FDP-Spitzenkandidatin Bettina Stark-Watzinger im Vordergrund. Vor ihr steht eine kleines Fähnchen mit der Deutschlandflagge. Im Hintergrund eine Küchenzeile.

Bei den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl könnte die FDP zum Zünglein an der Waage werden. Die hessische Spitzenkandidatin Bettina Stark-Watzinger erklärt, unter welchen Bedingungen sie dieses Mal mitregieren würde.

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Bettina Stark-Watzinger in der "WählBAR"

Politikerin Bettina Stark-Watzinger im Portrait, am Tisch sitzend im Gespräch
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2017 holte sie noch knapp elf Prozent der Erststimmen im Main-Taunus-Kreis, nun sollen es mehr werden: Die hessische Spitzenkandidatin der FDP, Bettina Stark-Watzinger, glaubt fest an zweistellige Ergebnisse für ihre Partei. Mit hessenschau.de sprach die 53 Jahre alte Volkswirtin außerdem über den Frauenmangel in der FDP, ihr Verhältnis zur AfD und die Klimaschutzpläne ihrer Partei.

hessenschau.de: "Nie gab es mehr zu tun" heißt das FDP-Wahlprogramm. Dabei hätten Sie in den vergangenen vier Jahren doch mitregiert, hätte sich Ihr Parteichef nicht dagegen entschieden. War das ein Fehler?

Stark-Watzinger: Wir wollen dann regieren, wenn wir auch etwas verändern können. Wenn Sie an einem Verhandlungstisch mit potenziellen Koalitionspartnern sitzen, die eigentlich den Status Quo weiterführen wollen, dann bietet das nicht die Möglichkeit umzusetzen, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben.

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Bettina Stark-Watzinger über eine mögliche Regierungsbeteiligung der FDP

Bettina Stark-Watzinger (rechts) im Gespräch mit den hessenschau.de-Redakteuren.
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hessenschau.de: Rechnerisch scheint eine Jamaika-Koalition ja wieder möglich. Allerdings macht die CDU gerade heftig Wahlkampf gegen Sie.

Stark-Watzinger: Die Union braucht zwar keinen Ratschlag von mir, aber ich denke, das war ein Eigentor, weil es so erwartbar war in der Situation, in der die Union sich im Augenblick befindet. Ich hätte mir gewünscht, dass sie eher über die Inhalte spricht, aber das muss die Union selbst entscheiden.

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„Ein bekannter Spitzenkandidat ist ein Zugpferd, das man natürlich gerne einsetzt im Wahlkampf.“
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hessenschau.de: Also müssen FDP-Wähler mit Frau Esken oder Herrn Kühnert rechnen? Das war ja die Prognose.

Stark-Watzinger: Die Union hat das letzte Mal mit der SPD verhandelt und Esken und Kühnert fast pur bekommen. Deswegen würde ich sagen, sollte man erst mal die eigenen Hausaufgaben machen.

hessenschau.de: Ihre komplette Wahlkampagne ist auf Christian Lindner zugeschnitten, ob Plakate oder Videos. Fortschrittlich geht anders, oder?

Stark-Watzinger: Ich sehe sehr viele Olaf-Scholz-Plakate. Ein bekannter Spitzenkandidat ist natürlich ein Zugpferd, das man gerne einsetzt.

hessenschau.de: Sie haben in einem hr-Interview vor kurzem selbst gefordert, dass die Parlamente die Vielfalt der Gesellschaft und der Berufe widerspiegeln müssen. Auf der FDP-Landesliste für die Wahl stehen 18 Männer und vier Frauen - und überwiegend Akademiker.

Stark-Watzinger: Es ist doch toll, dass wir in einem Land leben, in dem jeder und jede Abgeordneter werden kann. Und wenn Sie unsere Liste anschauen, haben wir schon eine Vielfalt an Persönlichkeiten: Wir haben Landwirte, einen Lehrer, auch Juristen. Mehr Frauen auf den Listen sind ein Ziel, das wir nur langfristig umsetzen können. Denn wir brauchen mehr weibliche Mitglieder, damit wir mehr Frauen in Funktionen haben und dann auch mehr Kandidatinnen präsentieren können.

