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Bürgerbegehren in Amöneburg: Doch Umbenennung der Gutmann-Straße?

Straßenschild mit der Beschriftung "Dr. Josef-Gutmann-Straße". Hinter dem Straßenschild liegt eine farbige Fläche, dahinter unscharf leicht verfärbt Strukturen eines Baumes.

Nach jahrelanger Diskussion wurde vor einem Monat entschieden: Die umstrittene Gutmann-Straße in Amöneburg bleibt. Aber der Beschluss sorgt weiter für Kritik. Ein mögliches Bürgerbegehren will sogar der Bürgermeister unterstützen.

Winfried Kaul muss am Telefon mehrmals Pause machen. Zum einen, weil parallel immer wieder sein Handy klingelt. Wegen der Unterschriftensammlung, sagt er. Zum anderen, weil ihn das ganze Thema nach wie vor emotional so aufwühlt, dass dem 77-Jährigen immer wieder die Tränen kommen.

Bewusstlos geschlagene Kinder, lädierte Trommelfelle, Tritte von Kopf bis Fuß: Kaul war eines der Opfer des ehemaligen Amöneburger Priesters und Schulleiters Josef Gutmann. Auch Kaul wurde als Kind Ende der 1950er Jahre verprügelt und gedemütigt, Gutmanns Gewaltorgien über Jahre hinweg sind inzwischen ausgiebig aufgearbeitet und belegt.

Dass eine Straße in Amöneburg weiterhin nach dem brutalen Prügel-Lehrer heißt, wird seit Jahren heftig diskutiert. Ein Stadtverordnetenbeschluss Anfang Februar sollte eigentlich einen Schlusspunkt setzen: Der Name bleibt, hieß es da. Doch Amöneburg kommt nicht zur Ruhe.

Bürgerinitiative gegründet

Nun hat sich die Bürgerinitiative "Umbenennung der Dr.-Josef-Gutmann-Straße" gegründet. Sie will per Bürgerentscheid erreichen, dass der Name doch noch geändert wird und beginnt, Unterschriften zu sammeln.

Mindestens 415 Unterschriften müssen in den nächsten vier Wochen gesammelt werden, ein Quorum von zehn Prozent der Amöneburger Wahlberechtigten. Vorsichtshalber sollen aber noch mehr Unterschriften gesammelt werden, sagen die Initiatoren, zu denen auch Winfried Kaul gehört.

Auch Magistrat widerspricht Beschluss

Unabhängig von der Unterschriftensammlung geht aber auch die Diskussion im Stadtparlament in eine unerwartete nächste Runde. Der Magistrat hat nach dem Beschluss mittlerweile offiziell Widerspruch eingelegt.

Das ist insofern etwas verwunderlich, weil der Magistrat zwar mit anderen Personen besetzt ist, aber ansonsten das gleiche parteipolitische Kräfteverhältnis abbildet wie die Stadtverordnetenversammlung. Hier hatten die Fraktionen von CDU und Freien Wählern mit deutlicher Mehrheit gegen eine Umbenennung gestimmt.

Wohl der Gemeinde gefährdet?

Der Magistrat kann laut Hessischer Gemeindeordnung Widerspruch gegen einen Beschluss der Stadtverordneten einlegen, wenn er entweder Rechtsfehler oder die Gefährdung des Wohls der Gemeinde sieht.

Laut Bürgermeister Andre Schlipp (parteilos) liege zwar kein Rechtsfehler vor, aber der Magistrat habe sich gefragt: Ist das Wohl der Gemeinde dadurch gefährdet, dass Amöneburg in ein schlechtes Licht gerückt wird, wenn der Straßenname beibehalten wird?

Historisches Bild

Der Magistrat habe sich schließlich mehrheitlich für einen Widerspruch ausgesprochen. Die genauen Abstimmungsverhältnisse sind allerdings - anders als im Stadtparlament - nicht öffentlich.

Wie genau es nun weitergeht, steht noch nicht fest. Klar ist: Die Abgeordneten müssen noch mal über die Beschlussvorlage abstimmen. Das wird laut Bürgermeister Schlipp noch nicht bei der nächsten Sitzung stattfinden, sondern erst bei der übernächsten im April. Offen ist noch, ob es in diesem Zusammenhang auch noch mal Beratungen geben wird.

Bürgermeister will selbst unterschreiben

Schlipp berichtet, dass er im Nachgang Zuschriften aus ganz Deutschland bekommen habe, die den Beschluss kritisiert hatten - auch von Betroffenen. Er sei außerdem der Ansicht, die Stimmen von Zeitzeugen seien vor der Abstimmung nicht ausreichend gehört worden.

Der Bürgermeister, der erst seit September letzten Jahres im Amt ist, hatte sich vor der Abstimmung nicht dazu geäußert. Er habe die Stadtverordneten nicht beeinflussen wollte, erklärt er. "Mittlerweile bedauere ich, dass ich vorher nichts gesagt habe." Er kündigte zudem an, die Unterschriftenliste auch selbst unterzeichnen zu wollen.

CDU: "Magistrat versucht, demokratische Verhältnisse auszuhebeln"

Kritik am Magistrats-Widerspruch gibt es beispielsweise von der CDU-Fraktion im Stadtparlament. Fraktionsvorsitzender Markus Dörr erklärt auf hr-Nachfrage: Die Stadtverordneten hätten demokratisch entschieden, und sich dabei an die Mehrheitsmeinung im Ortsbeirat gehalten.

Straßenschild mit der Beschriftung "Dr-Gutmann-Straße"

Der Magistratsbeschluss versuche nun, demokratische Verhältnisse auszuhebeln, so Dörr. "Wir kritisieren außerdem klar, dass der Bürgermeister vorher nichts dazu gesagt hat."

Ein Bürgerbegehren anzustoßen sei aber selbstverständlich legitim, sagt er. "Und wenn die Mehrheit der Bürger das dann so möchte, wird das auch so durchgeführt."

Betroffener: Gespaltene Reaktionen

Winfried Kaul berichtet: Seitdem die Initiative bekannt ist, bekomme er sehr viele Rückmeldungen, allerdings extrem unterschiedliche. "Es gibt Leute hier, die sehr von dem Thema genervt sind und meinen, dass durch die Diskussion ihr Heimatort schlecht gemacht wird." Kaul habe auch schon gehört, dass Menschen Gutmanns Taten abstreiten, relativieren oder sogar meinen: Er selbst habe die Prügel wohl verdient gehabt.

Mann mit hr-Mikrofon

Gleichzeitig würden momentan aber auch viele Menschen anrufen, die empört seien über den Beschluss und sich für eine Umbenennung engagieren wollten. Mittlerweile habe die Bürgerinitiative rund 20 Listen rausgegeben und sei guter Dinge, ausreichend Unterschriften zu bekommen.

"Ich bin stolz, so viele Unterstützer zu haben, die das zurechtrücken wollen", sagt Kaul. Es tue ihm auch gut, das Thema nach all den Jahren ans Licht zu bringen, darüber sprechen zu können und Verständnis und Mitgefühl von anderen zu bekommen. "Ich habe dadurch nicht mehr das Gefühl, in einer verrückten Welt zu leben." Lange Zeit habe er gedacht, er müsse wohl selbst das Problem sein.

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