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Interview in hr-iNFO: Boris Rhein (CDU) zu Flüchtlingspolitik

Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen, kommt zur Sitzung des CDU Bundesvorstands in Berlin.

Die Zuwanderung ist das große Thema beim Treffen der Ministerpräsidenten unter dem Vorsitz Hessens. Länder und Kommunen verlangen mehr Geld für die Unterbringung von Geflüchteten. Bei den Zahlen, mit denen argumentiert wird, gerät manches durcheinander.

Schnellere und konsequentere Abschiebungen, Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer, Kürzung der Sozialleistungen, Geldkarte statt Bargeld - lauter Vorschläge aus der Politik und vor allem aus der CDU, um die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen.

Am Montag berieten die Ministerpräsidenten der Länder in Berlin unter dem Vorsitz Hessens über die künftige Migrationspolitik - zunächst unter sich, später mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Hauptstreitpunkt ist die Frage, wie hoch sich der Bund an den Kosten beteiligt - eigentlich.

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Bund und Länder haben sich in der Nacht zu Dienstag auf die Finanzierung der Versorgung von Geflüchteten geeinigt. Den aktuellen Stand erfahren Sie bei den Kolleginnen und Kollegen von tagesschau.de.

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Auch Rhein hatte das unmittelbar vor der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) erneut bekräftigt. Er strebt eine dauerhafte Vereinbarung zur Finanzierung an. 

Feste Pauschale + Pro-Kopf-Geld + Unterkunftskosten

Der Anteil des Bundes an den Kosten der Versorgung von Geflüchteten sei "eine Unwucht zu Lasten der Länder und damit zu Lasten der Haushalte auf Länderebene", sagte Rhein am Montag in hr-iNFO. "Die Länder zahlen zusammen 18 Milliarden Euro, die Kommunen zahlen fünf Milliarden Euro. Und in diesem Jahr gibt der Bund uns 3,75 Milliarden Euro, und im nächsten Jahr will er uns nur noch 1,25 Milliarden Euro geben", kritisierte Rhein.

Die Länder wollen diese Kürzung nicht hinnehmen. In einem Beschluss hatten sie Mitte Oktober eine Pauschale von 1,25 Milliarden Euro sowie pro Migrant mindestens 10.500 Euro verlangt. Außerdem soll der Bund die Unterkunftskosten vollständig übernehmen.

Asylbewerberzahlen weit unter Rekordjahr - viele Ukraineflüchtlinge

Hessen registrierte nach Angaben des Sozialministeriums im laufenden Jahr bis Ende September 16.177 Asylsuchende - inklusive Geflüchteten aus der Ukraine. Der historische Höchststand war 2015 erreicht worden mit 79.788 Asylsuchenden, die damals nach Hessen gekommen waren. Aktuell kommen wöchentlich rund 1.400 Geflüchtete in Hessens Erstaufnahmeeinrichtung an.

Im vergangenen Jahr nahm Hessen 17.900 Geflüchtete in der Einrichtung auf, insgesamt waren damals 101.848 Schutzsuchende im Land erfasst worden. Darunter waren 81.237 Ukrainerinnen und Ukrainer und 20.611 Asylbewerberinnen und -bewerber aus anderen Staaten. Wegen des Krieges in der Ukraine müssen Geflüchtete von dort keinen Asylantrag stellen. Gerade im vergangenen Jahr schnellte die Zahl der Schutzsuchenden in Hessen und Deutschland ihretwegen nach oben. Der Zuzug aus der Ukraine hat sich seitdem abgeschwächt.

Deutschlandweit wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts von Januar bis September dieses Jahres 251.213 Asylanträge gestellt. Das sind rund 7.000 Anträge mehr als 2022 insgesamt. Die Zahlen erreichen bei weitem nicht das Niveau aus den Jahren 2015 und 2016 (745.545 Asylanträge). Allerdings kommen rund 1,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine (Stand Ende September 2023) zu dieser Zahl hinzu, wie der Mediendienst Integration berichtet.

Rheins Aussage zu illegalem Zuzug kann nicht stimmen

Ein weiterer Streitpunkt in der Migrationspolitik ist die illegale Einwanderung. "Wir haben derzeit einen täglichen Zuzug, und zwar auf illegalem Wege, von tausend Personen", sagte Rhein zu hr-iNFO, ohne eine Quelle zu nennen. Nach Angaben der Bundespolizei wurden im laufenden Jahr bis Ende September 92.119 unerlaubt eingereiste Menschen registriert - das sind umgerechnet knapp 340 am Tag.

Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 91.986. Ein Spitzenwert der unerlaubt Eingereisten wurde im vergangenen September mit 21.366 erfasst (umgerechnet knapp 715 am Tag). Außer im August waren es je Monat deutlich weniger als die Hälfte.

Diese Zahl erfasst allerdings alle Personen, die ohne gültiges Visum oder einen Aufenthaltstitel nach Deutschland einreisen. Dazu zählen auch Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Sie gelten nur so lange als illegal eingewandert, bis sie einen Asylantrag stellen. Ab dann sind diese Personen nicht mehr irregulär, sondern erhalten eine Aufenthaltsgestattung für die Zeit des Asylverfahrens.

Experte: Sozialleistung kein Anreiz für Migration

Eine Forderung, um den Anreiz für die Einwanderung nach Deutschland zu verringern, ist die Einführung von einer Geldkarte für Geflüchtete. Auch Rhein hält dies als ein geeignetes Mittel dafür, weil Bargeld ein sogenannter Pull-Faktor sei, um nach Deutschland zu kommen. In der Debatte gelten auch Sozialleistungen allgemein als Pull-Faktoren, also Anreize für Migration.

Für Experten ist das allerdings fraglich. "Die meisten Studien weisen darauf hin, dass die Sozialleistung eine relativ unwesentliche Rolle spielt", erklärte Migrationsforscher Jasper Tjaden von der Universität Potsdam in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" vom Sonntag.

Laut Tjaden überwiegen Faktoren wie die Wirtschaftskraft, die politische Stabilität und die Frage, ob es im Zielland Arbeit gibt. "Eine große Rolle spielt auch die Größe der Diaspora, also wie viele Menschen aus dem eigenen Herkunftsland sind da, ob man also schon Kontakte hat", so Tjaden.

Ausweitung sicherer Herkunftsländer bringt wenig

Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, Sozialleistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber kürzen zu wollen. Hessens Ministerpräsident hält davon wenig. "Wir sollten jetzt keinen Wettbewerb der Schäbigkeiten vornehmen. Im Übrigen gibt es auch verfassungsrechtliche Rechtsprechung, was möglich ist und was nicht möglich ist", sagte Rhein. Er plädiere vielmehr dafür, dass die Sozialleistungen in Europa gleich geregelt sein sollten.

Die Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), schärfere Abschieberegeln einzuführen, begrüßte Rhein: "Wir müssen stärker zurückführen, wir brauchen eine Rückführungsoffensive." Das funktioniere allerdings nur dann, wenn es "ordentliche Rückführungsabkommen" mit den entsprechenden Ländern gebe. Diese müsse man besser kontrollieren. Rhein forderte in diesem Punkt "mehr Ernsthaftigkeit" von der Bundesregierung.

Zudem fordert die CDU seit langem, die Zahl der sicheren Herkunftsländer auszuweiten. Rhein bekräftigte am Montag die Position, mindestens Marokko, Tunesien und Indien zu sicheren Ländern erklären. Allerdings brächte das derzeit nicht den gewünschten Effekt.

Hauptherkunftsländer der Schutzsuchenden in Hessen waren im vergangenen Jahr sowie im laufenden Jahr Afghanistan, Türkei und Syrien. Aus Indien kamen 2022 nach ganz Deutschland 7.220 Schutzsuchende - deutlich weniger als zum Beispiel aus dem vergleichsweise winzigen Guinea (13.100, die Angaben stammen vom Statistischen Bundesamt).

Verbände appellieren an Menschlichkeit

Verschiedene Verbände haben sich vor der Ministerpräsidentenkonferenz zu Bündnissen zusammengeschlossen. Sie vereint die Befürchtung, dass bei strikteren Asylregelungen die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben könnte. So warnte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa, die Stimmung in der Gesellschaft drohe zu kippen. Dabei sei die Situation in den meisten Kommunen nicht so dramatisch, wie so oft dargestellt werde.

Ein Bündnis, zu dem unter anderem Pro Asyl, die Diakonie, der Jesuitenflüchtlingsdienst und das Forum Menschenrechte gehören, fordert ein Umdenken im Umgang mit Geflüchteten, "um ihre Aufnahme zu meistern und sich unserer Gesellschaft bietende Chancen zu nutzen". Die Organisationen plädieren für eine dauerhafte finanzielle Förderung von Kommunen, damit sie Unterbringung, Versorgung und Begleitung der Integration gut leisten können.

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