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Landtagsoppostion überprüft Mandatsübergabe an Kühne-Hörmann

Eva Kühne-Hörmann

Die hessische Ex-Justizministerin Kühne-Hörmann hat den CDU-Landtagssitz von Ex-Ministerpräsident Bouffier übernommen – so einfach ist das. Oder auch nicht. Die Oppositionsfraktionen SPD und FDP sind misstrauisch. Und das hat auch mit zwei verschwundenen Wörtern zu tun.

Der 1. Juni war kein einfacher Tag für Eva Kühne-Hörmann. Nach 13 Jahren als Ministerin nahm sie im hessischen Landtag in Wiesbaden erstmals nicht mehr auf der Regierungsbank Platz, sondern in den Reihen der CDU-Fraktion. Weil sie das als einzige Leidtragende einer Kabinettsumbildung und nicht freiwillig tat, war die Sache schon brisant genug.

Denn die schwarz-grüne Koalition hat nur eine Stimme Mehrheit. Die Frage lautete: Wird sich die 60-Jährige womöglich in geheimen Abstimmungen am neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) für die Degradierung von der Justizministerin zur einfachen Abgeordneten rächen?

Kühne-Hörmann versprach volle Loyalität. Am Mittwoch haben die oppositionellen Fraktionen von SPD und FDP nun ein ganz anderes, grundsätzliches und juristisch komplexes Problem aufgeworfen. Ist Kühne-Hörmann überhaupt zu Recht Abgeordnete? Oder müsste die CDU den Sitz verlieren?

Skurril, aber okay?

SPD-Fraktionschef Günter Rudolph und Ex-Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) wollen von der Landesregierung wissen, ob sie "in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine 'Lex Kühne-Hörmann' geschaffen habe, um der ehemaligen Justizministerin ein Landtagsmandat zu sichern". Der Innenausschuss des Landtags soll sich zudem dringlich mit der Sache befassen.

Außerdem untersucht ein Staatsrechtler nun für die beiden Fraktionen die Angelegenheit, die Juristen in Hessen schon eine Zeit lang beschäftigt. Gutachter ist nach hr-Informationen der Staatsrechtler und Wahlrechtexperte Martin Will von der EBS Law School in Wiesbaden.

Ein Kollege, der Fuldaer Jura-Professor Carsten Schütz, kam gerade in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu dem Schluss: Die Sache sei rechtens. Skurril und ein Fall für die Opposition sei das alles aber schon.

SPD-Fraktionschef: "Unschöner Beigeschmack"

Kern des Problems: Die Ex-Justizministerin aus Kassel war erste Nachrückerin auf der CDU-Landesliste. Als solche hat sie im Landtag das Gießener Mandat von Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier übernommen.

Die Nachrücker-Passage im entscheidenden Paragrafen 40 des hessischen Wahlgesetzes ("Nachfolge von Abgeordneten") hätte für diesen Fall aber nicht nur ein wenig mehr Klarheit verdient gehabt. Sie ist erst kurz vor Bouffiers Abgang auch noch geändert worden, ohne dass dies groß an die Glocke gehängt worden wäre.

"Das hat schon einen unschönen Beigeschmack", sagt SPD-Fraktionschef Rudolph. "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt", lautet der Kommentar des FDP-Abgeordneten Hahn, der auch Vize-Präsident des Landtags ist.

Parteipolitik und offene Fragen

Bei dem Streit spielt Parteipolitik nicht nur wegen der knappen Ein-Stimmen-Mehrheit von Schwarz-Grün eine Rolle. Der für Wahlen zuständige Innenminister Peter Beuth und der in seinem Ministerium angesiedelte Landeswahlleiter Wilhelm Kanther sind beide CDU-Politiker.

Sie können darauf verweisen, dass Kühne-Hörmann auch in anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz nachgerückt wäre. Aber dort ist die gesetzliche Regelung auch eindeutig. Und auch die zeitlichen Abläufe in Wiesbaden werfen nach Meinung der Kritiker ernsthafte Fragen auf.

Kein Ersatz für den Ersatz

Wer im hessischen Landtag sitzt, hat entweder als Direktkandidat in einem Wahlkreis gewonnen oder zieht über die Landesliste seiner Partei ein.

