Wohl keine Enquete-Kommission des Landtags Wie die Politik in Hessen zur Corona-Aufarbeitung steht

Die Debatte über eine Aufarbeitung der Corona-Politik läuft auch in Hessen. Von einem Untersuchungsausschuss, wie die AfD ihn will, erwarten die anderen Parteien nichts Gutes. Aus verschiedenen Gründen wird auch ein weniger parteipolitisch aufgeladenes Gremium kaum eine Mehrheit finden.

"Corona Sperrzone" steht auf einem Schild, das am Eingang einer Covid-19 Intensivstation an der Tür klebt.
"Corona Sperrzone" steht auf einem Schild am Eingang einer Covid-19 Intensivstation. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Braucht Hessen ein Jahr nach dem Ende der Pandemie eine parlamentarische Aufarbeitung der Corona-Politik? Und wenn ja: in welcher Form? Getrieben wird die Debatte, die seit Wochen bundesweit läuft, hierzulande derzeit einzig von der AfD. Sie wird wohl im Landtag mit Unterstützung eines Ex-AfD-Abgeordneten die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses erreichen.

Das trifft auf einmütige Ablehnung der anderen Landtagsfraktionen. Der Verdacht dahinter: Der Ausschuss solle ein verschwörungsideologisch unterfüttertes Tribunal werden. Aber wie sollte eine Aufarbeitung dann aussehen?

Denkbar wäre eine Landtags-Enquetekommission aus Politikern und Fachleuten. In Berlin steht das parteiübergreifend zur Diskussion. Auch Hessens Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) unterstützt die Idee, wie er dem hr kürzlich sagte.

Anfragen bei den hessischen Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP zeigen: Der Drang ist gering, die Pandemiepolitik in einem solchen öffentlichen Gremium aus Perspektive der Landespolitik in Wiesbaden noch einmal zu beackern.

FDP für Kommission des Bundestags

Der anfängliche Maskenmangel, fehlender Schutz in Altenheimen, Lockdowns, Ausgangssperren, das Agieren über Verordnungen, Impfzwang für medizinische Berufe oder Long Covid: Ausdrücklich für eine Enquete-Kommission spricht sich allein die FDP aus.

Aber nicht einmal die Liberalen wünschen sich ein solches Gremium für die Landespolitik. Yanki Pürsün, gesundheitspolitscher Sprecher der FDP-Fraktion, sagt: "Eine Aufarbeitung auf Bundesebene ist notwendig. Dann können nächste Mal Fehler vermieden werden, wie sie wahrscheinlich auch hier in Hessen gemacht wurden."

Die wesentlichen Entscheidungen während der Corona-Pandemie waren in Berlin mühsam ausgehandelt worden – meist in ausgedehnten Bund-Länder-Treffen mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten. "Unsere Kritik an Maßnahmen, die zu weit gingen, haben wir bereits während der Pandemie stets geäußert", sagt Pürsün.

CDU: Aufarbeitung läuft längst

Weniger Aufklärungsbedarf sieht die CDU. Sie führte seinerzeit unter dem damaligen Regierungschef Bouffier Regie im hessischen Corona-Management - in der inzwischen beendeten Koalition mit den Grünen. "Wir haben stets besonnen gehandelt und Entscheidungen basierend auf den damaligen Informationen und Risiken sorgfältig abgewogen, insbesondere im Hinblick auf Grundrechtseingriffe", lautet die Bilanz von CDU-Fraktionschefin Ines Claus.

Eine Analyse der damaligen Entscheidungen hält sie zwar auch für wichtig, doch eine Landtagskommission als Möglichkeit erwähnt sie erst gar nicht. Der Prozess der Aufarbeitung habe schon in der Pandemie begonnen, er finde "fortlaufend statt".

So habe Hessen damals einen Planungsstab eingerichtet, der auch bei künftigen Krisen koordinieren könne. Alle Schulen hätten schnelles Internet. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD, die seit Januar regieren, setzte die Bewältigung der Pandemie mit Maßnahmen wie der Erforschung von Long Covid fort.

SPD: Blick nach vorne

An "geeignetere parlamentarische Möglichkeiten als einen Untersuchungsausschuss“ glaubt SPD-Fraktionschef Tobias Eckert, wenn es darum geht, Lehren aus der Corona-Zeit zu ziehen. Welche das sein könnten lässt er offen. Eckert legt wert darauf, den "Blick nach vorne" zu richten.

Eine wichtige Konsequenz hat die schwarz-rote Koalition laut SPD aus der Krise bereits gezogen: indem sie die Zuständigkeit für Gesundheit aus dem Sozialministerium herauslöste. Für  Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege ist nun CDU-Frau Diana Stolze zuständig. Das Ressort mit Arbeit, Jugend, Integration und Soziales verantwortet Heike Hofmann (SPD)

Kongress mit Drosten

Während der Pandemie war Grünen-Politiker Kai Klose als hessischer Sozialminister auch für Gesundheit zuständig. Um die Lehren aus der Pandemie ging es ihm bei einem Wissenschaftskongress, zu dem er im Juli des vorigen Jahres an die Uniklinik Frankfurt einlud. Im Zentrum der Veranstaltung: der Auftritt des Virologen und Corona-Experte Christian Drosten, Favorit des sogenannten "Teams Vorsicht" in der Corona-Zeit und Lieblingsfeind der Querdenker.

In der aktuellen Diskussion hat der Wissenschaftler der Berliner Charité gerade wiederholt, was er seinerzeit vortrug: Mit Maßnahmen wie Lockdown und Impfung sei Deutschland relativ gut durch die Pandemie gekommen. Eine zu frühe Lockerung im Winter 2020/2021 habe die Todesfälle aber erhöht. Die umstrittenen Schulschließungen hätten sehr wohl gewirkt. Aber nicht nur in dieser Frage würden bis heute bei "unseligen Debatten" zu sehr Fakten ignoriert.

Grüne: Mit aktuellem Wissen einordnen

Nach Meinung von Kathrin Anders, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, braucht die Debatte Beiträge, wie sie der Frankfurter Kongress geleistet habe. "Hinterher ist man immer schlauer. Für diese Erkenntnis braucht es allerdings keinen Untersuchungsausschuss", sagt sie. Es reiche vielmehr "eine Einordnung der Ereignisse von damals mit dem Wissen von heute".

Eine glatte Absage an eine parlamentarische Corona-Aufarbeitung ist das nicht. "Für weitere an der Sache orientierte Initiativen sind wir offen", sagt die Grüne.

Experten anhören?

Die Debatte wird derzeit auch in anderen Bundesländern geführt – auch im benachbarten Rheinland-Pfalz. Dort allerdings steht ein Untersuchungsausschuss nicht zur Debatte. Die AfD in Mainz tritt für eine Enquete-Kommission im Landtag ein. Das lehnen die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP und der Großteil der Opposition allerdings ab.

Hauptargument: Es gab bereits während der Pandemie in Rheinland-Pfalz eine solche Kommission. Außerdem seien die wesentlichen Entscheidungen in Berlin getroffen worden.  Die oppositionelle CDU hat etwas anderes ins Spiel gebracht: Eine umfangreiche, möglicherweise zweitägige Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Landtags.

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Quelle: hessenschau.de