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Fernwärme ist zurück im Wetzlarer Westend

Fotografischer Blick in eine Einfamilienhaussiedlung. Darin bzw. dahinter in einer Grünfläche ein kleiner Schornstein.

Aufgrund eines maroden Fernwärme-Netzes waren Dutzende Haushalte seit Sommer 2022 ohne Warmwasser und Heizung. Nach langem Ringen hat der kommunale Energieversorger die Netze übernommen. Und im Wetzlarer Westend ist es endlich wieder warm.

Wird schon wieder. Als an einem Sommertag die Heizung und das warme Wasser in seinem Einfamilienhaus ausfielen, machte Ali Karaaslan sich erst mal keine allzu großen Sorgen. Im Wetzlarer Westend kannte man das schon: Seit Jahren kam es dort im Wohngebiet immer wieder zu Problemen mit dem Fernwärme-Netz.

Vielleicht dauert es ein paar Wochen, dann läuft das wieder, sagte sich Karaaslan. Jetzt, im Juli, brauchten er und seine Familie die Fußbodenheizung sowieso nicht.

Heute weiß Karaaslan, wie sehr er sich damals geirrt hat. Erst jetzt funktioniert die Fernwärme wieder in seinem Haus. Genauso wie bei seinen Nachbarn. Fast eineinhalb Jahre später.

Es ist wohl eine der bizarrsten Energie-Geschichten Deutschlands, die sich seit Sommer 2022 in Wetzlar abgespielt hat und nun endlich vorüber ist.

Dutzende Haushalte betroffen

Ein kaputter Heizkessel, ein Leck im Rohr - so eine Heizungsreparatur kann langwierig und kompliziert sein. Sie kann viel Geld kosten, meistens auch Nerven. All das potenziert sich offenbar, wenn nicht nur ein einzelnes Haus betroffen ist, sondern ein komplettes Wohnviertel.

Mann steht an einem Gulli in einer Rasenfläche, aus dem es dampft, und schaut hinab zum Gulli.

Vom "Wetzlarer Fernwärme-Desaster" waren Dutzende Haushalte, eine Kita, ein Nachbarschaftszentrum und mehrere Geschäfte im Westend betroffen. Ein Teil der Häuser blieb seit Sommer 2022 dauerhaft kalt. Stattdessen konnte man im Stadtteil heißen Dampf aus den Gullis aufsteigen sehen.

Schließlich fiel dann die Wärme kurz vor Weihnachten 2022 sogar noch zeitweise in weiteren Gebäuden im Stadtteil Spilburg aus, die vom selben Betreiber versorgt wurden. Darunter waren eine Schule und eine ganze Reihe Mehrfamilienhäuser.

Kommunaler Energie-Dienstleister Enwag übernimmt

Nach monatelangem Frieren, Hoffen und Diskutieren steht nun fest: Die Netze des privaten Betreibers werden vom kommunalen Energie-Dienstleister Enwag übernommen. Nach Enwag-Angaben versorgte der Betreiber EAB 40 beziehungsweise 45 Kunden in den Stadtteilen Westend und Spilburg mit Fernwärme.

Das Unternehmen, zuletzt eine Art privates Zwei-Personen-Energieunternehmen eines Ehepaars aus Baden-Württemberg, war schon seit Jahren in der Kritik und nach dem Totalausfall zunehmend schwer zu erreichen. Schließlich verlegte die EAB ihren Unternehmenssitz von Wetzlar nach Baden-Württemberg und stellte die Webseite offline. Inzwischen hat die EAB Insolvenz angemeldet, die Abwicklung läuft über einen Insolvenzverwalter.

Schulgebäude von außen

Der Kaufvertrag für die Wetzlarer Fernwärmenetze steht nach Angaben von Enwag zwar, ist aber noch nicht final unterzeichnet. Um das Netz im Westend möglichst schnell wieder in Gang zu bekommen, habe man bereits Reparaturen und Umbauten an den Leitungen vorgenommen und neben der alten Fernwärmezentrale einen Container mit einer mobilen Heizzentrale aufgestellt. Laut Enwag kommt dadurch in fast allen betroffenen Gebäuden wieder Wärme an.