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Spitzenkandidaten-Interviews

hessenschau.de hat mit allen hessischen Spitzenkandidaten der sechs im Bundestag vertretenen Parteien gesprochen. Die Interviews erscheinen in loser Folge:


Das hr-fernsehen zeigt die Sendung "Wähl-Bar - Thekentalk zur Bundestagswahl" mit allen sechs Kandidatinnen und Kandidaten am 19. September um 20.15 Uhr sowie ab sofort in der ARD-Mediathek.

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hessenschau.de: Herr Lindner hat Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen und damit im Grunde auch eine Ampel-Koalition. Halten Sie das wahltaktisch für klug?

Stark-Watzinger: Es ist richtig, den Wählerinnen und Wählern vorher zu sagen, wofür man steht und was sie nach der Wahl bekommen. Selbstverständlich müssten wir in einer Koalition Kompromisse machen, aber wir brauchen Entlastungen für eine starke Wirtschaft. Nur so haben wir genug Steuereinnahmen, um die gesellschaftlichen Ziele in unserem Land zu erreichen. Das ja kein Selbstzweck.

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„Es geht darum, die Wirtschaft kurzfristig anzukurbeln.“
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hessenschau.de: Wer viel verdient, profitiert am meisten von Ihren Plänen für Steuerkürzungen. Die FDP will den Soli für Reiche ebenso wie die Gewerbesteuer streichen und auch keine Vermögensteuer einführen.

Stark-Watzinger: Der Solidaritätsbeitrag war ja für einen bestimmten Zweck eingeführt worden, und es ist verfassungsrechtlich sehr zweifelhaft, ob man ihn dauerhaft für andere Zwecke einsetzen kann. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Vertrauen haben können, dass die Belastung nicht weiterläuft, wenn die Notsituation vorbei ist.

Die Vermögenssteuer würde sehr stark in die Substanz unserer Unternehmen einschneiden, die ja gerade nach der Krise wieder investieren müssen. Außerdem entlasten wir mit unserem Steuerkonzept die unteren und mittleren Einkommen am stärksten von allen Parteien. Zum Beispiel bekommt ein Single mit einem Gehalt bis 25.000 Euro bei uns eine Entlastung von fast 600 Euro, eine Familie mit zwei Kindern und einem Einkommen bis 50.000 Euro bekommt fast 1.300 Euro.

hessenschau.de: Dann bleibt immer noch die Frage, wie Sie Ihre politischen Großprojekte ohne Steuererhöhungen finanzieren wollen: die Digitalisierung oder eine Bildungsoffensive, 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen in Zukunftsinvestitionen fließen. Und das alles ohne Schulden.

Stark-Watzinger: Es geht beides: die Schuldenbremse einhalten und wichtige Zukunftsinvestitionen tätigen. Es wird darum gehen, die Wirtschaft kurzfristig anzukurbeln. Das ist besser, als wenn jetzt staatliche Investitionsprogramme aufgelegt werden. Die Investitionen kommen ja heute schon zu fast 90 Prozent aus dem privaten Sektor.

hessenschau.de: Der Markt richtet aber nicht alles. Das sieht man beim Klimaschutz, aber auch auf dem Wohnungsmarkt. Im Main-Taunus-Kreis liegen die Mieten inzwischen im Schnitt bei zehn Euro pro Quadratmeter, in Frankfurt bei 13 Euro. Gleichzeitig ist Bauland teuer wie nie. Wie wollen Sie das Dilemma lösen?

