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Unklarheit in Marburg nach Einsturz von Hörsaal

Eingestürzte Decke im Hörsaal 205 der Uni Marburg

Nach dem Einsturz einer Hörsaal-Decke hallt in Marburg der Schock noch nach, die Ursachensuche läuft. Dabei hat die Uni mit Sanierungen von historischen Gebäuden und anderen Bauprojekten auch so schon allerhand zu tun.

Es hätte ganz anders ausgehen können: Dass niemand in den Reihen saß, als im Hörsaal 205 im Marburger Landgrafenhaus in der Nacht von Samstag auf Sonntag die Decke runterkam, lag ausschließlich am Zeitpunkt. Unter der Woche finden hier sonst durchgängig Vorlesungen statt, der Saal hat knapp 400 Plätze.

Nach dem Einsturz wird nun die komplette Statik des rund 100 Jahre alten Gebäudes geprüft und geklärt, ob noch weitere Gebäudeteile betroffen sind. Wie die Uni am Mittwoch mitteilte, werde die Untersuchung voraussichtlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Zunächst hatte es geheißen, man rechne mit dem Gutachten im Laufe der Woche.

Die Uni teilte mit: Man prüfe besonders die Standsicherheit des Hörsaals 205, die Decken des darunterliegenden Hörsaals und die Decken aller angrenzenden Räume. Dabei würden Decken und eventuell auch Wände an verschiedenen Stellen geöffnet, um möglichst detaillierte Informationen über den Zustand der tragenden Bauteile zu erhalten. Das Dach des Landgrafenhauses werde ebenfalls überprüft.

Gebäude derzeit komplett gesperrt

Erst nach Abschluss der Untersuchung könne entschieden werden, ob und welche Gebäudeteile wieder geöffnet werden, so die Uni. Mindestens bis Mitte Januar bleibt demnach das gesamte Landgrafenhaus geschlossen. Veranstaltungen wurden verlegt oder werden online abgehalten. Der betroffene Hörsaal dürfte voraussichtlich für ein Jahr nicht nutzbar sein, in diesem Zeitraum stünden Aufräum- und Sanierungsarbeiten an.

Die Uni kündigte außerdem an, dass außerplanmäßig alle ähnlich konstruierten Decken und abgehängte Decken in großen Räumen von einem externen Statistik-Büro überprüft werden.

Inzwischen machte die Uni auf hr-Anfrage auch weitere Details zur jüngeren Geschichte des Landgrafenhauses: Im Gebäude seien seit 2010 fast jährlich Sanierungen und Brandschutzmaßnahmen durchgeführt worden. Man stelle derzeit Details zu den damit verbundenen Untersuchungen zusammen und stelle sie den Statikern für die Auswertung zur Verfügung.

Uni trägt Reparaturkosten selbst

Eine genaue Schadenssumme kann die Uni aktuell noch nicht nennen. Sie wird aber auf einen mindestens sechsstelligen Betrag geschätzt.

Die Kosten für die Reparatur wird die Uni aus laufenden Haushaltsmitteln begleichen, wie sie mitteilte. Sie erklärte dies mit dem "Selbstversicherungsprinzip des Landes". Nach diesem Grundsatz reguliert die öffentliche Hand eventuell auftretende Schadensfälle selbst, anstatt sie zu versichern. Die Uni erklärte: Das sei in der Regel kostengünstiger.

Mittlerweile richtete die Uni eigens einen Blog ein, auf dem sie über den aktuellen Stand der Dinge berichten will.

Großer Gebäudebestand: 120 Gebäude

Dabei hat die Uni Marburg mit ihrem umfangreichen und diversen Gebäudebestand eigentlich so schon allerhand zu tun: Über 120 Bauten gehören nach Angaben der Uni dazu. Allein im Innenstadtbereich gibt es elf Uni-Standorte, die meist aus mehreren Einzelgebäuden bestehen. Dazu kommt der Campus oberhalb der Innenstadt auf den Lahnbergen.

Die Spanne an universitären Gebäuden reicht dabei von historischen Bauten aus dem Mittelalter über Jugendstilhäuser und brutalistische Betontürme bis hin zu nagelneuen Forschungslaboren.

Während einerseits in Marburg ständig neue universitäre Großbauprojekte anstehen, sind andererseits Leerstand und Sanierungsbedarf von historischen Gebäuden immer wieder Thema in der Stadt. Einige Beispiele:

Hörsaalgebäude
Bibliothek
Lahnberge
Mensa
Kugelhaus
Savigny-Haus

Hörsaalgebäude

Das aktuell größte und für Marburger Studierende wohl am deutlichsten spürbare Projekt findet in der Biegenstraße statt. Schon seit über zehn Jahren wird das zentral gelegene Hörsaalgebäude aus den 1960ern Schritt für Schritt modernisiert.

