertragen könne.

Fokus auf Parkplatzsituation

Für die Stadt steht bei dem Verkehrsversuch vor allem die Parksituation im Fokus, wie aus einer Präsentation hervorgeht. Derzeit werden im Lichtenbergblock fast alle Gehwege zum Parken von Autos genutzt, oft lassen sie sich vor allem mit Kinderwägen oder Rollstühlen kaum noch passieren. "Wir wollen den Durchgangs- und Parksuchverkehr im Quartier reduzieren und die Gehwege wieder nutzbar machen", sagte Mobilitätsdezernat Wandrey auf der Infoveranstaltung. 

Dazu sollen die Parkflächen auf die Straße verlagert werden und die Zahl der Autos im Quartier insgesamt verringert werden. Dabei helfen soll die Parkraumbewirtschaftung, die im Dezember für das Viertel eingeführt wird. Erfahrungen aus anderen Vierteln der Stadt hätten gezeigt, dass der Parkdruck in den betroffenen Gegenden dadurch signifikant nachlasse. Auch Carsharing soll ausgebaut werden.

Im ersten Aufschlag entpuppt sich der Heinerblock also als eine Art erweitertes Parkmanagement mit einem Hauch von Superblock. Wandrey stellte allerdings in Aussicht, nach einer möglichen positiven Evaluation der Testphase tiefgreifendere Maßnahmen durchzuführen und sich der Vision eines Superblocks weiter annähern zu wollen.

"Ambitionslos": Initiativen üben Kritik

Für den Verkehrsversuch in der geplanten Form gab es von einigen Initiativen, allen voran "Heinerblocks", scharfe Kritik. Die Pläne seien "ambitionslos", heißt es in einer Mitteilung der Initiativen, zu denen unter anderem auch der ADFC Darmstadt-Dieburg, der Klimaentscheid Darmstadt, Parents for Future Darmstadt und Scientists for Future gehören.

"Das volle Potenzial wird bei weitem nicht ausgeschöpft", kritisiert Luisa Emrich von "Heinerblocks". "Mit der Neuordnung des Parkraums macht die Stadt eigentlich nur, was sie schon vor Jahren hätte tun müssen", sagte ihr Kollege Johannes Rümmelein. Ob die von Wandrey in Aussicht gestellten weiteren Maßnahmen nach der Testphase überhaupt kommen, bezweifelt Rümmelein.

Die Initiative Scientists for Future bemängelt den fehlenden Mut der Stadt: "Ein Verkehrsversuch dient dazu, etwas auszuprobieren, die Wirkung zu prüfen und dann zu evaluieren", sagte ein Sprecher. Das ergebe aber nur Sinn, "wenn auch wirklich grundlegende Änderungen vorliegen und nicht nur Einzelmaßnahmen vorgenommen werden".

Gemischte Gefühle im Quartier

Die Stimmung unter den Anwohnerinnen und Anwohner auf der Infoveranstaltung war gespalten. Viele freuen sich, dass das Problem der zugeparkten Gehwege endlich angegangen wird und einige Straßen verkehrsberuhigt werden. "Ich bin froh, dass etwas passiert. Die geplanten Maßnahmen sind ein Schritt in die richtige Richtung", sagte ein Besucher. Anderen ging der Plan ähnlich wie den Initiativen nicht weit genug. Generelle Ablehnung des Verkehrsversuchs war allerdings nicht zu vernehmen.

Mobilitätsdezernent Wandrey kann die Kritik unterdessen nicht nachvollziehen. "Wir müssen alle betroffenen Personen mitnehmen, wenn dieses Vorhaben gelingen soll", erklärte er in einer Mitteilung die vorsichtige Herangehensweise der Stadt. Diese Vorgehensweise werde "gut angenommen, vor allem auch deshalb, weil dadurch nicht zu viel auf einmal gewollt wird".

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