Stark-Watzinger: In der Corona-Krise haben wir gesehen, dass die Menschen durchaus bereit sind, nicht in den Großstädten zu wohnen. Um den Druck auf die Großstädte zu nehmen, brauchen wir das schnelle Internet an der berühmten Milchkanne. Die Leute müssen längere Strecken mit der Bahn, vielleicht auch mit dem Auto zurücklegen können, um ihren Arbeitsplatz gut zu erreichen. Und wir müssen im innerstädtischen Bereich deutlich schneller und mutiger nachverdichten.

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„Nur mit E-Mobilität werden wir den CO2-Ausstoß nicht in den Griff bekommen.“
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In Bezug auf den Klimaschutz funktioniert der Markt nicht, das stimmt. Warum? Weil wir die Umweltverschmutzung im Augenblick gar nicht im Markt integriert haben. Ich wage zu sagen, wir Freien Demokraten haben das einzig wirksame Programm, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Wir wollen eine klare Grenze, wie viel CO2 ausgestoßen wird. Und bis zu dieser Grenze werden die Rechte an CO2-Ausstoß verkauft.

hessenschau.de: Sie wollen die Klimaneutralität allerdings erst 2050 erreichen. Sogar die Union hat es eiliger.

Stark-Watzinger: Wir haben uns zu den Pariser Klimazielen bekannt. Wir haben diesen klaren Abbaupfad und müssen auch international endlich mehr Druck machen. Wenn wir in viele Richtungen denken, haben wir eine gute Chance, unser Ziel früher zu erreichen.

Nur mit E-Mobilität zum Beispiel werden wir den CO2-Ausstoß nicht in den Griff bekommen, weil das gar nicht so schnell geht. Ja, ich möchte auch ganz viel Lastverkehr von der Straße auf die Schiene geben, nur: Bis wir neue Bahntrassen bauen, vergehen Jahrzehnte. Das heißt, wir brauchen parallel auch wasserstoffbetriebene Flugzeuge.

hessenschau.de: Anders als die AfD bestreitet die FDP den Klimawandel nicht. Aber in der Heftigkeit Ihrer Kritik an der Corona-Politik sind sich Ihre Parteien manchmal recht nah. Als Herr Lindner in der zweiten Welle auf eine Corona-Regierungserklärung antwortete, stand nachher zwölfmal im Protokoll: "Beifall bei FDP und AfD". Fühlen Sie sich damit unwohl?

Stark-Watzinger: Ich kann leider nicht kontrollieren, wer bei Themen für uns klatscht. Für uns Freidemokraten ist klar, dass die Pandemie eine große Bedrohung war und ist und der Staat auch in der Pflicht ist, Maßnahmen zu ergreifen. Aber heute sind wir durch die Impfungen sehr viel weiter als vor anderthalb Jahren. Wir können Infektionsketten besser unterbrechen. Deswegen müssen das Parlament seine vollen Rechte zurückbekommen und die pandemische Notlage beendet werden.

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„Ich habe keine Kontakte in AfD-Kreise.“
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hessenschau.de: Ihnen wird ein persönlicher Kontakt zum AfD-Umfeld vorgeworfen. Anfang 2020 waren Sie nach ARD-Recherchen bei einem Treffen mit AfD-Politikern, das der Politikberater Tom Rohrböck organisiert hat.

Stark-Watzinger: Mir war eine Veranstaltung über Fintechs mit einem Kollegen von den Neos angekündigt worden. Das ist eine liberale Partei in Österreich. Ich habe keine Kontakte in AfD-Kreise, und ich kann auch für die FDP Hessen feststellen, dass es keinerlei Netzwerk in diese Richtung gibt.

hessenschau.de: 2017 haben Sie in Ihrem Wahlkreis, dem Main-Taunus-Kreis, knapp elf Prozent der Erststimmen bekommen. Womit wären Sie dieses Mal zufrieden?

Stark-Watzinger: Mit einem Ergebnis von überdurchschnittlichen 15 Prozent. Bei den Zweitstimmen geht auch noch was. Ich würde sagen, zwischen zehn und zwölf Prozent.

Das Interview führten Wolfgang Türk und Anja Engelke.

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