Kombination von zwei Portraits von Männern mittleren Alters, die in die Kamera lächeln. Der Hintergund ist in blau-türkis mit einer nur leicht angedeuteten Zeichnung eines Herzens an den Seiten.

600 Menschen in Hessen benötigen aktuell ein Spenderorgan. Manche werden das Warten nicht überleben. Zwei Betroffene aus Hessen erzählen über das Hoffen und die Angst.

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Tag der Organspende am Samstag

HS 02:06:2023
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In fast jedem Zimmer in Wolfgang Schlegels Zuhause in Hessisch Lichtenau (Werra-Meißner) steht ein Telefon. Die Handys haben Schlegel und seine Frau immer griffbereit, auch nachts. "Damit wir im Fall des Falles zu erreichen sind, weil es dann schnell gehen muss", sagt der 67-Jährige.

Seit drei Jahren wartet er als gelisteter Kandidat auf ein Spenderherz - und auf den erlösenden Anruf der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim (Wetterau). Es ist hessenweit das einzige Zentrum für Herztransplantationen für Erwachsene. Fethi Zamangör aus Frankfurt lag dort für rund fünf Monate auf der Station. Als er Anfang 2023 mit einer Grippe ins Krankenhaus kam und seine Nieren zu versagen drohen, wird auch er auf die Hochdringlichkeitsliste für eine Herztransplantation gesetzt.

"Ich dachte mir, mit Infusionen kriegen wir das wieder hin, aber das war nicht der Fall", sagt der 47-Jährige. Bei ihm wurde bereits mit 18 Jahren eine Herzinsuffizenz diagnostiziert. Dass er irgendwann ein neues Herz brauchen würde, war ihm bewusst. "Im Krankenhaus haben sie mir dann gesagt: Sie müssen hier bleiben, bis Sie ein Spenderherz haben, sonst sterben Sie."

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Tag der Organspende am 3. Juni 2023

Der deutschlandweite Aktionstag der Organspende will Aufmerksamkeit schaffen und für das Thema sensibilisieren - immer am ersten Samstag im Juni. Dieses Jahr findet die zentrale Veranstaltung am 3. Juni in Düsseldorf statt, in Hessen war der "Tag der Organspende" zuletzt 2011 in Frankfurt zu Gast.

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Viele warten, wenige spenden

Warten auf ein rettendes Spenderorgan: Allein in Hessen stehen aktuell rund 600 Menschen auf der sogenannten aktiven Warteliste. Deutschlandweit steigt die Zahl nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) auf insgesamt rund 8.500 Menschen. Neben dem Herz zählen auch Lunge, Niere, Leber, Dünndarm und die Bauchspeicheldrüse zu den transplantierbaren Spenderorganen.

Doch während viele schwerkranke Menschen auf Spenderorgane hoffen, reicht die Spendenbereitschaft nicht aus. In Hessen haben nach Angaben der DSO insgesamt 51 verstorbene Menschen im vergangenen Jahr Organe gespendet, das entspricht etwa einem Verhältnis von acht Spendern pro einer Million Einwohner.

Das zeigt sich auch an der Zahl der transplantierten Organe: Wie die DSO angibt, ist die Zahl der Organtransplantationen bundes- und hessenweit zuletzt kontinuierlich gesunken. 2022 war die Zahl mit 107 transplantierten Organen in Hessen auf einem Tiefstand - im Vergleich zu 2019 entspricht dies einem Rückgang von rund 24 Prozent. Weniger Organspenden führten auch zu weniger Transplantationen, erklärt die DSO.

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Ein künstliches Herz als Zwischenlösung

Anders als Fethi Zamangör hatte Wolfgang Schlegel nicht schon seit dem Jugendalter Herzprobleme. 2007 war er das erste Mal beim Kardiologen, wenige Jahr später musste ihm wegen der stärker nachlassenden Leistung seines Herzens wie auch Zamangör ein Defibrillator eingesetzt werden. "2019 bin ich dann siebenmal einfach umgefallen und wenn der Defi nicht gewesen wäre, dann wär Schluss gewesen", sagt der 67-Jährige aus Nordhessen.

2020 folgte ein künstliches Herz und die Aufnahme in die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderherz. Seitdem trägt Schlegel immer seine schwarze Umhängetasche bei sich, ein Schlauch verbindet das Kontrollgerät mit dem implantierten Kunstherz. Es soll die Zeit bis zur Organspende überbrücken. Jeden Tag um 10 und 22 Uhr tauscht Schlegel mit seiner Frau die Akkus in der drei Kilo schweren Tasche. Für einen Notfall steht ein Stromaggregat in der Garage.

Dazu täglich Tabletten, wenig körperliche Belastung und viel Vorsicht. "Das wär schon eine schöne Sache, wenn sich das Leben irgendwann wieder normalisiert", hofft Schlegel. "Es wird nicht mehr wie früher, weil auch das Alter da ist, aber besser."

Wolfgang Schlegel steht seit drei Jahren auf der Warteliste - bis zur Spende versorgt ihn ein mit Akkus betriebenes Kunstherz.

Organspende braucht Einverständnis in Deutschland

Anders als in vielen anderen europäischen Ländern kommen als Organspender oder Organspenderin in Deutschland nur diejenigen in Frage, bei denen eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt. Ihre Entscheidung können sie zu Lebzeiten selbst in einer Patientenverfügung oder einem Organspendeausweis festhalten. Alternativ werden in einem Todesfall die Angehörigen in dieser Entscheidung befragt, wie es das Transplantationsgesetz regelt.

