"Unglaublich großes Herz in kleinem Körper": Marvin Mehlem trifft zum 3:0.

Darmstadt 98 sichert sich mit einem 4:2 gegen Werder Bremen den ersten Sieg im Oberhaus. Damit haben Torsten Lieberknechts Männer erstmals den Etablierten das Handtuch von der Liege gerissen. Die Analyse in fünf Punkten.

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Highlights: SV Darmstadt 98 – SV Werder Bremen

Im Hintergrund sieht man ein Fussballstadion, davor links das Logo von SV Darmstadt 98 und rechts das Logo von Werder Bremen
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Darmstadt 98 schlägt Werder Bremen und schafft den ersten Saisonsieg. Gerade die erste Halbzeit regte zum Schwärmen an. Hier kommt unsere Analyse.

1. Lilien entdecken wieder den Vollgas-Fußball

Nach der Partie in Stuttgart hatte Trainer Torsten Lieberknecht noch mit einem Vergleich für Stirnrunzeln gesorgt: "Die 1. Liga ist eigentlich wie Club-Urlaub. Seit 25 oder 30 Jahren fahren immer die gleichen Gesichter in den Club - und dann kommen irgendwann ein paar neue Gäste dazu, und dann wird halt geguckt: Wie benehmen die sich?" Eine Woche lang versuchten allerhand Experten, die Metapher zu entschlüsseln. Das Spiel gegen Bremen ließ zumindest die Deutung zu, dass die Lilien nicht auf eine Einladung warten, sondern einfach auf ihre Art in den Club hineinrauschen, den Etablierten das Handtuch von der Liege reißen und die Bar auf eigene Faust leertrinken müssen.

Denn genau so wirkte die erste Halbzeit gegen die "in der Bundesliga etablierten" (Lieberknecht) Bremer. Darmstadt war aktiv, glänzte im Positionsspiel und suchte sein Heil in der Offensive. Noch in den vergangenen Spielen hatten es die Lilien mit einer kompakten Defensive versucht, bei der sich aber viel zu oft der eine auf den anderen verlassen hatte. Mit der aktiveren Spielweise fühlten sich die Darmstädter merklich sicherer. "Wir spielen seit zwei Jahren nur Vollgas-Fußball, wir können nix anderes", umschrieb es Tobias Kempe hinterher.

2. Die linke Seite ist der Antrieb

Entscheidenden Beitrag dazu leistete einer, der noch 20 Minuten vor Anpfiff gar nicht auf dem Startelfbogen gestanden hatte: Fabian Nürnberger rutschte nur ins Team, weil sich Emir Karic beim Warmmachen verletzt hatte. Und der Neuzugang spielte, als habe ihn die spontane Berufung im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt. Nürnberger zeigte Hackentricks, No-Look-Pässe, Durchsteckbälle und war ein absoluter Aktivposten. So manches Mal übertreibt es der Neuzugang zwar mit den extravaganten Ideen, aber an diesem Tag bildete er auf links ein kongeniales Duo mit Tim Skarke.

Der Lilien-Rückkehrer gab später zu Protokoll, dass er sich auch außerhalb des Rasens mit Nürnberger prächtig verstehen würde. Skarke schloss nach Nürnberger-Pass unwiderstehlich zum 2:0 ab und powerte sich über 60 Minuten aus. Eigentlich wären die beiden sichere Anwärter auf den Award zum "Spieler des Spiels" gewesen, doch ...

3. Mit Herz und Hirn

 ... was Matthias Bader und Marvin Mehlem leisteten, stach noch einmal mehr heraus. Schon in der Aufstiegs-Saison konnte man bei beiden ihr absolutes Bundesliga-Format erkennen. Bader erzielte am Sonntag das 1:0 mit einem überlegten Abschluss, bereitete das 3:0 von Mehlem mustergültig vor und gewann hinten immens wichtige Zweikämpfe. Allerdings kam er beim 1:4 nicht richtig hoch zum Kopfball, konnte auch das 2:4 über seine Seite nicht stoppen. Doch das hielt Bader nicht davon ab, in den Schlussminuten wieder wichtige Ballgewinne zu verzeichnen, um den Sieg über die Ziellinie zu bringen.

Marvin Mehlem freute sich über eine ähnliche Bilanz: Das 1:0 bereitete er vor, das 3:0 schoss er nach Vorlage von Bader, als er Bremens Jiri Pavlenka formschön auswackelte. Trainer Lieberknecht offenbarte hinterher, dass ihn mit Mehlem eine "Hassliebe" verbinde. "Er lässt manchmal sein Potenzial liegen, aber er hat ein unglaublich großes Herz für seinen kleinen Körper."

4. Am Ende brennt's wieder

In die "ultimative Lobhudelei" ließen sich noch viele andere Spieler einbinden, beispielsweise Christoph Klarer in der Abwehr. Den Lilien war es jedoch nicht vergönnt, diesen starken Auftritt mit einem Zu-Null-Spiel zu krönen. Bremen kam noch einmal mit zwei Toren heran. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen rotierte der Kopf beim Gedanken an den Einbruch nach der 3:0-Führung gegen Gladbach, zum anderen mussten die Lilien ihrem intensiven Spiel zum Ende hin Tribut zollen. Genau in dieser Phase sorgten auch die Eingewechselten für zu wenig Entlastung. Darmstadt wird nicht immer vier Tore schießen können, um beruhigt in die letzten Minuten zu gehen.

Immerhin fand Lieberknecht, dass die Mannschaft mit dieser durchgebrachten Führung nun die schlechten Erinnerungen ans Gladbach-Spiel tilgen könne. Wenn das stimmt, hat Darmstadt 98 schon zu einem frühen Zeitpunkt der Saison wichtige psychologische Erfahrungen gesammelt.

5. Tabelle und Spielplan geben Hoffnung

Ein Blick aufs Tableau sorgt für ein noch breiteres Lächeln am Böllenfalltor: Mit dem ersten Sieg kletterten die Darmstädter gleich mal über den Strich auf Rang 15. Bochum, Köln und Mainz 05 stehen noch ohne einen Sieg da und scheinen im Gegensatz zur vergangenen Saison im Sinkflug. Nicht nur die Spitze ist in dieser Bundesliga-Saison breiter geworden, sondern auch das Ende - was für einen Aufsteiger immer von Vorteil ist. Und da wären ja noch die bislang enttäuschenden Gladbacher, eben jene ausgehebelten Bremer und die Augsburger, die allesamt nur knapp vor den Lilien in der Tabelle rangieren.

Da trifft es sich ganz gut, dass Darmstadt am kommenden Spieltag zum FCA reist. Köln spielt in Leverkusen, Bochum in Leipzig. Sollten die Lilien also genau den Schwung vom Bremen-Spiel mitnehmen und nachlegen, könnten sie im Idealfall gleich richtig Boden gut machen. Das klingt fast so gut wie der Satz im Club-Urlaub: Das Buffet ist eröffnet.