Kinder spielen mit Bauklötzen, eine Frau ist bei ihnen.

Zu wenige Plätze, zu wenig Personal: Der enorme Mangel an hessischen Kitas ist chronisch. Einer Bertelsmann-Studie zufolge verschärft er sich aber noch. Helfen würden demnach kürzere Öffnungszeiten.

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Studie – in Hessen fehlen nun schon 41.000 Kita-Plätze

hs 28.11.
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Für knapp die Hälfte aller unter Dreijährigen in Hessen wünschen sich Eltern einen Krippenplatz. Einen Kitaplatz für die älteren Kinder hätten dem Bundesfamilienministerium zufolge fast alle Eltern gerne. Schon bisher blieb es oft bei dem Wunsch, und die Lage hat sich offenbar noch verschlechtert.

Zu diesem Ergebnis kommt das "Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme", eine bundesweite Studie der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Um den Bedürfnissen der Erziehungsberechtigten gerecht zu werden, bräuchte das Bundesland laut den am Dienstag veröffentlichten Zahlen der Experten derzeit 41.200 Kita-Plätze mehr.

Damit hätte sich die ohnehin bestehende Mangellage noch einmal deutlich verschärft. Vor einem Jahr war die Stiftung auf einen zusätzlichen Bedarf von 37.200 Kita-Plätzen gekommen.

Hessen unter Bundesdurchschnitt

Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung, zieht das Fazit: "Hessen kann den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach wie vor nicht bedarfsgerecht erfüllen."

Betroffene Kinder bekämen keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung. Eltern könnten Familie und Beruf schwieriger vereinbaren.

In beiden Altersgruppen liegt Hessen bei der Versorgung unter dem Bundesdurchschnitt. Bei den unter Dreijährigen, für die sich 48 Prozent der Eltern einen Platz wünschen, sind in Hessen 33 Prozent in einer Betreuung. Deutschlandweit haben 36 Prozent einen Platz.

Bei den über Dreijährigen, für die 98 Prozent der Eltern Betreuungsbedarf anmelden, haben 91 Prozent einen Kita-Platz. Im Bundesschnitt sind es 92 Prozent.

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Drei von vier Kitas fehlt Personal

Auch für diejenigen, die einen Platz haben, könnte es nach Meinung der Experten der Stiftung besser laufen. Denn gemessen an der Zahl der Kinder haben viele Einrichtungen zu wenig Personal. Fast drei Viertel der Kinder (73 Prozent) werden demnach in Gruppen mit "nicht kindgerechtem Personalschlüsseln" betreut.

Für die Kleineren in den Krippen ist statistisch betrachtet eine Vollzeit-Fachkraft für 3,6 Kinder zuständig. In Westdeutschland liegt das Verhältnis im Schnitt bei 1 zu 3,4. Die Bertelsmann-Experten empfehlen ein Verhältnis von 1 zu 3.

Für die über Dreijährigen zeichnet die Statistik ein sehr viel ungünstigeres Bild. In Hessen kommen auf eine Fachkraft neun Kinder (8,8), während es in Westdeutschland im Schnitt acht Kinder (7,7) sind. Die Stiftung empfiehlt sogar maximal 7,5 Kinder pro Fachkraft.

"Bildungsauftrag für Mehrheit nicht erfüllt"

Das harte Urteil von Bock-Famulla: "Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Hessen aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können."

Tatsächlich sei die Betreuung im Alltag sogar noch schlechter. Denn der Personalschlüssel sagt noch nichts darüber aus, wie viel Zeit eine Fachkraft tatsächlich mit den Kindern verbringen kann. Urlaubs- und Krankheitstage sowie Zeit für Teamgespräche oder Vor- und Nachbereitung müssten noch abgezogen werden.

"Es ist davon auszugehen, dass im Schnitt nur zwei Drittel der Arbeitszeit für die eigentliche Bildung und Betreuung der Kinder zur Verfügung stehen", erklärt Bock-Famulla. Für Krippenkinder in Hessen bedeute das: Rechnerisch mag gemäß Personalschlüssel im Schnitt eine Fachkraft auf 3,6 Kinder kommen, in der wirklich betreuten Zeit sind es aber 5,4 Kinder.