2024 soll zudem das geplante Organspende-Register der Bundesregierung an den Start gehen. Interessierte sollen ihre Entscheidung zur Organspende künftig online selbst hinterlegen, einsehen oder ändern können. Auch ein spezielles Organspende-Tattoo kann ein Anhaltspunkt für Angehörige bei der Entscheidungsfindung sein.

Denn auch wenn nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rund 80 Prozent der Bürger in Deutschland Organspenden eher positiv sähen, hätten nur knapp mehr als die Hälfte ihre Entscheidung schriftlich dokumentiert. Der DSO zufolge lag 2022 in den Situationen einer möglichen Organspende in einem deutschen Krankenhaus nur in etwa 15 Prozent der Fälle eine schriftliche Willensbekundung der Verstorbenen vor.

Ausgefüllt und unterschrieben gelten Sie damit offiziell als Organspender.

Leben, warten und hoffen im Krankenhaus

Nach der schockierenden Diagnose lebte Fethi Zamangör aus Frankfurt zunächst auf unbestimmte Zeit in der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik. Alleine auf einem Einzelzimmer, getrennt von seiner Frau und seinen Söhnen. "Man hat dann im Krankenhaus viel Zeit, ich lag ja todkrank da und man denkt oft ans Sterben und den Tod", sagt er rückblickend. "Ich habe mich damals von meiner Familie auch auf eine Art verabschiedet, falls der Fall eintritt, dass ich sterbe."

Nach nur dreieinhalb Monaten Wartezeit kam die erlösende Nachricht: Für Zamangör ist ein passendes Spenderherz gefunden worden. Er wird in der Kerckhoff-Klinik operiert, maximal vier Stunden dürfen zwischen der Entnahme und der Transplantation des Herzens liegen. Gut ein weiterer Monat in der Klinik folgt, dann ging es in die Reha: Nach Monaten im Krankenbett musste Zamangör Stehen, Gehen, Treppensteigen und Radfahren erst wieder trainieren. Seit Kurzem ist er zurück bei seiner Familie in Frankfurt.

Fethi Zamangör bei einer Nachsorge-Untersuchung in der Kerckhoff-Klinik.

Bedarf an Spenderherzen in Hessen deutlich höher

Zamangör ist damit einer von wenigen, die in Hessen ein Herz transplantiert bekommen. Nur rund zehn Herzen werden in der Kerckhoff-Klinik als einziges zuständiges Transplantationszentrum in Hessen durchschnittlich pro Jahr transplantiert, wie Herzchirurg Yeong-Hoon Choi sagt. 2022 wurden dort nach Angaben der DSO insgesamt elf Herzen transplantiert.

Zu wenige, wie Yeong-Hoon Choi betont: "Wir bräuchten wahrscheinlich eher 30 bis 40 Transplantationen im Jahr, um all unsere schwerkranken Patienten zeitnah versorgen zu können.“ Doch dafür gebe es wie bei allen Organen zu wenige Spender und Spenderinnen.

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In den Krankenhäusern hätten indirekte Auswirkungen der Pandemie, Personalmangel und eingeschränkte persönliche Kontakte zu Angehörigen in den vergangenen Jahren die Spendenzahlen beeinflusst, betont Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne). "Es ist daher auch für die positive Entwicklung der Organspenden wichtig, dem Personalmangel in Krankenhäusern, insbesondere auf den Intensivstationen, weiter effektiv entgegenzuwirken."

Wie die DSO auf Anfrage mitteilte, würde Deutschland durch den Zusammenschluss mit sieben weiteren Ländern immer noch mehr Organe erhalten als hierzulange gespendet würden. Gemeinsam mit Belgien, Kroatien, Luxemburg, Österreich, den Niederlanden, Slowenien und Ungarn regelt die Stiftung auch für Deutschland die Zuteilung der Organe. Allein in Hessen gibt es rund 120 Transplantationsbeauftragte an den Kliniken, die Organspendefälle betreuen.

Dankbarkeit für Lebensretter

Noch meidet Fethi Zamangör im ersten wichtigen Jahr nach der Transplantation Begegnungen und Menschenansammlungen. Denn damit der Körper sein noch neues Herz nicht abstößt, nimmt er Tabletten, die sein Immunsystem außer Kraft setzen. "Es braucht seine Zeit, aber ich weiß, dass ich jetzt ein gesundes Herz habe und es auch fordern muss. Mit der Zeit hoffe ich, dass ich dann vieles mitmachen kann, was ich verpasst habe." Zum Beispiel Fußballspielen mit seinen Söhnen.

Begleitet wird Zamangör auch wie bereits während seiner Wartezeit auf ein Spenderherz von dem kardiopsychologischen Team der Kerckhoff-Klinik. Das Team spricht mit Patienten über Themen wie Hoffen, Durch- und Aushalten, den möglichen Tod sowie über die Akzeptanz des neuen und den Verlust des eigenen Herzens.

Dass er ein neues Herz hat fühlt Zamangör nicht, dafür Dankbarkeit gegenüber seinem anonymen Spender: "Ich habe großen Respekt und würde mich gerne auch bei der betroffenen Familie bedanken und bei allen zukünftigen Spendern." Auch Wolfgang Schlegels Blick auf das Thema Organspende hat sich durch die eigene Erkrankung geändert, wie er sagt. "Wenn man selber betroffen ist, sieht die Sache anders aus. Man hat nur ein Leben."

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