200 Protestierende Kirchenasyl und Solidarität in Darmstadt retten Syrer vor Abschiebung

Seit zwei Wochen sitzt ein Syrer in Darmstadt im Kirchenasyl. Als sich die Ausländerbehörde ankündigt, befürchtet die Gemeinde das Schlimmste. Doch es kommt anders.

Frau, von hinten zu sehen, spricht zu einer Menschenmenge
Helferin Dorothea Köhler spricht zu den vielen Unterstützern Bild © Mike Marklove (hr)
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Abderrahman G. fällt ein riesiger Stein vom Herzen. In der Hand hält der Syrer am Donnerstagmorgen seine Anlaufbescheinigung, die ihm ein Asylverfahren in Deutschland zusichert. Noch wenige Augenblicke zuvor musste er befürchten, nach Malta abgeschoben zu werden.

Behördenchef kündigt sich für 7 Uhr an

Seit Anfang August befindet sich der 35-Jährige im Kirchenasyl der evangelischen Matthäusgemeinde in Darmstadt. Am Donnerstag endete die Übergangsfrist, innerhalb derer eine Abschiebung möglich gewesen wäre. Und für genau diesen Tag um 7 Uhr hatte sich die zuständige Ausländerbehörde Mainz-Bingen angekündigt.

Nicht irgendwer wollte da kommen, sondern der Geschäftsbereichsleiter der Behörde, Stefan Cludius, höchstpersönlich – um mit G. zu sprechen, wie die Behörde vorab mitgeteilt hatte. Doch die Kirchengemeinde fürchtete, Cludius könnte versuchen, das Kirchenasyl zu brechen und die Abschiebung durchzusetzen.

"Behörde hat schlechten Ruf"

"Diese Ausländerbehörde hat seit vielen Jahren einen schlechten Ruf", berichtet Dorothea Köhler. Sie ist ehrenamtliche Beraterin der Kirchengemeinde, setzt sich seit Jahren für Flüchtlinge ein. Die Behörde sei für ihre Härte bekannt, habe sogar schon einmal eine schwangere Frau aus dem Krankenhaus geholt, um sie abzuschieben.

Rund 200 Menschen haben sich am Donnerstagmorgen vor der Kirche versammelt. Mit Bannern, auf denen unter anderem "Schutz für alle" und "Kein Mensch ist illegal" zu lesen ist, zeigen sie Präsenz und fordern ein Bleiberecht für den Syrer. Köhler lobt explizit den Einsatz gerade der Darmstädter Bürgerinnen und Bürger für Menschenrechte.

Stadt Darmstadt sauer auf Rheinland-Pfälzer

Auch die Stadt und ihr Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) hatten sich klar positioniert. "Beim Kirchenasyl handelt es sich um einen wichtigen Schutzraum", hatte Benz noch am Mittwoch mitgeteilt. "Versuchte Abschiebungen lehnen wir als Stadt kategorisch ab und bekennen uns eindeutig zum Kirchenasyl."

Besonders verärgert zeigte sich die Stadt darüber, dass sie nicht einbezogen wurde. Die Darmstädter Ausländerbehörde sei vom Kreis Mainz-Bingen nicht kontaktiert worden, sagte Ordnungsdezernent Paul Wandrey (CDU). Auch das in Hessen für Abschiebungen zuständige Regierungspräsidium Darmstadt sei nicht involviert gewesen.

Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei

Doch Cludius hat keine Vollzugsbeamten im Schlepptau, als er am Donnerstag in Darmstadt erscheint. Stattdessen überreicht er dem Syrer über einen hüfthohen Zaun hinweg, der die Grenze des Kirchengeländes markiert, das ersehnte Papier. G.s angespannte Miene macht einem erlösten Lächeln Platz. Nach wenigen Minuten ist der Behördenleiter wieder verschwunden.

G. war 2022 über das Mittelmeer nach Malta geflüchtet, wie Köhler berichtet. Der wegen seiner Homosexualität verfolgte Syrer sei zuvor im Libanon inhaftiert gewesen. "Er kam in einem zwölf Meter langen Schlauchboot, zusammen mit rund 100 weiteren Menschen, wie man das so aus dem Fernsehen kennt."

Über Malta nach Ingelheim

Von Malta aus gelang ihm die Weiterreise nach Deutschland. Nach dem sogenannten Dublin-Abkommen der Europäischen Gemeinschaft (EU) müssen Asylverfahren aber in jenem Land stattfinden, in dem Geflüchtete erstmals den Boden der EU betreten. "Doch in Malta werden die Menschen unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert", sagt Köhler.

Ein monatelanges Verfahren durch mehrere Instanzen endete zum Nachteil von G., der mittlerweile in einer Unterkunft in Ingelheim in Rheinland-Pfalz wohnte. Am 2. August wurde ihm laut Kreis die Verfügung zur Vorbereitung seiner Abschiebung ausgehändigt.

Kirchenasyl verhindert Abschiebung

Schließlich flüchtete sich G. ins Kirchenasyl nach Darmstadt – aus seiner Sicht wohl die richtige Entscheidung. "Wäre er nicht ins Kirchenasyl gegangen, wäre er wahrscheinlich abgeschoben worden", bestätigt der Sprecher des Landkreises Mainz-Bingen, Bardo Faust, auf Anfrage.

Das Kirchenasyl in Darmstadt wurde der Ausländerbehörde am 4. August gemeldet. Die Behörde bezweifelt allerdings, dass der Betroffene das in dieser kurzen Zeit von Ingelheim aus selbst organisiert hat. Sie kritisiert, die Kirchengemeinde habe sich nicht an das zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Kirchen vereinbarte Dossier-Verfahren mit seinen Fristen gehalten.

Behörde bestreitet geplanten Bruch des Kirchenasyls

Faust bestreitet aber, dass es jemals Pläne gegeben habe, G. aus der Kirche herauszuholen. Deshalb sei Cludius als ranghoher Verteter der Behörde persönlich erschienen. "Er wollte auch noch einmal deutlich machen, dass ihm das Kirchenasyl wichtig ist."

Köhler bleibt skeptisch. "Wenn wir nicht so massiv öffentlich aufgetreten wären, auch im Vorfeld, hätte das auch anders ausgehen können", ist sie überzeugt. G. jedenfalls bedankt sich bei allen Anwesenden für die Unterstützung. Ein paar Tage will er noch im Kirchenasyl bleiben, dann wird er wohl nach Rheinland-Pfalz zurückkehren und dort auf sein Asylverfahren warten.

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Sendung: hr4, 17.8.2023, 15.30 Uhr

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Quelle: Mike Marklove (hr4)