Fotomontage vopn drei Frauen unterschiedlichen Alters

Als Russland die Ukraine vor einem Jahr überfiel, flüchteten viele Menschen nach Hessen - darunter viele Frauen. Hier erzählen drei kreative Ukrainerinnen, wie sie begannen, hierzulande ihre berufliche Existenz aufzubauen.

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Wie Alisha und andere in Hessen neu anfangen

Alisha Ryzhko tanzt Hip-Hop.
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Die eine träumt von einem eigenen Fotostudio, die andere von der großen Bühne, und die Dritte möchte einfach wieder jeden Tag arbeiten gehen: Geflüchtete aus der Ukraine in kreativen Berufen eint vor allem der Wunsch nach beruflicher Normalität. Drei Geschichten vom Neustart nach dem Krieg.

Viktoria Svyatnenko, 33 Jahre alt, Fotografin aus Kiew

"In Kiew war ich eine bekannte Fotografin. Eine meiner Ausstellungen sollte im März 2022 eröffnen. Dann brach im Februar plötzlich der Krieg aus. Meine Kamera habe ich auf meine Flucht mitgenommen, die Dateien habe ich noch. Ich hoffe auf eine Ausstellung hier in Deutschland.

Gerade arbeite ich an einem Fotoprojekt mit, das geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine mit ihren Männern zeigt, die auf Tablet- oder Laptopscreens zu sehen sind. Das ist sehr emotional, weil sich die Familien nicht umarmen oder küssen können. So sind die Familien zusammen, ohne zusammen zu sein. Dieser Krieg macht sie alle zu Soldatinnen und Soldaten.

Viktoria Svyatnenko, Fotografin aus Kiew steht in vor einem ihrer Fotografien.

Als ich floh, dachte ich, der Krieg dauert vielleicht einen Monat. Dann wird alles wieder so wie früher. Aber als ich sah, was Russland in den Städten anrichtet, war mir klar, dass das nicht geht. Heute lebe ich mit meiner Familie in Rüsselsheim und muss nochmal ganz neu anfangen.

In Deutschland habe ich Kontakt zum Female Fotoclub Frankfurt aufgenommen, einem Netzwerk von internationalen Fotografinnen. Darüber habe ich meinen ersten Auftrag bekommen: die Hochzeit einer Ukrainerin zu fotografieren. Hochzeiten hatte ich schon lange nicht mehr fotografiert, das habe ich zuletzt vor zehn Jahren als Berufseinsteigerin gemacht.

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„Die Ukraine ist wie eine Mutter für mich und Hessen ist wie ein großer Bruder, der auf mich aufpasst, solange die Mutter das nicht kann. Ich habe Angst, mich irgendwann zwischen Bruder und Mutter entscheiden zu müssen.“ Viktoria Svyatnenko Viktoria Svyatnenko
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Ich finde, Frankfurt ist ein cooler Platz für Fotograf:innen. Alle wollen immer nach Berlin, aber Frankfurt hat viele Möglichkeiten. Ich träume davon, mir aussuchen zu können, was ich fotografiere und ein eigenes Studio zu haben. In Kiew war das kein Traum, sondern mein konkreter Plan."

Iryna Kuznetsova, 48 Jahre alt, ehemalige Leiterin einer Werbeagentur in Kiew

"Ich habe zwanzig Jahre lang eine erfolgreiche Werbeagentur in der Kiewer Innenstadt geleitet. Auch mein Mann war dort angestellt. Ich war glücklich. Ich hatte nicht das Bedürfnis, wegzuziehen oder irgendetwas an meinem Leben zu verändern. Dann fing der Krieg an.

Für den Morgen des 24. Februar hatte ich ein Posting für einen Kunden terminiert. Die Headline war: 'Heute wird ein schöner Tag!' Welch Ironie des Schicksals. Von einem auf den nächsten Moment war mein Leben ein anderes. Meine Kollegen wurden zu Soldaten.