Hörsaalgebäude Marburg

Nachdem unteren anderem eine Außensanierung inzwischen abgeschlossen ist, steht seit diesem Jahr eine innere Vollsanierung des Audimax an, inklusive Schadstoffsanierung, neuer Beleuchtung und Akustik. Das Audimax, der größte Marburger Hörsaal, fasst 900 Sitzplätze. Auch acht weitere kleinere Hörsäle im Gebäude werden Schritt für Schritt neu gestaltet. Auf dem Platz vor dem Gebäude steht deshalb momentan ein Interim-Hörsaal in Leichtbauweise mit 560 Plätzen.

Bibliothek

Die alte Unibibliothek direkt neben der Stadtautobahn prägt seit fast 60 Jahren das Marburger Stadtbild. Der "Silberwürfel" galt jedoch seit Jahren schon als dringend sanierungsbedürftig und nicht mehr zeitgemäß. Als Teil des "Campus Firmanei" baute die Uni schließlich eine komplett neue Bibliothek in der Innenstadt. Der Bau wurde 2018 eröffnet und kostete 120 Millionen Euro, getragen aus Landesmitteln. Der viergeschossige Bau schlängelt sich nun vergleichsweise dezent durch die Stadt zwischen Elisabethkirche und Altem Botanischen Garten.

Die neue Universitätsbibliothek vor der Elisabethkirche.

Die alte Unibibliothek stand nach dem Umzug zunächst einige Zeit leer. Inzwischen dient sie aber als eine Art Außenlager für Altbestände der Frankfurter Unibibliothek.

Lahnberge

Der Campus Lahnberge hoch im Wald oberhalb der Stadt ist in Marburg Dauerthema. Der Campus entstand bereits in den 1960er und 1970er Jahren. Die sogenannten Systembauten galten damals als bahnbrechende Architektur, heute stellen sie die Uni vor große Herausforderungen.

Die Hochschule sieht "erhebliche Baumängel und eine problematische Energiebilanz" bei den Gebäuden und plante vor rund 15 Jahren eigentlich einen großflächigen Abriss, um den Campus komplett neu zu gestalten. Das wurde so wie geplant allerdings nicht genehmigt - aufgrund des Denkmalschutzes. Auf dem Campus entstanden dennoch mehrere neue Forschungsgebäude, weitere sind geplant.

Über die inzwischen zum Teil leerstehenden brutalistischen Gebäude wird derweil weiterhin diskutiert. Besonders die Zukunft der Alten Chemie und des Hörsaalgebäudes mit seinem charakteristischen Pagodendach ist ungewiss.

Mensa

Die ebenfalls in den 1960ern gebaute Mensa am Erlenring ist ein Herzstück im Alltag vieler Marburger Studierender. Auch sie gilt als sanierungsbedürftig. Eigentlich sollte es damit schon 2024 losgehen, nun soll der Baustart im Jahr 2025 sein.

Menschen vor der Mensa

Mindestens ein Jahr lang werden Studierende dann nicht in der Mensa essen können, möglicherweise wird es aber Alternativen in einem Zelt geben.

Kugelhaus

Das um 1500 gebaute ehemalige Klostergebäude hat nicht nur eine sehr lange Geschichte, sondern auch eine sehr prominente Lage in Marburg am Rand der Oberstadt. Seit vor einigen Jahren die Ethnographische Sammlung der Uni aus dem Sandsteinbau auszog, hat die Uni allerdings keine Verwendung mehr dafür.

altes Haus

Weil die Stadt Marburg aber Interesse hat, das Kugelhaus in Zukunft zum Beispiel als Wohnraum nutzbar zu machen, gab sie eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Die Studie ergab 2022 durchaus Potenzial für eine Umnutzung. Allerdings wurden auch stellenweise starker Pilzbefall und zentimeterbreite Risse festgestellt. Trotzdem kündigte die Stadt an, in Erwerbsverhandlungen mit Uni und Land Hessen gehen zu wollen. Konkrete Umbaupläne sind bisher nicht bekannt.

Savigny-Haus

Das Savigny-Haus liegt schräg gegenüber dem nun vom Einsturz betroffenen Landgrafenhaus und ist das Hauptgebäude des Fachbereichs Rechtswissenschaften. Seit Jahren wird über eine umfangreiche Sanierung diskutiert, bei der das 60 Jahre alte Gebäude komplett entkernt werden soll. Jedoch wurde der Baustart mehrfach verschoben.

Nach aktuellem Stand sollen die Arbeiten nun im kommenden Jahr beginnen und drei Jahre dauern. Die Jura-Bibliothek und die Büros der Mitarbeiter des Fachbereichs sollen währenddessen in die alte Unibibliothek ziehen.

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