Bouffier hatte 2017 für die CDU das Direktmandat im Wahlkreis geholt. Nun, da er es niederlegte, wäre laut Gesetz sein von der Partei bestimmter Ersatzkandidat im Wahlkreis Gießen an der Reihe gewesen. Und damit fingen die Probleme an.

Wahlkreis-Ersatz Bouffiers war der Europaabgeordnete Sven Simon. Aber der zieht es vor, weiter in Straßburg und Brüssel Politik zu machen.

Für solche Ausfälle hätte der Gesetzgeber einfach sagen können: "Ist kein Ersatzbewerber vorhanden, tritt Listennachfolge ein." Hat er in Hessen zwar genauso, aber eben nicht im Gesetzestext. Es steht einzig in der Begründung der ersten Version des geltenden Wahlgesetzes von 1997.

Kurz vor Mandatswechsel Text geändert

Im hessischen Wahlgesetz heißt es stattdessen in Paragraf 40 Absatz 2: "Ist ein Ersatzkandidat nicht vorhanden, gilt Abs. 1 entsprechend."

Nun war erstens im Falle des Bouffier-Mandats ein Ersatzkandidat sehr wohl "vorhanden", er wollte nur nicht. Und zweitens dreht sich Absatz 1, der das Problem eines frei werdenden Direktmandats lösen soll, einzig um die Nachfolge von Abgeordneten, die über Landesliste gewählt wurden. Nachgerückt wird in diesem Fall nach der Reihenfolge der Partei-Landesliste.

Was SPD und FDP besonders zu denken gibt, ist aber ein dritter Punkt: An dieser Stelle ist das Gesetz erst Mitte April geändert worden, zwei Wochen vor dem CDU-Mandatswechsel. Und nach Meinung Rudolphs und Hahns erhielt es eine womöglich entscheidende Wendung.

Wo ist "Satz 2" geblieben...

Noch einmal zur Erinnerung der Text der Neufassung: "Ist ein Ersatzkandidat nicht vorhanden, gilt Abs. 1 entsprechend". Von 2006 bis 2022 war das unbeanstandet zwei Wörter länger ausgefallen: "…gilt Abs. 1, Satz 2 entsprechend". Jener Satz 2, auf den nun nicht mehr ausdrücklich hingewiesen wird, besagt über ausfallende Listen-Abgeordnete: "Ist die Liste erschöpft, bleibt der Sitz im Landtag leer."

Überträgt man das Prinzip auf den aktuellen Fall, lässt sich das Gesetz vor dem Eingriff nach Meinung der Kritiker so verstehen: Ist das Angebot an Ersatzkandidaten erschöpft, bleibt der Sitz im Landtag leer. Auf den direkt gewählten Abgeordneten Bouffier hätte dann keine Listenkandidatin wie Kühne-Hörmann nachrücken dürfen. Die schwarz-grüne Mehrheit wäre weg.

Hier sei rasch vor Bouffiers Abschied aus der Politik noch etwas zugunsten der Union und Kühne-Hörmanns geradegebogen worden - Landeswahlleiter Kanther (CDU) hat diesen Verdacht bereits vergangene Woche zurückweisen lassen. "Das war nie wirklich Gesetzestext", hieß es auf Anfrage aus Kanthers Büro über das, was 16 Jahre lang auch im Internet stand.

... und woher war er gekommen?

Die Wörter "Satz 2" sind demnach 2006 lediglich durch einen redaktionellen Fehler in den veröffentlichten Text geraten und hatten nie Gesetzeskraft. Der Irrtum sei nun im laufenden Betrieb behoben worden, weil das Gesetz wegen neuer Wahlkreis-Zuschnitte ohnehin neu veröffentlicht werden musste. War es also reiner Zufall, dass dies kurz vor dem Mandatswechsel am 1. Juni nebenbei miterledigt wurde? Wie der Fehler einst in den veröffentlichten Text kam? Das vermag niemand zu sagen.

Die Kritiker setzen noch an einer anderen Stelle an: Der Landtag sei mit der Sache nicht befasst gewesen, obwohl die geänderte Formulierung Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments habe. Der FDP-Politiker Hahn nennt das "fragwürdig". Laut den Verantwortlichen war aber auch dieses Vorgehen gesetzlich gedeckt. Es sei ja lediglich die eigentlich korrekte Textfassung hergestellt worden.

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