Rheinmetall & Co. Wie die Rüstungsindustrie in Hessen vom Krieg in der Ukraine profitiert

Es ist Krieg in der Ukraine, Waffen werden dringend gebraucht. Auch für die Bundeswehr. In Hessen produzieren Rüstungskonzerne, die zu den größten Waffenproduzenten der Welt gehören. Die Geschäfte laufen gut.

Der Schützenpanzer Puma auf dem Rheinmetall-Werksgelände in Unterlüß, davor steht ein Mann in Soldatenuniform und mit Maschinengewehr
Der Schützenpanzer Puma auf dem Rheinmetall-Werksgelände in Unterlüß (Niedersachsen). Bild © picture-alliance/dpa
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Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, reagierten die Börsen nervös, die Kurse rauschten nach unten. Anleger sollten aber nun einen kühlen Kopf bewahren, empfahlen Banken und Finanzexperten. Tatsächlich gab es aber auch Gewinner an der Börse: Direkt nach Kriegsbeginn schoss die Aktie des Rüstungskonzerns Rheinmetall nach oben und befindet sich seither im Höhenflug. Mittlerweile ist die Aktie mit über 200 Euro doppelt so viel wert wie in den Tagen vor dem Krieg.

Das Geschäft bei Rheinmetall brummt und damit auch in Kassel, dem weltweit größten Standort des Unternehmens für Produktion und Instandhaltung von gepanzerten Fahrzeugen. Rund 1.200 Menschen arbeiten hier bei Rheinmetall. In diesem Jahr erwartet der Konzern eine höhere Auslastung, mehr als hundert Mitarbeiter sollen in Kassel neu dazu kommen. Nach vorläufigen Schätzungen steige der Unternehmensgewinn im Jahr 2022 im Rüstungssegment um 20 Prozent, das sei ein "Rekordwert" teilte das Unternehmen dem hr mit. Der Krieg ist auch ein gutes Geschäft.

Die Entwicklung der Rheinmetall Aktie im Jahr 2022, ab dem Beginn des Ukraine Krieges geht der Verlauf der Aktie deutlich nach oben
Bild © hessenschau.de

Pannen-Puma und Marder

Für 2023 rechnet Rheinmetall, dass der Umsatz nochmal um mehr als 10 Prozent steigt. Davon profitieren auch die Mitarbeiter: Im Vorstand wird ein Teil des Gehalts in Aktien ausgezahlt, für andere steht das Aktienkaufprogramm "Mein Stück Rheinmetall" zur Verfügung. Wer hier - laut Rheinmetall - zu "attraktiven Konditionen" zugegriffen hat, konnte im vergangenen Jahr deutlich profitieren.

Und das alles obwohl Rheinmetall und das Rüstungsunternehmen Krauss Maffei Wegmann mit ihrem gemeinsamen Vorzeigeprojekt, dem Schützenpanzer Puma, zuletzt in die Negativschlagzeilen gerieten. Im Dezember fielen sämtliche Pumas bei einer Übung der Bundeswehr aus. Das Verteidigungsministerium erhöhte den Druck auf die Industrie, die verteidigte sich damit, die Fehler seien lediglich "Bagatellen".

Wegen der Pannenserie mit dem Puma beteiligt sich die Bundeswehr nun an der Nato-Eingreiftruppe mit dem in die Jahre gekommenen Marder. Darüberhinaus schickt Deutschland bis zu 40 dieser Gefechtsfahrzeuge in die Ukraine. Auch das bringt Aufträge für Rheinmetall: Der Marder wird am Standort Kassel modernisiert und instandgesetzt.

