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Grundsteinlegung in Marburg: Die erste "Umweltherberge" in Hessen

Visualisierung von Neubau

Über 20 Jahre ist es her, dass in Hessen eine Jugendherberge komplett neu gebaut wurde. Mitten in Marburg mit Blick auf die Lahn entsteht nun eine neue "Umweltherberge" für über 10 Millionen Euro. Die Entwürfe hatten im Vorfeld für Diskussionen gesorgt.

Das erste Mal alleine ein Bett beziehen, roten Tee schlürfen, bis tief in die Nacht im Stockbett Geheimnisse flüstern. Jugendherbergen sind für viele Schulkinder der Ort, an dem Legenden entstehen. So war das auch in Marburg, fast 70 Jahre lang.

Der braunweiße Backsteinbau galt schon lange als unmodern und sanierungsbedürftig – allerdings in Marburger Bestlage am Trojedamm mit Blick auf die Lahn. Zentraler und gleichzeitig idyllischer geht es kaum in der Unistadt.

Inzwischen befindet sich auf dem Grundstück nur noch ein tiefer Krater, in dem Baumaschinen herumfahren und erste Fundamente gelegt werden. Letztes Jahr wurde der Altbestand bereits abgerissen, am Freitag war nun Grundsteinlegung für einen Neubau. Es ist das erste Mal seit über 20 Jahren, dass in Hessen eine Jugendherberge komplett neu gebaut wird.

"Umweltherberge": Größer, moderner, naturnäher

Mit fast 4.000 Quadratmetern Nutzfläche, 188 Betten und 50 Zimmern soll das Haus mehr Platz für Gäste bieten als das vorherige, erklärt Knut Stolle, Vorstand des hessischen Jugendherbergsverbands. Dazu kommen verschiedene variabel nutzbare Gemeinschaftsräume, eine Terrasse mit Anschluss an den Trojedamm und Bewegungsflächen im Außenbereich.

zwei Männer auf Baustelle

Als "Umweltherberge" soll sich das Gebäude durch einen besonderen Naturbezug auszeichnen, so Stolle: Geplant sind vertikale Gärten an der Fassade und Bienenstöcke auf dem Dach. Im Programm soll es zudem spezielle Angebote ums Thema Umwelt geben, etwa ein mobiles Labor. Und auch das Gebäude selbst werde mit einer modernen Pelletheizung, Maßnahmen zum Wassersparen und eine Photovoltaik-Anlage möglichst ressourcenschonend sein.

Erste barrierefreie Jugendherberge Hessens

"Weil das Gelände mitten in der Stadt für eine Jugendherberge vergleichsweise klein ist, sind wir bei der Planung in die Höhe gegangen", so Stolle. Teilweise sei das Haus viergeschossig, an der Außenwand sollen eine Kletterwand und auch ein Boulderbereich entstehen. Gleichzeitig habe man darauf geachtet, dass sich das Gebäude in die Umgebung einpasst und beispielsweise die historische Mühle nebenan nicht komplett verdeckt.

Herbergsvater Peter Schmidt, der das vorherige Haus bereits 20 Jahre geleitet hat, freut sich besonders darüber, dass der Neubau barrierefrei wird. Es soll vier behindertengerechte Zimmer geben, innen ist ein Aufzug geplant. "Wir sind damit die erste vollständig barrierefreie Jugendherberge in Hessen", betont Schmidt.

Marburger Gestaltungsbeirat war unzufrieden mit Entwürfen

Der Neubau hatte in Marburg allerdings im Vorfeld auch für Diskussionen gesorgt. 2019 waren der Marburger Denkmalbeirat und der Gestaltungsbeirat nicht zufrieden mit den vorgelegten Entwürfen. Von "Klotz" oder "Kaserne" war damals unter anderem die Rede.

Beim Gestaltungsbeirat handelt es sich um ein Gremium aus Baufachleuten und Wissenschaftlern, das bei größeren Neu- oder Umbauten seine Einschätzung dazu gibt, wie sie ins Stadtbild passen. Bindend ist diese Beurteilung allerdings nicht.

