Neben Heinrich XIII. Prinz Reuß flog Anfang Dezember ein Mann aus Wetzlar als Teil der Reichsbürger-Verschwörung auf. Eine Analyse der Social-Media-Aktivitäten lässt erahnen, wie er langsam in die abstruse Welt der QAnon-Theorien abrutschte.

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Viel Zulauf für Kanäle von Verschwörungstheoretiker Alexander Q.

Screenshot eines YouTube-Accounts mit dem Titel "Frag uns doch". In den zahlreichen Vorschaubildern ist fast immer derselbe Mann zu sehen.
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Den Einstieg in Parallelwelten nimmt er über Kryptowährungen. Alexander Q. aus Wetzlar, im Dezember bei der Reichsbürger-Razzia festgenommen und vor Jahren noch als Unternehmensberater für seriöse Firmen tätig, tritt von 2016 an als Fan von OneCoin in Erscheinung. Dabei handelt es sich um eine vermeintliche Kryptowährung, die sich bald allerdings als Label für ein Schneeballsystem und als Milliarden-Schwindel mit vielen betrogenen Anlegern entpuppen wird.

Q. tritt in Videos mit den wichtigen OneCoin-Multiplikatoren Nelia Müller (aka Nelly Diamond) und Martin Mayer auf. Womöglich bekommt er Geld dafür, dass er Werbung für die Schein-Währung macht, mit der nach WDR-Recherchen die inzwischen spurlos verschwundene "Krypto-Queen" Ruja Ignatowa und ihre Clique zu fabelhaftem Wohlstand kamen. 

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Spätestens seit 2020 ist Alexander Q. dann selbst erfolgreicher Verschwörungsunternehmer: mit Youtube- und Telegram-Kanälen und einer Gefolgschaft, die auch seine Vorträge über seine abstrusen Theorien willig und offenbar zu Hunderten bucht. Die Welt, die er in seinen Videos und Audiobotschaften skizziert, ist voller vermeintlicher düsterer Geheimnisse. Es geht um verkaufte und von Superreichen geschlachtete Kinder, verschobenes Geld, schließlich das Coronavirus als eine weltweite Verschwörung. 

Irrsinnige Behauptungen, offener Antisemitismus

Wer hinter all dem stecken soll, benennt er gleich im ersten Video auf seinem Youtube-Kanal "Frag uns doch!": der sogenannte Tiefe Staat, eine Geheimregierung also, und, natürlich, die jüdische Hochfinanz. Irrsinnige Behauptungen, Verschwörungsgeschichtchen von der Stange und offener Antisemitismus - damit ersendet sich Q. auf Youtube ein treues Publikum und reiht sich ein in die QAnon-Gemeinde, deren Gefolgsleute auch beim Sturm auf das US-Kapitol vor zwei Jahren in erster Reihe marschierten. 

Sein erster Youtube-Clip im März 2020 kommt noch auf ein paar tausend Abrufe, beim letzten im November 2020 sind es schon über 100.000. Danach lässt Q. den Kanal ruhen und konzentriert sich auf seine Gefolgschaft beim Messenger Telegram. 

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Den Telegram-Kanal hat er ebenfalls im Frühjahr 2020 eingerichtet. Dort stürzt Alexander Q. sich nach dem Abflauen der Corona-Pandemie auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Aus seiner Sicht ist das freilich ein Krieg der Nato-Staaten gegen Russland.

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Datenbank

Für diese Auswertung haben wir eine Datenbank von QAnon- and QAnon-nahen Verschwörungstheorien auf Social Media genutzt. Diese Datenbank wurde von den Rechercheorganisationen Bellingcat und Lighthouse Reports zusammengestellt. 

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So raunt Q. in einer Audiobotschaft vom 8. März 2022 von alliierten Truppen, die sich in Wien zusammenzögen. Er berichtet von Bussen alliierter Besatzungsstreitmächte, die angeblich durch München fahren. Menschen verhaften und wegbringen. Das habe ihm eine Quelle gesteckt, die er aber nicht nennen könne. "Es wird aufgeräumt ...", flüstert er und macht eine dramatische Kunstpause, bevor er fortfährt: "... auch in Deutschland."  

