"Unterstützung ist keine Zusammenarbeit" Wie die AfD ihren Corona-Untersuchungsausschuss doch noch retten will

Zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses braucht die AfD ziemlich sicher die Hilfe eines Ex-Mitglieds mit Neonazi-Kontakten. Offiziell zusammenarbeiten will sie mit ihm dafür nicht. Mit einem Trick will sie aus der Zwickmühle kommen.

FFP2-Maske auf Tisch, daneben Ei mit AfD-Logo
AfD und Corona-Auflagen - das passte während der Pandemie meist nicht zusammen. Bild © picture-alliance/dpa

Rhetorisch begab sich Robert Lambrou am Donnerstagnachmittag auf eine höhere Warte. "Die Aufarbeitung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist wichtiger als parteipolitische Interessen" – mit diesen Worten bat der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in einer Mail um Unterstützung.

Angebote von Parlamentariern, die mit der AfD die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen wollen, nimmt demnach ab sofort ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Frank Grobe entgegen.

Diese Post Lambrous landete in den Mailboxen aller 133 hessischen Landtagsabgeordneten. Viele der Angeschriebenen mochten sich gefragt haben: War vielleicht nur ein ganz bestimmter Abgeordneter gemeint?

Das Versprechen der AfD

Denn klar ist: Die Aktion ist aus der Not geboren. Die AfD will in einem Untersuchungsausschuss mit der Corona-Politik von Bund und Land abrechnen, nach jahrelanger Kritik an Lockdown, Kontaktsperren, Impfen. Dafür braucht sie die Unterschriften eines Fünftels aller 133 Abgeordneten, also 27. Bei derzeit 26 AfD-Mandatsträgern fehlt also noch ein Helfer.

Entgegen dem Mail-Verteiler, den Lambrou wählte, kann er aber allein auf einen Politiker zählen: den Fraktionslosen Sascha Herr. Er ist der einzige Parlamentarier außerhalb der AfD, der sich öffentlich für den Ausschuss ausgesprochen hat.

Das Problem ist bloß: Die AfD hat ihr Wort gegeben, mit Herr nicht zusammenzuarbeiten. "Es gab und gibt keine Absprachen der AfD-Fraktion mit Sascha Herr" – das Versprechen wiederholte Lambrou am Donnerstag auf Nachfrage auch noch einmal. Herr war bis zur Wahl in den Landtag selbst AfD-Mitglied. Weil Neonazi-Kontakte herauskamen, wurde der 44-Jährige aus Schmitten (Hochtaunus) aber erst gar nicht in die Fraktion aufgenommen, aus der Partei trat er selbst aus. 

Widerspruchsfrei und guten Gewissens?

An die Unterschrift Herrs kommen, aber nicht mit ihm zusammenarbeiten - wie soll das gehen? Folgt man Lambrou, ist das mit seiner Rundmail ganz widerspruchsfrei, guten Gewissens und ohne Wortbruch möglich.

"Wenn er unseren Antrag unterstützt, ist das seine Entscheidung", entgegnet der AfD-Fraktionschef kritischen Nachfragen nach Herr als möglichem Nothelfer. "Eine Unterstützung unseres Antrages durch andere Abgeordnete ist aus Sicht der Fraktion keine Zusammenarbeit."

Kniff 1 war gescheitert

Die Mail an alle Abgeordneten vom Donnerstag ist bereits Kniffversuch Nummer 2 der AfD, um an die fehlende Unterstützung zu gelangen. Erst am Vortag war ihr Plan mit Kniff Nummer 1 geplatzt.

Videobeitrag

AfD im Dilemma wegen Corona-Untersuchungsausschuss

hs
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Da hatte die Fraktion angekündigt, im Mai in einer Plenarsitzung des Landtags ihren Antrag auf Einsetzung eines Corona-Ausschusses zur Abstimmung zu stellen. Offizielles Motto war auch da schon: Wenn Herr die fehlende Stimme liefert, kann die AfD ja nichts dafür.

