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Bei Kindeswohlgefährdung sind in Frankfurt zwei Ämter zuständig

In einer Garderobe einer Kindertagesstätte hängen bunte Rucksäcke und Jacken.

In Frankfurt gibt es mehrere Verdachtsfälle auf sexuelle Gewalt durch Erzieher in Kitas. Die Aufklärung von Kindeswohlgefährdung ist hier auf zwei Ämter verteilt. Vom Gesetzgeber ist das eigentlich anders vorgesehen.

Kinder können sich nicht selbst schützen. Geben Eltern ihr Kind in eine Kita ab, gehen sie davon aus, es wohlbehalten abholen zu können. Doch wer kontrolliert die Kita, wenn Kindern dort etwas geschieht - wie zum Beispiel in den durch hr-Recherchen bekannt gewordenen neun Verdachtsfällen sexueller Übergriffe?

Diese Fälle ziehen Fragen nach sich: Hat der Kita-Träger alles getan, um die Kinder zu schützen? Haben die Verantwortlichen bei den Mitarbeitern genau hingeschaut, wen sie einstellen? Ist das Kinderschutzkonzept der Kita gut genug? Eltern können diese Fragen nicht selbst klären. Darum sind dafür Aufsichtsbehörden zuständig. In Hessen sind das die Jugendämter der Kommunen.

Doch in Frankfurt ist das anders geregelt. Hier ist das Stadtschulamt zuständig, weil Kitas als Vorschule gelten. Folgt man der Selbstbeschreibung auf der Internetseite der Behörde mit rund 600 Mitarbeitenden, plant diese Schulwege, kauft Beamer oder zahlt staatliche Gelder an die Träger von Kitas aus. Über ihren Schutzauftrag für Kitakinder erfährt man dort nichts.

Kritik an Aufteilung auf zwei Ämter

Auf Nachfrage beim zuständigen Bildungsdezernat von Sylvia Weber (SPD) heißt es, in dem für Kindertageseinrichtungen zuständigen Fachbereich seien 16 Sozialpädagoginnen und -pädagogen beschäftigt. Diese seien für die pädagogische Betreuung und Aufsicht der über 800 Kitas in Frankfurt zuständig.

An dieser Regelung gibt es zwei grundlegende Kritikpunkte: die Kompetenzfrage und die rechtliche Basis des zwei-Ämter-Konstrukts.

Katharina Maucher war viele Jahre Leiterin der unabhängigen Fachstelle Kinderschutz im Frankfurter Jugendamt. Die Psychologin sieht die Zuständigkeit des Stadtschulamts kritisch. In der Regel würde sich die Behörde für alle Bereiche des Kinderschutzes in Kitas zuständig fühlen, verfüge aber "nicht über die Kompetenz und die Methodik, den Verdacht des sexuellen Missbrauchs an einem Kind zu klären".

Expertenteam-Methode kommt nicht überall zum Einsatz

In ihrer Zeit beim Jugendamt hat sie das "Frankfurter Modell" entwickelt. Das geht so: Eine Sozialarbeiterin des Jugendamts legt alle Hinweise auf einen Missbrauch drei unabhängigen Experten vor. Die betrachten die Hinweise aus den unterschiedlichen Perspektiven des Kindes, des mutmaßlichen Täters und der Familie. Auf dieser Grundlage entscheidet die Sozialarbeiterin im Jugendamt, wie sie den Verdacht einschätzt.

Eine professionelle Methode, bei der das Kindeswohl im Vordergrund stehe. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn der Verdacht besteht, dass ein Kind durch Angehörige oder im Sportverein missbraucht wurde. In diesen Fällen ist das Jugendamt zuständig.

Das Frankfurter Stadtschulamt wendet diese Expertenteam-Methode jedoch nicht an, wie das Bildungsdezernat auf hr-Anfrage bestätigt. Für Maucher ist dies ein unhaltbarer Zustand. Kitaleitungen würden sich seit Jahren nicht mehr trauen, bei Missbrauchsfällen das Jugendamt einzuschalten, weil sie dann "vom Stadtschulamt etwas auf die Mütze kriegen".

Rechtliche Bedenken wegen "Kinderschutz-Zweiteilung"

Auch aus rechtlicher Sicht wird inzwischen Kritik laut. Reinhard Wiesner gilt als "Vater des Kinder- und Jugendhilfegesetzes". In den 1990er Jahren hat er im Bundesfamilienministerium maßgeblich daran mitgeschrieben. Die Frankfurter Aufgabenverteilung überrascht den Verwaltungsjuristen.

Zwar hätten Kommunen eine gewisse Freiheit, wie sie die Kinder- und Jugendhilfe ausgestalten. Aber eine Zweiteilung des Kinderschutzes in Kitas beim Stadtschulamt und beim Rest im Jugendamt "ist mit dem Bundesgesetz nicht vereinbar", so Wiesner im hr. Das Splitting wäre nur möglich, wenn das Jugendamt am Ende die Kontrolle über das Stadtschulamt habe. Aber das sei in Frankfurt nicht vorgesehen.

Das Bildungsdezernat bezweifelt, dass durch die Aufgabenteilung in Frankfurt Nachteile für den Schutz von Kindern entstehen. Die Planung der Kinderbetreuung, die Kitafinanzierung und die Aufsicht lägen traditionell in Frankfurt in einer Hand, so ein Sprecher. Der stellvertretende Leiter des Jugendamtes, Michael Krause, hat damit auch kein Problem. In Einzelfällen könnten Eltern sich beim Kinderschutztelefon Rat holen, wenn sie den Verdacht haben, dass ihr Kind in einer Kita missbraucht wurde.

Die Erziehungswissenschaftlerin Ursula Enders hatte zuvor bereits Kritik an der Aufarbeitung von Verdachtsfällen in Frankfurter Kitas durch die Träger geübt und diese mit der katholischen Kirche verglichen. Enders hat die unabhängige Fachberatungsstelle "Zartbitter" in NRW mitgegründet. Aus ihrer Sicht fehlen in Frankfurt unabhängige Beratungsstellen, an die sich Eltern bei Verdacht auf Missbrauch in einer Kita wenden können.

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