Lief etwas schief, und wer wäre dann verantwortlich? Dem soll der Lübcke-Untersuchungsausschuss auf die Spur kommen. Er vernimmt mehrere CDU-Politiker, die Verantwortung tragen oder trugen. Als Erster ist Ministerpräsident Rhein an der Reihe.

Boris Rhein

Ein Ministerpräsident vor einem Untersuchungsausschuss - das ist bedeutsam genug. Wenn sich Boris Rhein (CDU) am Freitag von 10 Uhr an im Landtag in Wiesbaden den Fragen von Abgeordneten stellt, wird die Aufmerksamkeit besonders groß sein.

Es geht um die parlamentarische Aufarbeitung der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer 2019. Der Ausschuss soll herausfinden, ob dem ersten Mord eines Rechtsextremisten an einem Politiker in der Bundesrepublik Fehler und Versäumnisse vorausgingen.

Warum Rhein aussagen soll

Die Opposition zielt vor allem auf den Verfassungsschutz - und damit auch auf die für ihn verantwortliche politische Ebene. Sowohl Landesregierung als auch Innenministerium werden seit mehr als zwei Jahrzehnten von Rheins Partei geführt, der CDU. Sie war auch Lübckes Partei.

Polizisten, frühere Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) und deren Mitarbeiter hat der Ausschuss schon befragt. Unter teils bizarren Umständen traten sogar der verurteilte Lübcke-Mörder Stephan Ernst sowie dessen früherer Kumpel und Gesinnungsgenosse Markus H. auf. Im Januar und Februar, zum Abschluss der Befragungen, werden mit Volker Bouffier und Boris Rhein zwei frühere und mit Peter Beuth der heutige Innenminister geladen. Rhein ist als Erster der drei CDU-Politiker an der Reihe.

Der 51-Jährige ist seit Mai 2022 Ministerpräsident. Von 2009 bis 2019 war er bereits Mitglied der Regierung. Die Hälfte der Zeit trug er Verantwortung für den Verfassungsschutz und den Kampf gegen den Rechtextremismus. Von 2009 bis 2010 war er Staatssekretär des damaligen Innenministers Bouffier. Dessen Ministerposten übernahm er danach bis 2014, so wie er acht Jahre später Bouffiers Nachfolger als Ministerpräsident wurde.

Mit welchen kritischen Fragen der Regierungschef rechnen muss

Beschlossen hat der Ausschuss, dass der Politiker zu drei Komplexen Stellung nehmen soll. Es geht um "Abläufe, Strukturen und Versäumnisse" bei den Sicherheitsbehörden und speziell darum, dass der spätere Lübcke-Mörder als "abgekühlt" vom Radar der Verfassungsschützer verschwand.

Und es geht um die Sperrung der LfV-Akte Ernsts aus Gründen des Datenschutzes, mit der seine Nicht-Beachtung bis zum Mord zementiert wurde.

Die Linke will Rhein damit konfrontieren, dass in seiner Zeit als Innenminister durch die Selbstenttarnung der rechten Terrorgruppe NSU schwere Mängel im Kampf gegen rechts und beim Verfassungsschutz offen zu Tage getreten seien. "Wieso diese Defizite nicht verbessert wurden, wird Rhein erklären müssen", sagt der Obmann der Linken im Ausschuss, Torsten Felstehausen.

Als Lehre aus den NSU-Morden habe Rhein zwar verfügt, Akten von gewalttätigen Rechtsextremisten aufzubewahren und nicht wie üblich zu löschen. Dieses Löschmoratorium sei aber offenbar so unüberlegt geschehen, dass die Menge der angestauten Akten den Verfassungsschutz später überfordert habe. Als Folge sei die Ernst-Akte ohne gründliche Prüfung aus dem Dienstgebrauch genommen worden.

Wie Rhein dagegenhalten könnte

Rhein dürfte anführen, dass er als Innenminister unter dem Eindruck des vorausgegangenen NSU-Komplexes eine Neuausrichtung des Verfassungsschutzes angestoßen hatte. Er gab einen kritischen Expertenbericht zur Auswertung der NSU-Akten in Auftrag, der auch noch einmal nachgebessert wurde. Das Papier kam unter Verschluss und wurde vor kurzem von Jan Böhmermann im "ZDF-Magazin Royale" geleakt.

In seiner Amtszeit verfügte Rhein zudem das Löschmoratorium: Akten früher auffällig gewordener Rechtsextremisten wie die von Ernst durften nicht mehr ganz gelöscht werden. Und nicht zuletzt war der CDU-Politiker sehr viel kürzer Innenminister als sein Vorgänger Bouffier und sein Nachfolger Beuth. Als der Lübcke-Mord geschah, war Rhein längst nicht mehr im Amt. Er hatte den Posten schon nicht mehr, als die Akte Ernst endgültig zur Seite gelegt wurde.

Ganz neu ist die Rolle als Zeuge nicht für den heutigen Ministerpräsidenten. Er stand auch dem NSU-Untersuchungsausschuss einst stundenlang Rede und Antwort.

Welche Auftritte wohl wichtiger werden

Nach Rhein tritt am Freitag noch der ehemalige Innenstaatssekretär Stefan Heck als Zeuge vor den Ausschuss. Er war von Januar 2019, dem Jahr der Ermordung Lübckes, bis 2021 im Amt und sitzt nun für die CDU im Bundestag. Wenn es um die politische Verantwortung für mögliche Fehler bei den Sicherheitsbehörden geht, nannte SPD-Fraktionschef Günter Rudolph zuletzt vor allem Bouffier und Beuth. Sie werden am 23. Februar als vermutlich letzte Zeugen geladen.

Bislang konnte Kritik den beiden nichts Entscheidendes anhaben. Die CDU hat schon bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses betont: Es gebe nach der Verurteilung Ernsts nicht wirklich noch etwas aufzuklären und keine schweren Versäumnisse der Behörden oder der Regierung. Was oppositionellen Angriffen gegen beide eine Spitze nimmt: Bouffier hat sich bereits aus der Politik verabschiedet, Beuth hat seinen Rückzug angekündigt.

Was die kommende Landtagswahl mit allem zu tun hat

Eine Woche vor Rheins Aussage sorgte ein Tweet der SPD für einen schweren Konflikt. Er wies den vier vom Lübcke-Ausschuss geladenen CDU-Politikern Bouffier, Rhein, Beuth und Heck unter der Überschrift "Mord an Dr. Walter Lübcke" die Verantwortung für "innenpolitisches Versagen“ zu.

Für CDU-Fraktionschefin Ines Claus wurde da "auf dem Rücken eines toten Freundes Wahlkampf gemacht". Rhein ist Spitzenkandidat der Union bei der Hessen-Wahl im Herbst, vermutlich bringt die SPD gegen ihn Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Stellung.

Die SPD löschte den Tweet. Sie warf der CDU aber vor, deren Kritik sei unberechtigt und werde ihrerseits zu Wahlkampfzwecken geübt. So heftig wird es am Freitag im Ausschuss wohl kaum zugehen. Man hat sich dort meist demonstrativ um Takt bemüht.

Wie es weiter geht

Mit den Auftritten Bouffiers und Beuths Ende Februar sollte die Beweisaufnahme abgeschlossen werden. Dann würden die Fraktionen an ihr jeweiliges Fazit gehen. Im Sommer soll ein Bericht vorliegen - oder mehrere. Es sieht nicht danach aus, als könnten sich alle Fraktionen auf eine Version einigen.

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