Baustelle

Der Wiesbadener Architekt und Vizepräsident der hessischen Architektenkammer Holger Zimmer war damals Vorsitzender des Beirats. Er berichtet: Man habe die Entwürfe für wenig originell, einladend und zeitgemäß gehalten. Auch in puncto Nachhaltigkeit habe man sich lieber eine Bauweise mit mehr Holz statt Beton und Stein gewünscht.

Zudem kritisiert Zimmer das Vergabeverfahren für die Entwurfsplanung, das aus seiner Sicht intransparent gelaufen sei und sich mehr über den Preis als die architektonische Qualität der Entwürfe entschieden habe. "Wir hätten es besser gefunden, wenn der Jugendherbergsverband einen richtigen Wettbewerb ausgelobt hätte, wie es öffentliche Bauherren wie die Stadt Marburg und auch andere inzwischen bei solchen Großprojekten immer öfter machen."

Fertigstellung im Spätsommer 2025

Knut Stolle meint dazu: Der Jugendherbergsverband verfüge nun mal über sehr begrenzte finanzielle Mittel, es sei schwierig, damit außergewöhnliche architektonische Ideen umzusetzen.

Herbergsvater Peter Schmidt sagt: Man habe "viele konstruktive Gespräche" mit dem Gestaltungsbeirat geführt, das Konzept weiterentwickelt und einige Details geändert, etwa bei Fassade und Fensteranordnung. "Und letztlich sind wir froh, dass wir dadurch ein tolles Haus entwickelt haben, was unseren Vorstellungen und denen der Stadt entspricht."

Bau hatte sich verzögert

Baubeginn sollte ursprünglich schon 2021 sein. Zwischenzeitlich wäre das Projekt aber noch fast komplett gescheitert. Die Corona-Pandemie traf die Jugendherbergen schwer, hinzu kamen gestiegene Baukosten und Inflation. 2020 legte der hessische Landesverband mehrere Modernisierungsprojekte und den Marburger Neubau auf Eis.

Einige Häuser in Hessen überlebten die Folgen der Corona-Pandemie nicht: Gießen, Weilburg und Zwingenberg (Bergstraße) wurden geschlossen. In Marburg stand zwischenzeitlich im Raum, dass der bereits leerstehende Altbestand als dauerhafte Bauruine zurückbleiben könnte. Vor dem Abriss wurde er sogar von der Freiwilligen Feuerwehr als Übungsobjekt genutzt.

Mindestens zehn Millionen Euro Baukosten

Nach nach dem Ende der Corona-Beschränkungen entspannte sich die Situation der hessischen Jugendherbergen dann wieder etwas, auch wenn sie laut Landesverband durch verschiedene Kostensteigerungen weiterhin finanziell belastet sind.

In zwei Jahren soll nun die neue Herberge fertig sein. Die Baukosten werden voraussichtlich mindestens zehn Millionen Euro betragen, statt der ursprünglich veranschlagten sieben Millionen. Das Bauprojekt wird vom Land Hessen und der Stadt Marburg bezuschusst.

Bei der Grundsteinlegung wurde auch eine Zeitkapsel mit ins Mauerwerk eingebettet, also ein lutftdicht verschlossener Metallbehälter, der zeittypische Dinge enthält: eine aktuelle Tageszeitung, Geldmünzen und eine Baubeschreibung. Und auf spontane Anregung des hr auch einen Beutel Hagebuttentee.

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Jugendherbergen in Hessen

Jugendherbergen gibt es seit über 100 Jahren in Hessen. Der Landesverband des Deutschen Jugendherbergswerks betreibt derzeit 27 eigene und zwei Partner-Jugendherbergen. Der letzte Komplett-Neubau wurde 2002 in Bad Homburg eröffnet. Als gemeinnütziger Verein finanziert sich der Verband nach eigenen Angaben hauptsächlich aus Einnahmen aus dem Gästebetrieb und Mitgliedsbeiträgen.

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