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Als einer der letzten Holocaust-Zeitzeugen ist Ivar Buterfas-Frankenthal diese Woche unterwegs auf Vortragsreise in Hessen. In Marburg traf er auf Schülerinnen und Schüler - erstmals unter Polizeischutz.

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Holocaust-Überlebender besucht Marburg

Leute beim Interview
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Ivar Buterfas-Frankenthal schüttelt an diesem Morgen wie so oft viele Hände: einer kleinen Entourage aus dem Marburger Rathaus, Pressevertretern, Organisatoren der Veranstaltung. Neu ist allerdings: Er schüttelt auch zwei Männern die Hände, die in schwarzer Schutzmontur gekommen sind.

Ivar Buterfas-Frankenthal ist einer der letzten Holocaust-Zeitzeugen in Deutschland. Am Montagmorgen trägt der 90-Jährige sich ins Goldene Buch der Stadt ein und spricht dann vor Schülerinnen und  Schülern aus Marburger Gymnasien - angesichts der aktuellen Lage allerdings erstmals unter Polizeischutz.

Einer der letzten Zeitzeugen

"Der Anlass meiner Besuche ist in letzter Zeit immer schrecklicher geworden", sagt Buterfas-Frankenthal gleich zu Beginn. Und meint mit Blick auf den Nahen Osten: "Ich hoffe, dass man da zur Besinnung kommt, und bete zu Gott, dass man vernünftige Lösungen findet."

Veranstaltung im Kino

Der gebürtige Hamburger hat seine Geschichte schon über 1.500 Mal öffentlich erzählt. Nun sind rund 300 Schülerinnen und Schüler aus den Oberstufen der Marburger Gymnasien zu seinem Vortrag im Kino gekommen. "Nach mir kommt keiner mehr", kündigt Buterfas-Frankenthal ihnen in norddeutscher Nüchternheit an. "Das ist das letzte Mal, dass ihr jemandem Fragen stellen könnt, der das miterlebt hat."

Bericht über den Terror der Nazis

Buterfas-Frankenthals Lebensgeschichte beginnt am 16. Januar 1933 in Hamburg - zwei Wochen vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er und seine sieben Geschwister gelten als sogenannte "Halbjuden". Ein jüdischer Vater, eine christliche Mutter - als "Mischlinge ersten Grades" sollten sie fortan systematisch unterdrückt und verfolgt werden.

Während der Vater einer der ersten ist, der im norddeutschen Lager Esterwegen und schließlich im KZ Sachsenhausen "verschwindet", muss auch die zurückbleibende Familie unter dem Nazi-Terror leiden.

Jahrelang staatenlos

Buterfas-Frankenthal erzählt, wie die Familie erst in ein sogenanntes Judenhaus umgesiedelt wird. Wie Mitschüler ihn drangsalieren, mit Zigaretten verbrennen und als Judensau beschimpfen. Wie die Familie schließlich in zerbombten Kellern ums Überleben kämpft. Und: wie er seine Staatsbürgerschaft verliert und noch Jahre nach dem Krieg um sie kämpfen muss.

Mann und Frau

Er sprich auch über den Horror in den Konzentrationslagern: über Nazis, die Juden Goldzähne ziehen und Kinder mit Behinderung aufhängen. Und auch über die "Traditionslüge", wie er die deutsche Nachkriegserzählung nennt, die sich schon früh breitmacht: Das haben wir doch alles nicht gewusst.

Seit fast 70 Jahren verheiratet

An seine Seite ist wie immer seine Frau Dagmar, mit der er bereits seit fast 70 Jahren verheiratet ist. Aufs Stichwort ihres Mannes hält sie Bilder, Bücher und historische Gegenstände hoch, die vor den beiden ausgebreitet auf dem Tisch liegen: der Judenstern, der Fremdenpass, ein neues Schulbuch, das auf Buterfas-Frankenthals Lebensgeschichte basiert.

Sie hält außerdem seine Hand, wenn er aufstehen will, und spricht ihm ins Ohr, wenn er - inzwischen fast taub - etwas nicht versteht. Hin und wieder korrigiert sie ein Detail und bekommt dafür dann ein Küsschen.

Ivar Buterfas-Frankenthal hält einen dicht verwobenen Monolog, der hin und herspringt zwischen dem eigenen Schicksal, Anekdoten aus der Zeitgeschichte und Kommentaren über Themen, die ihn offenbar heutzutage viel beschäftigen: das Bildungssystem zum Beispiel, die deutsche Polizei und das Erstarken der AfD.

Hin und wieder will ihm dabei fast der Faden entgleiten. Aber Ivar Buterfas-Frankenthal ist ein routinierter Erzähler - er findet den Weg immer wieder zurück. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", gibt er den Jugendlichen mit. "Und das fängt schon bei euch auf dem Schulhof an."

"Ich trage keinen Hass in mir"

Die Schülerinnen und Schüler hören gebannt zu, am Ende haben sie viele Fragen: Wie der Umgang mit Mitläufern nach dem Krieg war, ob er denn nie Deutschland verlassen wollte, was er zu den rechtsextremen Polizeichats sagt, über die sie in den Medien lesen.

Buterfas-Frankenthal nimmt sich Zeit. "Es ist wichtig, dass ihr wisst: Ihr tragt keine Schuld für das, was eure Urgroßeltern als Mitläufer oder Mittäter getan haben", sagt er. "Und ich trage keinen Hass in mir."

Manche Schüler sagen nach der Veranstaltung: Es sei das erste Mal gewesen, dass sie jemanden aus dieser Zeit direkt über den Krieg haben reden hören. Ihre Großeltern seien zu jung, die Urgroßeltern würden nicht reden wollen oder seien nicht mehr am Leben.

Auch Ivar Buterfas-Frankenthal wird nicht mehr oft darüber sprechen. Anfang nächsten Jahres will er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. "Ich würde ja noch weitermachen, aber es geht einfach nicht mehr", sagt er.

"Verdrängen ist das Schlimmste"

Dass die Sicherheitslage bei seinen letzten Terminen nun so sei, wie sie ist, das sei schrecklich. "Und wenn wir da wieder hinkommen, dass ich wieder meinen Namen vom Briefkasten oder vom Klingelknopf nehmen muss."

Hindern lassen will er sich davon aber nicht. "Verdrängen ist nun mal das Schlimmste", meint er. Das passiere in Deutschland immer noch zu viel. Erzählen, das sei dagegen wie ein Befreiungsschlag - jedes Mal.

Weitere Informationen

Ivar Buterfas-Frankenthals weitere Termine in Hessen

Marburg, 17.10., 19.30 Uhr: Gemeinsame Veranstaltung der Stadt mit der Jüdischen und der Muslimischen Gemeinde (KFZ, Biegenstr. 13)
Gießen, 18.10., 18 Uhr: Uni Gießen (Hörsaal 5 am JuWi-Campus, Licher Str. 68)
Hanau, 19.10., 19.30 Uhr: Kooperation mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Jüdischen Gemeinde (Kulturforum Hanau, Am Freiheitsplatz 18 a)

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