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Digitaler Zwilling von Deutschland entsteht in Frankfurt

Eine Frau steht in einem kleinen abgetrennten Bereich, auf dem drei Beamer Häuser und einen Fluss in einer digitalisierten Variante projizieren.

Hochwasserlagen einschätzen, Rettungen organisieren, Polizeieinsätze planen: Damit das künftig besser gelingt, werden in Frankfurt gigantische Datenmengen gesammelt. Ein punktgenaues Abbild von Deutschland soll Einsatzkräften dabei helfen, sich auf gefährliche Situationen vorzubereiten.

Versteckt in der Nähe des südlichen Frankfurter Stadtrandes befindet sich ein eher unbekannter Ort mit immenser Bedeutung für Katastrophenlagen in Deutschland: das Bundesamt für Kartografie und Geodäsie (BKG).

So versteckt wie das Bundesamt selbst sind seine Arbeitsfelder: Hier werden etwa der digitale Waldbrandatlas erstellt, der aktuelle Waldbrände, Gefährdungsstufen und Rettungspunkte für Wanderer zeigt, an Satelliten und ihrer Positionierung geforscht, sowie, das Stichwort "Kartografie" verrät es, allerlei Karten angefertigt.

Und "Geodäsie"? Was zunächst wie eine Diagnose klingen mag, bedeutet nicht weniger als die "Vermessung der Welt". Genau das geschieht hier, wenn auch eher nüchtern-behördlich und nicht so dramatisch-historisch wie im gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann.

"Digitaler Zwilling" von Deutschland

Es ist zwar viel Hintergrundarbeit, die von den rund 400 Beamten erledigt wird. Doch ob Polizei, Rettungskräfte oder Katastrophenschutz - sie alle sind auf die Daten des BKG angewiesen.

Derzeit arbeite man an einem "Digitalen Zwilling", erklärt Paul Becker, der Präsident des Bundesamts, sein Prestigeprojekt. Für Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder sollen so verlässliche Geodaten erstellt werden - etwa dreidimensionale Umgebungen, die in Notlagen für Feuerwehr, Technisches Hilfswerk oder Polizei hilfreich sein können.

Humanitäre Katastrophen ließen sich dann besser bekämpfen - wie etwa im Ahrtal. Laut Becker ist es möglich, anhand von Hochwassermodellen zu berechnen, wo ein Fluss über die Ufer treten könnte.

Die Technik kann aber auch bei Fußballspielen eingesetzt werden: So erstellt das Bundesamt Lagepläne von Fußballstadien, die für die anstehende Europameisterschaft genutzt werden sollen. Die Polizei könne so im Vorfeld, ohne vor Ort zu sein, neuralgische Punkte überprüfen und im Sicherheitskonzept berücksichtigen.

Zu Fuß durchs digitale Darmstadt

Zur Visualisierung des "Zwillings" benötigt es etwas Technik: Keine 3D- oder VR-Brille, sondern drei Leinwände, die von Projektoren bespielt und mit Sensoren an Armen und Beinen gesteuert werden, lassen es zu, durch die Umgebung - zum Beispiel über den Schlossplatz von Darmstadt - zu laufen. Ganz Deutschland soll bis zum Projektende 2027 so erlebbar sein - für jedermann.

Eine Frau steht in einem kleinen abgetrennten Bereich, auf dem drei Beamer den Schlossplatz von Darmstadt in einer digitalisierten Variante projizieren.

Dennoch: Der eigentliche "Digitale Zwilling" sei nicht die Visualisierung, betonen Mitarbeiter des BKG. Entscheidend seien die gigantischen Datenmengen im Hintergrund, die gesammelt wurden - etwa mit Flugzeugen, die Städte nach und nach vom Himmel aus abgescannt haben - und mit denen man alles Erdenkliche berechnen könne.

Dinge simulieren, die man in echt gar nicht sehen will

"Wir können Dinge simulieren, die man in Natura vielleicht gar nicht sehen will", erklärt BKG-Präsident Becker: Ein Starkregenereignis und die damit einhergehenden Effekte, Überschwemmungen, Zerstörungen können dargestellt werden. "Bevor sich die Einsatzkräfte in eine gefährliche Situation begeben, gehen sie in eine Simulation", sagt Becker, "das ist ein mächtiges Tool".

Auch bei der Stadtplanung helfe der "Digitale Zwilling". Möchte man etwa Städte gegen anhaltende Hitze umbauen, könnten die Modelle berechnen, ob Frischluftschneisen durch das Bauen eines Hochhauses zerstört würden. Ein neues Gebäude könne digital erzeugt, in die Umgebung eingepflanzt und ausgewertet werden.

Faeser: Antrittsbesuch zwei Jahre zu spät

Bundesinnenministerin Nancy Faeser - qua Amt oberste Dienstherrin der Behörde - weiß das zu schätzen. Das Bundesamt und seine Projekte seien "eine kleine Perle, deren großen Wert man erst durch nähere Betrachtung" sehe, sagte sie am Montag bei ihrem Amtsbesuch.

Nancy Faeser und Paul Becker stehen vor der Villa Mumm.

Den Termin nahm sie zu Beginn gleich zum Anlass für eine Entschuldigung: So habe sie es "trotz räumlicher Nähe" (Faeser wohnt im Taunus, Anm. der Red.) erst jetzt, zwei Jahre später als gewollt, zu einem Antrittsbesuch geschafft.

"Wenn wir in der Lage sind, mit einem Digitalen Zwilling auch Einsatzlagen zu beobachten, dann wird das natürlich auch eine wichtige Rolle spielen", sagte Faeser. Womöglich ja schon bei der im Juni anstehenden Fußball-Europameisterschaft.

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