Rohre sind verrostet

Enwag-Geschäftsführer Berndt Hartmann berichtet: Leider habe man feststellen müssen, dass die defekte Heizzentrale im Westend wohl nicht mehr reparabel ist. Die aufgestellte mobile Anlage funktioniere aber gut und könnte bei Bedarf auch einige Jahre dort bleiben.

"Aber noch schlimmer ist der Zustand des Leitungssystems", sagt Hartmann. Ein Fernwärmenetz könne zwar 50 Jahre oder älter werden - allerdings nur bei guter und fachgerechter Wartung. Das sei hier nicht der Fall gewesen.

"Die Leitungen sind vor allem deshalb in so schlechtem Zustand, weil die EAB über Jahre hinweg offenbar gewöhnliches Trinkwasser eingespeist hat statt speziell behandeltem Wasser, das Korrosionen verhindert", sagt Hartmann. Das Rohrsystem sei deshalb völlig verrostet und in desolatem Zustand. Die Enwag rechne damit, die Leitungen auf lange Sicht komplett erneuern zu müssen.

"Das waren harte Monate"

Auch bei Ali Karaaslan ist der Fußboden wieder warm. "Ich hätte nie gedacht, dass ich etwas wie eine funktionierende Heizung mal als so einen Luxus empfinden würde." Harte Monate seien das gewesen, sagt er. "Besonders für die Nachbarn, die kleine Kinder haben, oder bei denen ältere Menschen im Haus wohnen."

Die Bewohner gingen zum Teil zum Duschen ins Schwimmbad oder Fitnessstudio oder überbrückten die kalte Zeit notdürftig mit provisorischen Heizgeräten. Auch Karaaslan heizte sein Haus so. Die Stadt stellte ihm außerdem einen Durchlauferhitzer bereit.

Weitere Informationen

Fernwärme in Hessen

Jeder zehnte Haushalt in Hessen wird durch Fernwärme geheizt. Dieser Anteil könnte im Rahmen der Klimawende in Zukunft steigen. Bisher unterliegen die Anbieter keiner staatlichen Aufsicht. Fernwärme fällt auch nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur.
Verbraucherschützer kritisieren das seit Jahren und meinen: Die Preisgestaltung sei häufig intransparent, Anbieter hätten oft eine Monopolstellung.

Ende der weiteren Informationen

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, macht Kunden wie Ali Karaaslan immer noch ratlos. Denn alle damit befassten Behörden teilten den Betroffenen stets mit: Weil es keine staatliche Regulierung für Fernwärme gebe, habe man keine rechtliche Handhabe.

Für Karaaslan ist das vollkommen unverständlich. "Wenn ich eine Jacke kaufe, gibt es doch auch gesetzliche Vorgaben darüber, wie lange ich sie zurückgeben kann", sagt er. "Wieso sollte es für Fernwärme keine Gesetze geben?"

Enwag will neue Verträge abschließen

Der kommunale Energieversorger Enwag plant nun jedenfalls, möglichst bald nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags für das Fernwärmenetz neue Verträge mit den Kunden abzuschließen. "Wir hoffen, dass wir das bis Ende des Jahres hinbekommen", so Geschäftsführer Hartmann.

Neben der Stadt Wetzlar ist die Enwag außerdem eine Haupt-Gläubigerin im EAB-Insolvenzverfahren. Die Enwag lieferte der EAB das Gas für die Fernwärmekraftwerke, wurde dafür aber zuletzt nicht mehr bezahlt. Zum Teil übernahm schließlich die Stadt Wetzlar diese Rechnung - allein für das Westend waren das bis zu 10.000 Euro am Tag.

Mann

Geschäftsführer Berndt Hartmann spricht für die Enwag von einer "höheren sechsstellige Summe" an Außenständen. Derzeit könne man noch nicht genau sagen, wie viel davon man aus der Insolvenzmasse erhalten werde.

Ali Karaaslan zumindest ist froh, demnächst wohl nicht mehr EAB-, sondern Enwag-Kunde zu sein. Während manche seiner Nachbarn das Kapitel Fernwärme komplett abschlossen und sich Wärmepumpen anschafften, gab er die Hoffnung nicht auf, dass die Fernwärme ins Wetzlarer Westend zurückkommt.