Ein Mülleimer voller Lebensmittel.

Bund und Länder diskutieren darüber, ob Containern straffrei werden soll. Hessische Politiker befürworten das, Mülltaucher erwarten dadurch auch eine gesellschaftliche Debatte.

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Lebensmittelrettung: Wird Containern bald legal?

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Mit einer Stirnlampe auf dem Kopf stöbert Jörg Bergstedt in der Dunkelheit in den Mülltonnen eines Supermarktes in Mittelhessen herum. Dort findet der 58-Jährige zum Beispiel Tomaten, Joghurt, Teewurst, Schinken, einen Strauß Blumen und – ganz unten - jede Menge Süßigkeiten. "Oh das wird ein ungesunder Abend", sagt Bergstedt, sichtlich erfreut. Am Ende des Abends ist seine Tasche gut gefüllt.

Schon seit Jahren geht der Umweltaktivist auf solche Streifzüge, obwohl das strafbar ist. Der Vorschlag, dass Mülltaucher wie er künftig ohne Strafe davonkommen sollen, sorgt bei dem 58-Jährigen trotzdem für wenig Euphorie. Denn schon jetzt werde man dafür faktisch kaum belangt, erzählt er: "Es kommt selten zu Prozessen, weil die Supermärkte ein Eigeninteresse haben, dass ihre Wegwerfpolitik nicht bekannt wird."

Mülltaucher selten vor Gericht

Formal erfülle Containern zwar den Straftatbestand des Diebstahls, erklärt Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU). Doch schon heute würden auch Staatsanwälte in Hessen solche Verfahren meistens einstellen, weil die Schuld gering sei und sich die Nachverfolgung nicht lohne. Natürlich solle Eigentum geschützt werden, aber bei weggeworfenen Lebensmitteln sei das anders, erklärt Poseck: "Der Eigentümer hat ja deutlich gemacht, dass er sie nicht behalten und auch nicht zurückhaben will."

Dennoch zeigt sich Poseck offen für die aktuelle Diskussion auf Bundesebene, Containern generell weitgehend straffrei zu machen. Bei der Amtschefkonferenz der Agrarminister in Berlin stand das am Mittwoch mit auf der Tagesordnung. Man könne die Anweisungen für Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland entsprechend ergänzen, sagt der hessische Justizminister: "Das würde mehr Rechtssicherheit schaffen."

Die Neuregelungen könnte ein Rechtsausschuss erarbeiten, bei dem Hessen den Vorsitz hat. Der werde sich im Frühjahr mit dem Thema beschäftigen. "Es gibt allerdings andere Fälle, wenn etwa Zäune überklettert oder Schlösser aufgebrochen werden", so Poseck. Das sei Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung und müsse weiterhin nachverfolgt werden.

Protest gegen die Wegwerfgesellschaft

Mülltaucher wie Bergstedt hoffen, dass aus der rein juristischen eine tiefergehende gesellschaftliche Diskussion wird. Denn sie sehen Containern oft als Form des Protests gegen die Wegwerfgesellschaft. Im Müll tauchen vor allem junge Menschen in größeren hessischen Städten, zum Beispiel auch in Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt und Kassel. Oft handelt es sich dabei um Studenten, die sich ihre Zeit freier einteilen können. Sie tauschen sich etwa in Facebook-Gruppen aus.

Mit der Szene beschäftigt sich Benedikt Jahnke, der an der Universität Kassel forscht und über das Containern ein Buch geschrieben hat. Die Initiative, es bald weitgehend straffrei zu machen, hätte auch aus seiner Sicht im Alltag wenig Auswirkungen. "Trotzdem wäre es im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ein wichtiges Zeichen, mit dem die Politik zeigt, dass sie auf allen Ebenen etwas tut", so Jahnke.

78 Kilo wirft jeder Verbraucher im Jahr weg

Denn nach Angaben des Bundesagrarministeriums werden in Deutschland jährlich etwa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt, der Großteil davon allerdings von Privatleuten. Im Schnitt wirft jeder Verbraucher pro Jahr 78 Kilogramm weg, vor allem Obst und Gemüse, obwohl es noch genießbar wäre. Dagegen entsteht nur ein kleiner Teil der Lebensmittelabfälle im Handel, etwa, weil zu viel Ware bestellt wurde und nicht verkauft werden kann.

"Trotzdem hat der Handel eine Schlüsselfunktion", meint Buchautor Jahnke. "Denn Entscheidungen, die in diesem Bereich getroffen werden, haben einen Einfluss auf uns alle." Und so könne das Ganze am Ende allgemein zu einem Umdenken führen.

Wie viel Lebensmittel speziell in Hessen weggeworfen werden, dazu gibt es keine genauen Angaben. Generell stellte Hessens Landwirtschaftsministerin Priska Hinz von den Grünen vor einer Woche klar, ein respektvoller Umgang mit Lebensmitteln sei auch hier notwendig. Containern könnte helfen, Verschwendung zu reduzieren und solle daher in nur wirklich strafwürdigen Fällen strafrechtlich verfolgt werden.

Viele Lebensmittel werden bereits gespendet

Für den Lebensmittelverband Deutschland ist es dagegen der falsche Ansatz, Containern zu entkriminalisieren. Denn die Lebensmittel würden nicht ohne Grund entsorgt, betont Verbandssprecherin Manon Struck-Pacyna: "Meist ist die Ware nicht mehr zum Verzehr geeignet, teilweise kann sie sogar gesundheitsgefährdend sein." Etwa, weil sie verdorben oder mit Glassplittern verunreinigt sei.

Nach Angaben von Struck-Pacyna sorgen sich Lebensmittelhersteller wie Supermärkte, dass sie dafür am Ende sogar haftbar gemacht werden könnten. Gleichzeitig hätten sich sowieso schon viele Lebensmittelbetriebe freiwillig dazu verpflichtet, übrig gebliebene, essbare Waren zu spenden. Letztes Jahr seien beispielsweise 300.000 Tonnen an die deutschen Tafeln gegangen.

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10 Kommentare

  • Die Lebensmittelmärkte sollten dazu verpflichtet werden, noch brauchbare Ware zum Beispiel an die Tafeln zu spenden.

    Im Gegenzug sollten "Mülltaucher" dafür haften, sobald sie mit der "heroisch geretteten" Ware anderen Personen irgendeinen Schaden zufügen.

  • Für Privathaushalte wäre es vielleicht mit einer optisch anerkannten Kiste die man Straßenweise befüllen kann eher getan. Fände es befremdlich jemanden in meiner BiomüllTonne abhängen zu sehen :/

  • Unter Containern verstehe ich nicht die Mülltonnen privater Haushalte mit eigenem Grundstück - das kann sicher und berechtigt zu Ärger führen. Grundsätzlich finde ich es sinnbefreit das Entnehmen von weggeworfenen/entsorgten Lebensmitteln von Händlern/Gastronomen als Straftatbestand handzuhaben und begrüße die Lockerung. Allerdings sollte die Haftung dann auch klar auf den Entnehmenden übergehen. Denn Verunreinigungen durch Glas/Chemische Mittel können im Arbeitsalltag nicht gesondert für die Tonne deklariert werden - wäre auch wieder sinnfrei. Am besten wäre es wohl neben den Tonnen eine Reste-Lebensmittel Box zu haben. So muss auch niemand erniedrigend den halben Körper in stinkige/Insektenbefallene (Sommer) Tonnen halten... Das Konzept sollte insgesamt nochmal überdacht werden. Ist in jedem Fall super wenn Ressourcen besser genutzt werden.

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