Boris Rhein und Nancy Faeser

In einem Monat wollen CDU und SPD ihre neue Koalition in Hessen ausgehandelt haben. Ziel ist ein anti-grüner Politikwechsel. Über Wesentliches müssen sie gar nicht mehr streiten.

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Koalitionsverhandlungen: Was CDU und SPD planen

Ute Wellenstein
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Jetzt geht es los: CDU und SPD beginnen, über ihre geplante neue Koalition in Hessen zu verhandeln. Am Dienstag wird vorsortiert, von Mittwoch an geht es inhaltlich zur Sache. Dann ist Scheitern für keinen eine Option. Bereits am 16. Dezember sollen die jeweiligen Landesparteitage der künftigen Partner ihr Okay geben.

Auch die Politik, die Schwarz-Grün ablösen soll, ist abgesteckt. Das steht in einem Papier, das am Ende von fünf Sondierungsgesprächen seit der Hessen-Wahl am 8. Oktober stand.

Schwerpunkte und Knackpunkte

"Eckpunktepapier einer Hessenkoalition der Verantwortung" sind die sechs Seiten überschrieben. Unter dem Titel "So grün wird es nicht wieder" hat die FAZ die Sache so zusammengefasst: "Gendern war gestern, jetzt wird abgeschoben."

Manches ist vage, als Absichtserklärung formuliert. Manches ist schon ganz konkret. Vieles ergibt sich erst in den Verhandlungen - in Arbeitsgruppen oder in der Schlussrunde, wenn Summen festgeklopft werden. Einiges entscheidet sich gar nicht in Wiesbaden, gegen anderes gibt es neben politischer Kritik verfassungsrechtliche Bedenken.

Wo aber liegen die Schwerpunkte der schwarz-roten Pläne? Und wo absehbare Streitpunkte künftiger Debatten?

