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Über 8.000 Unterschriften zum Bürgerbegehren gegen neues Marburger Verkehrskonzept

Junge Radfahrerin mit einem Rucksack, von hinten fotografiert, die auf einem Radweg in einer Geschäftsstraße fährt.

Die Kritiker des neuen Verkehrskonzepts Marburger "MoVe 35" sind einen Schritt weiter auf dem Weg zum Bürgerbegehren: Sie sammelten mehr als 8.000 Unterschriften. Etwa die Hälfte hätte gereicht. Ob und wann tatsächlich abgestimmt wird, muss nun im Rathaus geprüft werden.

Dirk Bamberger ist mehr als zufrieden. "Ein deutliches Zeichen, dass die Marburger ein großes Interesse an dem Thema haben und daran, 'MoVe 35' zu verhindern", so nennt der Marburger CDU-Vorsitzende und Landtagskandidat die Unterschriftenliste, die am Mittwoch im Rathaus abgeliefert werden soll.

8.315 Menschen haben unterschrieben, also mehr als doppelt so viele wie benötigt, um ein Bürgerbegehren in Marburg anzustoßen. Das entspricht rund zehn Prozent der Einwohnerzahl Marburgs.

Forderung: Verkehrskonzept soll neu erarbeitet werden

Die Initiatoren wollen erreichen, dass das vor wenigen Wochen beschlossene Verkehrskonzept "MoVe 35" nicht in seiner derzeitigen Fassung umgesetzt wird. Stattdessen fordern sie, dass ein Planungsbüro das Konzept noch einmal neu entwickelt.

Schild vor Laden mit Unterschriftenaufruf für Move35

Die dann vorgesehenen Maßnahmen sollen in allen Stadtteilen bei Bürgerversammlungen vorgetragen werden, und zwar im Vorfeld und regelmäßig während der Umsetzung.

Angestoßen wurde die Unterschriftensammlung von drei Marburger Oppositionsparteien, die in der Stadtverordnetenversammlung eine gemeinsame Fraktion bilden: CDU, Bürger für Marburg und FDP.

In den vergangenen sechs Wochen hatten sie Unterschriften gesammelt. Auch in Geschäften und Arztpraxen lagen Listen aus.

CDU: "Viele fühlen sich überrumpelt"

CDU-Politiker Bamberger spricht nun von einer "unerwartet großen Unterstützung", die über Parteigrenzen hinaus gegangen sei. "Viele Menschen fühlen sich von 'MoVe 35' überrumpelt", meint er. Viele hätten erst im Mai durch die öffentliche Berichterstattung davon erfahren.

Man habe beim Sammeln der Unterschriften ein hohes Maß an Verunsicherung, Verärgerung und Unverständnis über die geplanten Maßnahmen bei Marburgerinnen und Marburg wahrgenommen, so Bamberger.

Kritiker: Keine Zustände wie in Gießen

Bamberger meint: Die Unterstützer des Bürgerbegehrens seien nicht gegen Maßnahmen für den Klimaschutz allgemein, jedoch empfinde man das derzeitige Konzept als "ideologisch getrieben" und "einseitig gegen das Auto".

Konkret kritisieren sie auch verschiedene geplante Einzelmaßnahmen, wie etwa eine neue Einbahnstraßenregelung für das Südviertel, den Wegfall von Parkflächen oder Einfahrtsbeschränkungen für Durchgangsstraßen.

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MoVe35

Auf den Weg gebracht hatte das neue Mobilitäts- und Verkehrskonzept für Marburg, kurz MoVe 35, die damalige Rathauskoalition aus SPD, CDU und Bürgern für Marburg im Jahr 2019. Darauf folgte ein mehrjähriger Planungsprozess durch ein Planungsbüro, der auch verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung beinhaltete. Im Juli 2023 stimmten die Stadtverordneten dann für das gut 250 Seiten lange Konzept. Es sieht 77 Einzelmaßnahmen vor, die den Autoverkehr in Marburg reduzieren und alternative Verkehrsmittel sicherer und verlässlicher machen sollen.