Iryna Kuznetsova leitete eine Werbeagentur in Kiew.

Neun Tage nach Kriegsbeginn bin ich mit meinen drei Kindern, meinem Mann und einem einzigen Koffer geflohen. Untergekommen sind wir in Bad Homburg, dort lebt mein Bruder. Mein Mann und ich haben kein Einkommen. Aber ich will nicht von Sozialhilfe leben.

Immer mal wieder habe ich hier in Projekten mitarbeiten können, ich bin aber auf der Suche nach einer festen Stelle in einer PR- oder Werbeagentur. Trotz meiner Erfahrung ist das schwierig: Zum einen wegen der Sprachbarriere, zum anderen kennen nur wenige die ukrainische Werbebranche und unsere Skills. Sie haben Angst, die Katze im Sack zu kaufen. Nicht jeden Tag zur Arbeit gehen zu können, ist die größte Herausforderung für mich.

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„Es ist eine schwere Zeit. Aber wichtig ist: Ich lebe und ich bin sicher.“ Iryna Kuznetsova Iryna Kuznetsova
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Ich könnte mir auch vorstellen, andere Jobs zu machen. Ich habe sogar als Trainerin bei meiner Tochter im Turnverein gearbeitet. Dieses ganze Jahr ist ein Experiment für mich. Trotzdem wünsche ich mir, irgendwann in meiner Branche Fuß fassen zu können. Das machen zu können, was ich liebe.

Dafür muss ich meine Deutschkenntnisse verbessern. Was mir helfen würde, wäre jemand, der Zeit hat, sich mit mir zu unterhalten und vielleicht sogar Ukrainisch lernen will."

Veronika Krasovska, 22 Jahre alt, Tänzerin und Choreographin aus Charkiv

"Als der Krieg losging, rief meine Oma aus Charkiv morgens an. Sie sagte: 'Veronika es geht los!' Eigentlich hätte ich an dem Morgen Tanzunterricht in Kiew gegeben. Also rief ich meinen Chef an, cancelte die Stunde und verließ die Ukraine drei Tage später. Vor dem Krieg habe ich als Tanzlehrerin gearbeitet, hatte Psychologie und PR studiert, mein Leben war durchgeplant. Von heute auf morgen war alles anders.

Veronika Krasovska steht vor dem Spiegel im Tanzstudio LaCalidad.

Schon mit vier Jahren habe ich angefangen zu tanzen. Also war der erste Schritt in die Normalität für mich, ein Tanzstudio in Frankfurt zu finden. So bin ich zu LaCalidad gekommen. Ich unterrichte hier Tanz in High Heels und Contemporary Classes. Das Studio ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Es fühlt sich an wie Familie in der Ferne. Wenn ich die Nachrichten verfolge oder schlechte Nachrichten aus der Ukraine bekomme, komme ich hier her. Dann tanze ich mich frei von meinen negativen Gefühlen.

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Am Anfang war das Schwerste für mich, zu akzeptieren, dass Deutschland jetzt mein Zuhause ist und ich nicht zurück nach Kiew kann. Viele Mädels aus der Ukraine tanzen hier. Wir sind eine große Community. Manchmal fühle ich mich dadurch meinem Zuhause näher.

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„Wenn du deine Menschen hast, deine Sprache sprichst und in Erinnerungen an die Heimat schwelgst, dann ist das wie Heilung. “ Veronika Krasovska Veronika Krasovska
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Meine Flucht nach Deutschland hat mir aber auch neue Chancen eröffnet. Ich habe vorher nie auf Englisch unterrichtet. Vor meiner ersten Tanzstunde war ich so aufgeregt. Außerdem bin ich viel selbstbewusster geworden. Mein Tanzstil heute beschäftigt sich mit dem Anderssein und mit Schönheit. Diese Energie und dieses Selbstbewusstsein, man selbst zu sein, gebe ich an meine Schülerinnen weiter."

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