Prognose: Auch 2030 werden Kita-Plätze fehlen

Die Aussichten seien schlecht, dass der seit zehn Jahren bestehende Rechtsanspruch auf eine Tagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr tatsächlich garantiert werden kann. Die Prognose der Stiftung lautet vielmehr: "Hessen kann den Bedarf an Kita-Plätzen auch bis 2030 voraussichtlich nicht decken."

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In Hessen fehlen tausende Kita-Plätze

Kinder spielen mit Bauklötzen, eine Frau ist bei ihnen.
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Der Personalschlüssel werde bis dahin auch nicht aufs durchschnittliche West-Niveau gestiegen sein. Es sei zudem davon auszugehen, dass die Zahl der Eltern weiter steigt, die ihre Kinder betreuen lassen wollen. Das gelte vor allem für die Gruppe der Kinder unter drei Jahren.

Was gegen den Mangel helfen könnte

Um den enormen Personalmangel "zumindest abzufedern" schlägt die Bertelsmann-Stiftung mehrere Maßnahmen vor:

  • Die täglichen Kita-Öffnungszeiten könnten auf sechs Stunden reduziert werden. So könnte Hessen der Berechnung zufolge bis zum Jahr 2025 den Bedarf der Eltern decken. Ein Teil von ihnen wünsche ohnehin eine kürzere tägliche Betreuung als vertraglich abgemacht. Dies gehe aber nur in Abstimmung zwischen Eltern, Kita-Betreibern und Kommunen. Außerdem müssten Arbeitgeber die Arbeitszeiten von Eltern stärker den Kita-Öffnungszeiten anpassen.
  • Fachkräfte sollen von nicht-pädagogischen Aufgaben entlastet werden, zum Beispiel durch Beschäftigte aus Verwaltung und Hauswirtschaft.
  • Quereinsteiger müssten weiterhin gewonnen und qualifiziert werden. Da Qualität wichtig sei, müssten nicht ausreichend geschulte Kräfte berufsbegleitend mindestens das Ausbildungsniveau der Sozialassistenz erreichen.

"Die Kita-Krise ist so weit fortgeschritten, dass sie neue Antworten erfordert", sagt Bock-Famulla. Gerade den Akteuren in der Politik und den Arbeitgebern müsse klar sein, dass der anhaltende Personalmangel in der frühkindlichen Bildung Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft habe.

Anteil der Quereinsteiger darf steigen

Im Sommer hatte die amtierende schwarz-grüne Koalition beschlossen, die Hürden für die Einstellung von Quereinsteigern zu senken. Ihr maximaler Anteil darf von bislang 15 auf 25 Prozent steigen.

Nach zwei Jahren sollen die Auswirkungen des Gesetzes überprüft werden. Ein 100-Millionen-Euro umfassendes Programm sollte gleichzeitig Erzieherinnen von anderen Aufgaben entlasten und die Arbeit multiprofessioneller Teams fördern.

FDP: Studie muss ein Weckruf sein

Im Landtag wird die Behebung des Personalmangels in hessischen Kitas seit Jahren kontrovers diskutiert. Die Opposition wirft der Koalition Versagen vor. Dass nun bereits 41.000 Kita-Plätze fehlen, müsse "ein Weckruf für die künftige Landesregierung" sein, sagte am Dienstag René Rock, Fraktionschef der oppositionellen FDP.

In den seit zwei Wochen laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD spielt das Thema eine Rolle. Ein "Investitionsprogramm für den Kitausbau" ist laut einem Eckpunktepapier bereits beschlossene Sache. Details standen noch nicht fest.

Außerdem soll die Bezahlung während der Erzieherinnen-Ausbildung verbessert und der Kita-Besuch im letzten Jahr vor der Einschulung Pflicht werden. Kita-Leitungen sollen "möglichst weitgehend" für ihre administrativen Aufgaben freigestellt werden.

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