Linke: "Kassel ist wichtigste Waffenschmiede Deutschlands"

Auch Krauss Maffei expandiert. Das Unternehmen baut in Kassel eine neue Werkshalle, offenbar brauchen der Konzern und seine 1.500 Mitarbeiter an diesem Standort mehr Platz. Hier werden Türme für die Panzer Puma und Leopard 2 gebaut. Krauss Maffei hatte im vergangenen Jahr einen Auftrag für 100 gepanzerte Artilleriegeschütze des Typs Panzerhaubitze 2000 bekommen, ein Kettenfahrzeug, das wendig ist und schnell schießt. Auch Rheinmetall ist an der Panzerhaubitze beteiligt, außerdem haben die beiden Konzerne ein Joint Venture in Kassel: das gemeinsame Unternehmen Projekt System & Management GmbH (PSM) ist ausschließlich für den Puma zuständig, die Firma koordiniert Aufträge und Vermarktung.

Für die Linke in Hessen ist klar, "Hessen ist ein Hotspot der Rüstungsproduktion und Kassel ist eine der wichtigsten Waffenschmieden Deutschlands", sagt Jan Schalauske, friedenspolitischer Sprecher der Partei. In einem Rüstungsatlas hatte die Partei 2018 über 60 in Hessen ansässige Rüstungskonzerne gezählt. Darunter Konzerne wie Rheinmetall und Hensoldt, die zu den 100 größten Rüstungsunternehmen weltweit zählen. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres ging der Umsatz der Firma Hensoldt mit Sitz im bayerischen Taufkirchen um fast 30 Prozent nach oben. Hensoldt lieferte Teile für Waffen, die an die Ukraine gingen. Die Tochterfirma Hensoldt Optronics in Wetzlar produziert Zielfernrohre und Nachtsichtgeräte.

100 Milliarden Euro Finanzspritze

Im Dezember teilte die Firma mit, sie gehe von einem deutlich stärkeren Wachstum für das Jahr 2023 aus, der Konzern rechnet mit Budgeterhöhungen und Aufträgen aus dem 100 Milliarden schweren Sondervermögen für die Bundeswehr. 25,1 Prozent der Firma gehören dem Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit Sitz in Frankfurt. Die Hensoldt-Aktie hat den gleichen Knick nach oben wie die von Rheinmetall. Kurz nach Kriegsausbruch am 24. Februar vergangenen Jahres war sie bereits mehr als doppelt so teuer.

Das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Bundeswehr, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach Kriegsbeginn ankündigte, sei ein "Selbstbedienungsladen für die Rüstungsindustrie", kritisiert Linkenpolitiker Schlalauske, die Industrie könne jetzt "fröhlich Preise diktieren". Das Geld werde künftig an anderer Stelle fehlen, fürchtet Schalauske, etwa bei Kultur und Sozialem. Der Puma sei ein "Fass ohne Boden".

Auch Niklas Schörnig, Rüstungsexperte bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, sagt, dass die Rüstungskonzerne offensichtlich vom Krieg profitieren. Am Aktienkurs von Rheinmetall sehe man, dass nicht nur das Unternehmen, sondern der gesamte Markt davon ausgeht, dass der Krieg gut fürs Geschäft sei.

Sichere Geschäfte

Bei der Preisgestaltung sei es in der Rüstungsindustrie außerdem anders als beim Autohändler in der Nähe. Die Preise seien im Rüstungsgeschäft vorher nicht fix vereinbart. Es gebe stattdessen ein "Kostenplus Preisverfahren": "Inflation darf gesteigert werden, wenn sich die Anforderungen ändern von Nachfragerseite, dann wird das auch neu bepreist. Die Projekte sind so gestaltet, dass der Hersteller nicht mit Verlust rausgeht." Das sei ein relativ sicheres Geschäft, sagt Schörnig.

Technisch hochgerüstete Produkte wie der Puma haben ihren Preis, ein Panzer kostet rund 17 Millionen Euro, er gilt als der teuerste der Welt. Die Industrie verkaufe gerne "Goldrandlösungen", sagt Schörnig, es liege aber auch an den Käufern - etwa der Bundeswehr - deren Ansprüche seien extrem hoch. "Wenn man den Aussagen von Soldatinnen und Soldaten glauben kann, die damit befasst sind, sind Projekte mit Anforderungen überladen, die teilweise nicht zusammenpassen", sagt Schörnig.