Was die Fraktion nicht bedachte: Nicht erst bei einer Abstimmung im Landtag, sondern bereits bei der Abgabe ihres Antrags braucht sie 27 Unterstützer - und damit Hilfe eines Nicht-AfD-Fraktionsmitglieds. Und das auch noch in tatkräftigerer Form, als bloß die Hand zu heben.

Lambrou: "Abwarten, wer sich meldet"

Eilig suchte die AfD nach einem neuen Ausweg aus der Zwickmühle. Ihr neuerlicher Versuch ist laut Lambrou gleich doppelt gerechtfertigt: Erstens, weil auch eine Unterschrift Herrs unter den AfD-Antrag keine Zusammenarbeit bedeute. Und zweitens, weil die Frage des Unterstützerkreises an alle Abgeordneten ja noch völlig offen sei.

"Jeder hat die Möglichkeit, unseren Antrag zu unterstützen. Wir müssen jetzt abwarten, wer sich meldet", sagt Lambrou. Und weiter: "Alles andere ist Spekulation."

Kein Riss in der Brandmauer

Wer aber bei CDU, SPD, Grünen oder FDP am Donnerstag im Landtag nachfragte, erhielt unisono die gleiche erwartbare Reaktion. Man hält die Mail Lambrous für einen durchschaubaren Trick.

So unterschiedlich die Vorstellungen der anderen Fraktionen von der Art der Aufarbeitung der Corona-Politik sein mögen: Unterstützung für einen Untersuchungsausschuss wird es von ihnen nicht geben.

SPD spricht von "Klamauk", Grüne halten es für "Show"

In der Wortwahl ist nicht nur SPD-Fraktionschef Tobias Eckert eindeutig: Der AfD gehe es nicht um das Wohl der Menschen, sondern "um Klamauk". Die Grünen wollen sich zwar einer Aufarbeitung nicht verschließen. Aber Kathrin Anders, ihre gesundheitspolitische Sprecherin, grenzt ein: "Showanträge der AfD braucht es nicht."

Auch ihr FDP-Kollege Yanki Pürsün befürchtet von einem Untersuchungsausschuss bloß "parteipolitisch motivierte Vergangenheitsbewältigung". Die Liberalen legen sich am konkretesten fest: Sie wünschen sich wie Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) eine Aufarbeitung in einer parlamentarischen Enquete-Kommission aus Politikerin und Fachleuten - und zwar nicht in Wiesbaden, sondern im Bundestag in Berlin.

Solche kategorische Ablehnung für das AfD-Vorhaben kommt nicht überraschend, auch nicht für ihren Fraktionschef Lambrou. Die Brandmauer der anderen gegen eine inhaltliche Zusammenarbeit hielt seit deren Einzug ins Landesparlament 2019 ohne Riss. Die Partei wird - wie im Bund - auch vom hessischen Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall bewertet.

Nach Austritt in der Bredouille

Die AfD muss auch deshalb auf ihr Ex-Mitglied Herr bauen, weil vom zweiten fraktionslosen Abgeordneten im Landtag keine Unterstützung für den Corona-Ausschuss zu erwarten ist. Dirk Gaw, der Fraktion und Partei im März unter Kritik an zunehmender Radikalisierung verließ, hat gegenüber dem hr bekräftigt: Er hält ein solches Gremium für ein ungeeignetes Instrument zur Aufarbeitung.

Es ist Gaws Haltung, wegen der die AfD überhaupt in der aktuellen Bredouille steckt. Mit ihrem Erfolg bei der Hessen-Wahl hatte sie als nunmehr zweitstärkste Fraktion 28 Mandate erzielt. Da schienen die 27 nötigen Unterstützer für den Corona-Untersuchungsausschuss gewiss. Doch weil Herr nicht aufgenommen wurde und Gaw ging, fehlt nun einer.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 3.4.2024, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de