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Experten erwarten weitere Schließungen von Pflegeeinrichtungen

Im Vordergrund schiebt eine ältere Frau ihren Rollator durch einen Pflegeheim-Korridor. Im Hintergrund ist zu erkennen, dass sie von einer Pflegerin in einem blauen Kittel begleitet wird.

In Hessen mussten in den vergangenen zweieinhalb Jahren 38 Pflegeeinrichtungen schließen. Die Lage droht sich zu verschärfen. Dabei steigt der Bedarf an Pflegeleistungen.

Immer mehr Menschen in Hessen sind auf Pflege angewiesen: Von 2019 bis 2021 wuchs der Bedarf nach Angaben des Statistischen Landesamts um 19 Prozent.

Dennoch kämpfen immer mehr Pflegeeinrichtungen um ihr wirtschaftlichen Überleben. Von Anfang 2021 bis Anfang August 2023 wurden in Hessen laut Sozialministerium 38 Pflegeeinrichtungen geschlossen. Darunter 24 Altenheime, eine Kurzzeitpflegeeinrichtung, 12 Tagespflegeeinrichtungen und eine betreute Wohngemeinschaft.

Mehrere Schließungen in Bad Nauheim und Bad Schwalbach

In Bad Nauheim (Wetterau) sind drei Häuser mit mehr als 100 Bewohnern betroffen. Gekündigt wurde ihnen bisher nicht. Es bestehen Chancen, dass die drei betroffenen Häuser der "Dorea-Gruppe" einen anderen Träger finden, wie eine Sprecherin äußerte. "Ob uns das gelingt, werden die nächsten Wochen zeigen."

In Bad Schwalbach wurde das "Haus Tabor" seit Ende Juni geschlossen. Die Betreiberfamilie fand keinen Nachfolger, wie der Landkreis berichtet. Mehr als 40 Bewohner mussten umziehen. Das "Gräfin-von-Heininger-Haus" mit weiteren 15 Plätzen hört demnach in wenigen Monaten auf.

Damit stehe in der Kreisstadt zwar statt 130 nur noch etwa 80 Heimplätze zur Verfügung, "aber es entsteht auch Neues", sagt Maria Alisch, Leiterin des Fachdienstes Soziales im Rheingau-Taunus-Kreis. Geplant sind zum Beispiel zwei Pflege-Wohngemeinschaften.

Hauptgrund für Schließungen von Pflegeeinrichtungen

Für die insgesamt gehäuften Schließungen in Hessen gibt nach Angaben des Ministeriums zwei Hauptgründe: "Bei 17 der genannten Pflegeeinrichtungen war Insolvenz oder die fehlende Wirtschaftlichkeit der Grund für die Betriebseinstellung." Die Gründe dafür seien "vielschichtig und teilweise sehr individuell.

"Dennoch ist uns bewusst, dass der Fachkräftemangel und die derzeitige wirtschaftliche Situation die Einrichtungsbetreiberinnen und -betreiber teilweise vor große Herausforderungen stellt."

Pflege-Situation in Hessen spitzt sich weiter zu

Und es könnte noch drastischer kommen. Jede dritte Einrichtung der Seniorenhilfe sieht sich von Insolvenz bedroht, wie eine Befragung der Diakonie Hessen von fast 100 Einrichtungen ergab. Drei Viertel der befragten Einrichtungen mussten ihre Leistungen in den vorherigen sechs Monaten bereits einschränken.

"Hauptproblem ist der Personalmangel", sagt der Wirtschaftsberater des Verbands Deutscher Alten- und Behindertenhilfe, Alexander Roth. Deshalb könnten nicht alle Heimplätze belegt werden. Die Einnahmen würden sinken, aber die meisten Kosten - etwa die Miete für das Gebäude oder die Verwaltung, blieben gleich. Zudem seien die Personalkosten durch die jüngsten Tarifabschlüsse gestiegen. Auch die Energiekosten hätten sich erhöht.

Solange sich an den Rahmenbedingungen nichts ändere, erwartet der Betriebswirt, der Betreiber in solchen Krisenszenarien berät, weitere Pleiten. Seiner Ansicht nach ist das "Korsett" für die Heimbetreiber zu eng. Sie könnten weder die Preise erhöhen, noch hätten sie die Zuschüsse in der Hand oder Einfluss auf die Bürokratie.

Auch gemeinnützige Einrichtungen betroffen

"Je nachdem, wie viele Faktoren zusammentreffen, kann es für das einzelne Heim dann zu viel sein", sagt der Wirtschaftsberater. Seiner Erfahrung nach ist das Risiko für alle Trägerschaften und Heimgrößen in etwa gleich: "Es trifft frei-gemeinnützige Einrichtungen und private Ketten, große Häuser ebenso wie kleine."

Wenn "fehlende Wirtschaftlichkeit" der Grund ist, sind privat betriebene Heime jedoch viel häufiger betroffen. 12 von 17 Heimen, die in den letzten Jahren aus diesem Grund den Betrieb eingestellt haben, waren in privater Trägerschaft.

Reformen gefordert

Roth findet das fatal: "Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, Anbieter zu verlieren. Es gibt schon jetzt zu wenig Heimplätze und der Bedarf steigt." Eine Patentlösung habe auch er nicht. Zwar könnte man seiner Ansicht nach an einzelnen Schräubchen drehen, etwa an der Belegungsquote oder den Bearbeitungsfristen für Sozialhilfeanträge.

Manches aber bleibe ohne umfassende Reformen und Bürokratieabbau "unauflösbar": Jeder wolle, dass das Pflegepersonal gut bezahlt werde, aber höhere Löhne würden zu höheren Kosten führen und das und das erhöhe bei ausbleibenden Einnahmen Insolvenzrisiko. "Diese Zusammenhänge kommen in der gesellschaftlichen Debatte zu kurz", findet der Wirtschaftsberater.

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