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Preisverleihung an palästinensische Autorin verschoben

Adania Shibli Portrait

Die palästinensische Autorin Adania Shibli sollte auf der Frankfurter Buchmesse den renommierten LiBeraturpreis erhalten. Nun wurde der Termin verschoben, denn der Autorin wird Antisemitismus vorgeworfen. Zu Recht?

Es ist im Prinzip üblich, dass die Frankfurter Buchmesse von politischen Diskussionen überlagert wird. Wie auch nicht - kaum ein Medium eignet sich so gut für die künstlerische Verarbeitung von politisch-gesellschaftlichen Themen wie die Literatur. Die Werke des diesjährigen Friedenspreisträgers Salman Rushdie sind das beste Beispiel dafür.

So war es absehbar, dass der Terrorangriff auf Israel durch die Hamas Thema auch auf der Buchmesse (18. bis 22. Oktober 2023) wird. Zum einen, weil nicht ganz klar ist, ob die eingeladenen israelischen Autorinnen und Autoren anreisen können. Zum anderen, weil in diesem Jahr eine palästinensische Autorin mit dem renommierten LiBeraturpreis geehrt werden soll: Adania Shibli für ihren Kurzroman "Eine Nebensache".

Israel als Mordmaschine?

Die Berliner Tageszeitung taz griff Anfang der Woche eine Diskussion aus dem Sommer auf und stellte die Verleihung infrage. Damals hatte der WDR-Journalist Ulrich Noller aus Protest gegen die Entscheidung die mitverantwortliche "Weltempfänger"-Jury verlassen.

In der taz heißt es nun, "Eine Nebensache" diffamiere den Staat Israel als Mordmaschine. Die Israelis seien hier "anonyme Vergewaltiger und Killer", die Palästinenser Opfer von "schießwütigen Besatzern". Das sei die "ideologische und menschenverachtende Basis" eines Buchs voller Stereotype.

Shibli erzählt historisch verbrieftes Verbrechen

So wichtig der Kampf gegen Antisemitismus auch im Kulturbetrieb ist - ist Shiblis Kurzroman wirklich antisemitisch? "Eine Nebensache" erschien 2022 auf Deutsch und löste ein überwiegend positives Kritikerecho aus. Die englische Übersetzung war in den USA für den National Book Award und in England für den International Booker Prize nominiert.

Der Roman besteht aus zwei, mit Spiegeleffekten aufeinander aufbauenden Novellen. Im ersten Teil erzählt Shibli die historisch verbriefte Verschleppung, Vergewaltigung und Tötung eines Beduinenmädchens durch Soldaten des jungen Staates Israel im Jahr 1949.

Im zweiten Teil versucht eine palästinensische Ich-Erzählerin, das Verbrechen zu verstehen, von dem sie in der Zeitung liest. Für ihre Recherche fährt die Frau mit einem gemieteten Auto und einem ausgeliehenen Ausweis aus dem Westjordanland in den Süden Israels - wo auch sie am Ende auf israelische Soldaten trifft, die sie erschießen.

Soldat bleibt blass

In der Tat bleiben die Soldaten in beiden Teilen anonym - allein das ist aber kein ausreichendes Indiz für Antisemitismus. Auch bei der Beduinin und der Ich-Erzählerin verzichtet die Autorin auf Hinweise zu Aussehen, Sprache oder sogar Religion und umgeht so die Nutzung von Stereotypen.

Zudem tauchen im zweiten Teil des Buches auch Israelis auf, die mal freundlich, mal einsilbig mit der Palästinenserin umgehen. Die Hauptfigur des ersten Teils wiederum, ein Offizier, erscheint nicht als jüdischer Protagonist. Er bleibt blass, bis er sich in der gnadenlosen Wüstenhitze und von einem Skorpion gebissen in ein Monster verwandelt.

"Kein anklagender Tonfall"

Nun erscheinen die Spiegeleffekte vielleicht etwas gewollt und der Leser fragt sich am Ende, wer denn eigentlich das literarische Ich ist. Was Shibli auch nicht erwähnt, ist, dass die realen Soldaten vor ein Militärgericht kamen und zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt wurden. Doch der Roman ist frei von Gewalt- oder Rückeroberungsfantasien.

Es ist der Jury des LiBeraturpreises zuzustimmen, wenn sie urteilt, dass Shibli "ihren gleichsam sensiblen wie schonungslosen Blick" auf Menschen richte, die Gewalt ausführen und ihr ausgesetzt seien.

"Sie zeigt, wie erbarmungslos sich das ständige Gefühl von Ausweglosigkeit auf Menschen auswirkt und führt uns deutlich die Sinnlosigkeit anhaltender kriegerischer Konflikte und deren zerstörerisches Potenzial vor Augen", heißt es weiter. Die Autorin bediene sich "keines anklagenden Tonfalls, sie stellt das Grässliche nicht aus".

Keine Verleihung während der Buchmesse

Shibli selbst war für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht zu erreichen. Juergen Boos, Chef der Buchmesse und Vorsitzender des Vereins Litprom, teilte am Freitag mit, es werde angesichts des Terrors in Israel nun zusammen mit der Autorin "nach einem geeigneten Rahmen der Veranstaltung zu einem Zeitpunkt nach der Buchmesse" gesucht.

Der Verein Litprom, der den Preis vergibt, hatte zuvor auf hr-Anfrage geschrieben, er denke "über Form und Zeitpunkt der Preisverleihung" angesichts des Krieges in Israel intensiv nach. Geplant war sie am Freitagabend (20. Oktober) auf der Buchmesse. Die Verleihung selbst geschehe auf Basis literarischer Kriterien.

Kaum ein Indiz für BDS-Nähe

Dass die 1974 in Obergaliläa geborene Shibli eine engagierte Aktivistin der zumindest in Teilen antisemitischen BDS-Bewegung ist, sei eine in der taz verbreitete Fehlinformation, betonte Litprom außerdem. Dasselbe war von Shiblis deutschem Verlag zu hören.

In der Tat findet sich kaum ein Indiz dafür. Am ehesten ist dies vielleicht in ihrer Unterschrift unter einem BDS-Protest gegen die Aberkennung des Nelly-Sachs-Preises an die britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie im Jahr 2019 zu sehen.

"Entscheidung war eine gute"

Auch die Schriftstellervereinigung PEN Berlin hatte sich in die Debatte eingeschaltet und sich für die geplante Preisverleihung ausgesprochen. "Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht", schrieb die Sprecherin Eva Menasse. "Die schon vor Wochen getroffene Entscheidung der Jury für Shibli war nach meinem Dafürhalten eine sehr gute. Ihr den Preis zu entziehen, wäre politisch wie literarisch grundfalsch." 

Der zweite Sprecher Deniz Yücel ergänzte: "Man kann die Darstellungen des Romans für treffend oder zu einseitig halten. Jedenfalls ist 'Eine Nebensache' weit von den eindeutig antisemitischen Zeichnungen entfernt, die auf der documenta zu Recht für Kritik sorgten."

Buchmesse-Chef Juergen Boos wiederum sagte, er sei in Kontakt mit dem Verlag, der habe wissen lassen, dass "es der Autorin durch die Situation wahnsinnig schlecht geht".

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