Follower-Zahl sinkt langsam

Im April 2022 verzeichnet Alexander Q.s Telegram-Kanal mehr als 140.000 Follower. Das zeigt ein Blick in die QAnon-Datenbank. Dafür beobachtet das Recherchenetzwerk Bellingcat den Kanal von Q. und anderen Verschwörungserzählern, nach Auskunft von Bellingcat-Redakteurin Johanna Wild sind es 2.448 einschlägige Kanäle weltweit und mindestens 578 deutsche.

Jedoch: Die Zahl von Q.s Followern sinkt langsam, aber beständig. Von Mai bis Dezember büßt sein Telegram-Kanal etwas mehr als fünf Prozent seiner Reichweite. Anfang Januar steht der Zähler bei knapp 123.000.  

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Ein Bild, das sich so bei vielen Telegram-Kanälen zeigt. Auch andere Kanäle in Q.s Umfeld wie diejenigen von fuf media oder Qlobal Change verlieren in den vergangenen Monaten der Bellingcat-Datenbank zufolge Follower. Alle zeigen noch einmal einen auffälligen kurzen Sprung nach oben zwischen 19. und 24. September, ohne dass man dafür besonders erfolgreiche Posts verantwortlich machen könnte, und setzen dann ihren Sinkflug fort.  

Jedes Audio-Post 70.000-mal abgerufen

Johanna Wild von Bellingcat schreibt dem hr dazu: "QAnon hat ein wenig an Attraktivität eingebüßt. Aber wenn man sich die Zahlen für Q.s Kanal seit 2021 ansieht, war der Verlust an Followern bei ihm gar nicht so stark." Nach ihrer Beobachtung haben sich Anfang 2022 andere QAnon-Kanalbetreiber von Q. distanziert, was möglichwerweise seine Reichweite geschmälert habe.

Heißt das, dass den Verschwörungstheoretikern die Anhänger weglaufen? Man muss es bezweifeln. Die reinen Followerzahlen sagen wenig aus. Wer weiß, wie viele davon die geteilten Inhalte tatsächlich wahrnehmen und wie viele Fake-Accounts sich hinter den Zahlen verbergen?

Was sich sagen lässt: In den vergangenen Monaten äußert Q. sich gern per Telegram-Audiobotschaft, sechs- bis zehnmal pro Woche. Glaubt man der Telegram-Statistik, die man mit dem Analyse-Programm Telepathy auslesen kann, wird jeder Post mit einem Audio rund 70.000-mal abgerufen, und das ziemlich stabil. Auch die Anzahl der Reaktionen, die diese Posts hervorrufen, ist recht konstant. Etwa jede 100. Empfängerin oder jeder 100. Empfänger reagiert, noch etwas häufiger werden sie in anderen Kanälen geteilt. 

Ein letzter Post, Stunden vor der Festnahme

Aus all diesen Zahlen ergibt sich das Bild einer anscheinend gefestigten Parallelgesellschaft. Wie groß sie letztlich ist, wie viele Menschen durch diese Posts wirklich erreicht werden, wie viele die Inhalte auch innerlich teilen, ist schwer zu sagen. 

Zeichnung von zwei Figuren und drei Kerzen, eine davon erloschen, dabei die Botschaft "Lasst uns ein Licht für jene sein, die ihr Leuchten verloren haben"

Auch die Rechercheure von Bellingcat tappen hier im Dunkeln, wie Johanna Wild einräumt: "Es ist leider nicht möglich, dafür konkrete Zahlen zu nennen. Wir wissen auch nicht, wie viele Telegram-Kanäle von QAnon-Anhängern und Reichsbürgern es letztlich gibt, auch wenn wir denken, dass wir diejenigen mit den meisten Followern in unsere Datenbank gepackt haben."

Alexander Q. postet mehrmals täglich in seinem Telegram-Kanal. Das bislang letzte Mal am 6. Dezember um 23.32 Uhr. Er teilt ein kitschiges Bild von gezeichneten Männchen und einer erloschenen und zwei brennenden Kerzen mit der Botschaft "Lasst uns ein Licht für jene sein, die ihr Leuchten verloren haben" und der Signatur "Der kleine Yogi".

Einige Stunden später, in den frühen Morgenstunden des 7. Dezember 2022, wird Alexander Q. von der Polizei festgenommen. Der Generalbundesanwalt wirft ihm Unterstützung der Reichsbürger-Verschwörung rund um den Frankfurter Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß vor. Alexander Q.s Kanal schweigt seitdem. 

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