Beide Seiten würden so zu Problemen wie beim Puma beitragen. "Je komplexer diese Waffensystem sind, umso mehr werden wir in Zukunft solche Probleme sehen", sagt Schörnig. Es sei richtig, wenn die Politik jetzt hinterfragt, ob sie weitere Pumas bestellen will - sie dürfe aber auch die Systeme nicht mit Ansprüchen überfrachten.

Instandhaltung, Reparatur, Nachrüstung, Modernisierung

In einem Schreiben des Verteidungsministeriums, aus dem das Magazin Spiegel zitierte, zeigt sich, dass sich das Ministerium durch die Puma-Panne zuletzt bewusst wurde, dass die Komplexität des Panzers zu Ausfällen führen kann. Auch dann ist wieder die Industrie am Zuge. Denn so ohne Weiteres lassen sich die Systeme von den Soldaten selbst nicht warten. Die Unternehmen verkaufen also nicht nur ihre Panzer, sondern auch Service, Reparatur, Nachrüstung und Modernisierung. Auch im Ernstfall.

Im Einsatz koordiniere die Bundeswehr die nötigen Arbeiten, die Rüstungskonzerne lieferten Ersatzteile und unterstützten die Instandhaltung, beschreibt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits und Verteidigungsindustrie (BDSV), das symbiotische Verhältnis. Als die Bundeswehr in Afghanistan war, habe es eine Niederlassung der Industrie vor Ort gegeben. Im Kriegsfall seien die Konzerne "nicht ganz vorne, aber relativ nah am Einsatz" dabei, sagt Atzpodien.

BDSV: "Wir sind keine Kriegsgewinnler"

Der Vorwurf, dass die Konzerne Kriegsprofiteure seien, will er hingegen nicht gelten lassen: "Wir sind keine Kriegsgewinnler. Wir wollen nicht profitieren vom Leid anderer Menschen", sagt Atzpodien. "Wir wollen Streitkräfte ausrüsten dafür, dass sie ihren Verteidigungsauftrag wahrnehmen können." Dazu gehöre, die Bundeswehr mit Material zu versorgen, das sie an die Ukraine weitergibt, jegliche Exporte würden ohnehin streng reguliert.

Die 100 Milliarden Euro aus der "Zeitenwende" seien zwar viel Geld, Atzpodien zweifelt aber, ob es überhaupt reicht: Es gebe eine "lange Liste unerfüllter Wünsche" der Bundeswehr, der Bedarf sei noch größer als die bisherigen Bundeswehrplanungen. Dazu sei vieles seit dem Kriegsbeginn teurer geworden und der Bedarf an Munition oder Ersatzteilen sei noch gestiegen. Der BDSV fordert eher noch mehr Geld, der Verteidigungshaushalt müsse aufgestockt werden.

Hoffnung auf Abrüstung

Schalauske von der Linken will das Gegenteil: "Statt diesen Rüstungskonzernen immer weiter Steuergelder in den Rachen zu werfen, schlagen wir vor, dass die Landespolitik ein Programm zur Rüstungskonversion" umsetzt. Es sollen also Anreize geschaffen werden, von militärischen Produkten auf nichtmilitärische umzustellen.

Grundsätzlich findet das auch Niklas Schörnig als Friedensforscher richtig. "Das Argument, eine Waffenschmiede kann sich nicht ändern, kaufe ich nicht", sagt er. Angesichts des Krieges in der Ukraine sei der Moment für solche Forderungen allerdings schwierig. Er hoffe, dass Deutschland sich langfristig nicht so eine teure Bundeswehr leisten muss. Kurzfristig gebe es den Bedarf, sagt Schörnig. "Ich hoffe, dass wir wieder bessere Zeiten haben".

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Sendung: hr-iNFO, 11.01.2023, 9.15 Uhr

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Quelle: hessenschau.de