Was CDU und SPD schon planen

  • Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat einen "christlich-sozialen" Politikwechsel angekündigt. Gewünscht ist laut Eckpunkte-Einleitung "eine Koalition für Freiheit und Vernunft, für Stabilität, soziale Sicherheit und sanfte Erneuerung gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und nicht gegen sie".
  • Dahinter steht eine scharfe Abgrenzung zum zehnjährigen Regieren mit den Grünen und zur Ampel-Bundesregierung - und unausgesprochen auch zur langen Regierungszeit unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Sicherheit und Wohlstand für alle sollen in Krisenzeiten auf eine neue Basis gestellt werden: mit "breiter Mehrheit", ohne "alte Kompromisse".
  • Der Wählerauftrag ist ziemlich klar, die Kräfteverhältnisse in den Koalitionsgesprächen sind eindeutig: Rhein und die CDU haben mit 52 Mandaten fast genauso viele wie die Ampel-Parteien nach ihren schweren Verlusten zusammen. Die CDU-Fraktion ist damit weit mehr als doppelt so groß wie die der SPD mit ihren 22 Abgeordneten.
  • Im allgemeinen Teil wird die Klimapolitik nicht erwähnt, sie steht an vorletzter Stelle aller zehn Schwerpunkte. Als er mit Hilfe der Grünen Ministerpräsident werden wollte, hatte Rhein sie noch in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt.
  • Auch der unterschiedliche Umfang, den CDU und SPD in ihrem Dokument den Posten widmen, sagt etwas aus. Auf den vorderen drei Plätzen sind Themen mit klassischer CDU-Handschrift:  Sicherheit (2.000 Zeichen), Wirtschaft und Forschung (1.828 Zeichen) sowie Migration (1.661 Zeichen). Für Energie, Klima- und Umweltschutz reichten 1.084 Zeichen.
  • "Begrenzung der irregulären Migration" ist - auch als Reaktion auf das Wahlergebnis der AfD - ein Kernpunkt des Papiers. Direkten Einfluss darauf hat das Land nicht. Geplant sind Initiativen auf Bundesebene: etwa um mehr sichere Herkunftsländer festzulegen, aber auch für die auch in der SPD höchst umstrittenen Asylverfahren außerhalb der EU. Überhaupt werden sich der linke Flügel der Partei und vor allem die Jusos mehr als schwer mit dieser Migrationspolitik tun.
  • Abschiebungen will Hessen "konsequent durchsetzen" - auch mit einer Ausweitung der Abschiebehaft und des Rechts von Behörden, Wohnungen zu betreten. Allerdings scheitern viele Abschiebungen an der Weigerung von Heimatländern, die Menschen aufzunehmen.
  • Nur Menschen mit Bleibeperspektive sollen in Kommunen untergebracht werden. Das heißt zwangsläufig: Solange die Zahl der Asylbewerber nicht sinkt, ist die Vergrößerung der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes nötig. Vergrößert werden sollen auch die Ausländerämter.
  • Geflüchtete sollen kein Bargeld mehr bekommen, sondern eine Bezahlkarte.
  • Der Besuch von Deutschkursen und Rechtsstaatsunterricht soll zur Pflicht werden.
  • Der "starke Staat", den Rhein verspricht, will mehr Polizisten einstellen. Für sie sind eine bessere Ausstattung und höhere Zulagen vorgesehen.
  • Im öffentlichen Raum ist mehr Überwachung samt KI-Einsatz angestrebt. Videoüberwachung soll leichter zugelassen und neben dem Filmen offenbar auf Abhören ("Akkustik") erweitert werden. Auch der Einsatz von Gesichtserkennung ist geplant.
  • Außerdem will Hessen via Bundesrat die Vorratsdatenspeicherung durchsetzen - etwa im Kampf gegen Kinderpornographie im Netz. Bundesinneministerin Nancy Faeser, als SPD-Spitzenkandidatin gescheitert, will das längst. Ihr Justiz-Kollege im Kabinett, Marco Buschmann (FDP), ist lediglich zum Daten-Einfrieren ("Quick Freeze") bei konkretem Verdacht bereit.
  • Die SPD hat ihren alten Streit mit der CDU über die Gesamtschule tunlichst nicht wieder aufgenommen. Es bleibt beim mehrgliedrigen Schulsystem mit Noten und Sitzenbleiben - den Pflock hat die Union eingerammt.
  • Mehr Lehrer sollen eingestellt werden.
  • In der Opposition hat die SPD jahrelang einen schleppenden Ausbau zu Ganztagsschulen beklagt. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung soll nun "vollendet" werden. Die CDU, die nicht-staatlicher Betreuung Vorrang gibt, sicherte sich den Vorbehalt, Vereine und außerschulische Angebote müssten stark eingebunden werden.
  • Ein Investitionsprogramm für Kitas ist geplant.
  • Das letzte Kita-Jahr wird zur Pflicht - eine Reaktion vor allem auf fehlende Deutschkenntnisse vieler Erstklässler.
  • Weil viele von der Pleite bedroht sind, wird in Zusammenarbeit mit dem Bund und ohne Details den Kliniken eine verlässliche Finanzierung versprochen. Das gilt gerade für kleine Häuser auf dem Land.
  • Es soll mehr medizinische Versorgunsgzentren (MVZ) geben.
  • Gegen den Ärztemangel will die designierte Koalition die Landarztquote und die Zahl der Medizin-Studienplätze anheben.
  • Ein Landespflegegeld zusätzlich zu Leistungen aus der Pflegeversicherung ist geplant. Solche Hilfen gibt es zum Beispiel in Bayern schon.
  • Eine noch nicht näher umschriebene "Initiative für Baulandgewinnung" wird angekündigt. Planungen und Genehmigungen sollen erleichtert werden.
  • Das von Rhein versprochene Hessengeld soll fließen, bis der Bund nachgezogen hat: ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für das erste selbstgenutzte Wohneigentum von 10.000 Euro pro Käufer plus 5.000 für jedes Kind.
  • Hessen Noch-Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) hat beschleunigte Verfahren für sieben von 30 Autobahn-Ausbauprojekten abgelehnt, die Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vorgeschlagen hatte. Die Ablehnung will Schwarz-Rot offenbar revidieren. Man wolle alle Angebote Wissings annehmen heißt es. Das könnte auch grünes Licht für die umstrittene Erweiterung der A5 vor Frankfurt auf zehn Spuren heißen.
  • Das fällt in die Sondierungs-Kategorie "Ländlicher Raum". Dieser soll unter anderem mit einem "Hessen-Euro" für Vereine pro Mitglied und Monat gefördert werden.
  • Höhere Fördersätze für Feuerwehren und den Katastrophenschutz sind auch geplant.
  • Der Wolf soll bejagt werden dürfen. Auch sonst dürfen Jäger mehr Rechte erwarten.
  • Der Wirtschaft soll neben mehr Tempo bei Planungen und dem Abbau von Bürokratie ein Fonds zur Förderung von Investitionen und Forschung helfen. Die Höhe wird noch nicht genannt.
  • Hessen erhält ein eigenes Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau, Jagd und Heimat. Gerade viele Bauern und Jäger klagen über zu viele Auflagen des bislang zuständigen, grün geführten Umweltministeriums.
  • Das erst 2021 von Schwarz-Grün novellierte Vergabe- und Tariftreuegesetz bei öffentlichen Aufträgen soll reformiert werden. Die SPD sah damals den Schutz von Arbeitnehmern vor Dumpinglöhnen begraben.
  • Bis spätestens 2045 soll Hessen klimaneutral sein. Bei aller Abkehr von grüner Politik: Zu dem Klimaziel bekennen sich CDU und SPD. Es ist aber ohnehin ein deutsches und europäisches Klimaziel.
  • Der Ausbau der Photovoltaik soll mit einem 100.000-Dächer-Solarprogramm an Fahrt gewinnen.
  • Eine Härtefall-Regel soll Menschen helfen, die durch gesetzliche Vorgaben beim Heizungstausch in die Bredouille geraten.
  • Zu Aufregung führte die Ankündigung, die neue Regierung werde den Verzicht auf das Gendern mit Sonderzeichen an staatlichen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wie Schulen, Unis und dem Rundfunk "festschreiben". Gemeint sind typografische Zeichen für geschlechtergerechtes Formulieren wie Genderstern, Doppelpunkt oder Binnen-I.
  • Der hr erklärte, er warte "interessiert die Verhandlungen der designierten Landesregierung und das Ergebnis zum Thema Gendern im Koalitionsvertrag" ab. Im hr werde gendersensible Sprache verwendet, "weil sie alle meint, alle zeigt und alle anspricht". Die Art des Genderns ist den Redaktionen aber nicht vorgegeben (hier mehr zum Umgang von hessenschau.de mit dem Gendern).
  • Der hessische Landesverband des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) reagierte mit Hinweis auf die Rundfunkfreiheit empört auf ein mögliches Genderverbot im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ihr Vorsitzender Knud Zilian sagte, dies wäre verfassungswidrig und "eine ungeheure politische Einflussnahme".
  • Laut Umfragen ist eine Mehrheit der Deutschen für eine geschlechtergerechtere Sprache, aber gegen Sonderzeichen.
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