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Bamberger meint: Viele Menschen hätten Sorge um die Anbindung und Wettbewerbsfähigkeit Marburgs in der Zukunft. Und: Mit Blick auf den jüngst gescheiterten Verkehrsversuch in Gießen gehe es den Unterstützern auch darum, "chaotische Zustände" wie in der Nachbarstadt zu vermeiden, so der Marburger CDU-Vorsitzende.

Stadt muss Bürgerbegehen prüfen

Die Stadtverwaltung muss nun prüfen, ob die eingereichte Liste genügend gültige Unterschriften enthält, also etwa keine Doppelungen oder die Namen von Menschen, die nicht in Marburg ihren Erstwohnsitz haben. Zudem muss die Stadt auch prüfen, ob das Begehren inhaltlich alle rechtlichen Voraussetzungen ensprechend der Hessischen Gemeindeordnung erfüllt. Laut Stadt kann dies einige Wochen dauern.

Voraussichtlich im Oktober oder November wird die Stadtverordnetenversammlung dann über die Zulässigkeit entscheiden – allerdings nicht politisch, sondern rein formal. Der Bürgerentscheid selbst muss danach innerhalb von drei bis sechs Monaten durchgeführt werden.

OB Spies: Bürgerbegehren hat hohe Bindungswirkung

Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) betont, er habe natürlich eine inhaltliche Haltung zu "MoVe 35", werde sich als Verwaltungsleiter bei der Abwicklung des Bürgerbegehrens aber "völlig neutral" verhalten. Die Stadt nehme das Verfahren sehr ernst. Es sei das wichtigste demokratische Instrument auf kommunaler Ebene und habe eine hohe Bindungswirkung.

Zur Kritik an "MoVe 35" räumt Spies ein: Offenkundig sei die Stadt in ihrer Kommunikation nicht so erfolgreich gewesen, wie man es vorgehabt habe.

altes Gebäude mit Uhr

Welche Auswirkungen ein eventuell erfolgreiches Bürgerbegehren hätte, kann Spies derzeit noch nicht sagen. "Das ist eine schwierige Frage, weil wir ja über ein Konzept reden." Unklar sei momentan auch noch, welche aufschiebende Wirkung der Vorstoß in der Zwischenzeit haben wird, so lange der Entscheid noch nicht durchgeführt wurde.

Spies meint: Maßnahmen, die offensichtlich in "MoVe35 angesprochen werden, werde man in einer solchen Phase als Stadt nicht durchführen. Man werde genau prüfen müssen, inwieweit auch anderes städtisches Handeln von "MoVe 35" beeinflusst wird, so der Oberbürgermeister.

1996 schon einmal Bürgerentscheid zu Verkehrsthema

Bürgerbegehren zum Thema Verkehr haben in Marburg übrigens Geschichte: Im Jahr 1995 fand hier einer der ersten Bürgerentscheide in Hessen statt. Sie sind erst seit 1993 Teil der Hessischen Gemeindeordnung.

Eine Bürgerinitiative wollte damals erreichen, Marburgs Innenstadt weitgehend autofrei zu gestalten: Sie forderte verkehrsberuhigte Gebiete mit Einfahrtserlaubnis nur für Anwohner, Beschleunigung des Busverkehrs durch separate Fahrspuren und ein Wegenetz für den Fahrradverkehr. Grüne und Teile der SPD waren dafür - CDU, Bürger für Marburg und viele Geschäftsleute organisierten sich dagegen.

Allerdings war damals auch der Magistrat der Stadt gegen den Vorstoß der Bürgerinitiative. Er hatte die Marburgerinnen und Marburger aufgefordert, mit Nein zu stimmen, was sie dann auch mehrheitlich taten: 67,9 Prozent der Bürgerinnen und Bürger waren damals dagegen.

Anm. d. Red.: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, 2019 habe die rot-grüne Rathauskoalition das Konzept auf den Weg gebracht. Dies ist nicht korrekt, es handelte sich damals um eine Koalition aus SPD, CDU und Bürgern für Marburg. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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