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Sprechende Wiesen an der Hochschule Darmstadt

In Hochbeeten haben die Studierenden drei Modell-Wiesen gepflanzt.

In Darmstadt haben Studierende der Hochschule einen Weg gefunden, sich mit Pflanzen zu unterhalten. Sie erhoffen sich davon unter anderem ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Natur. Geht es nach ihnen, können bald alle diese Technik ausprobieren.

Greta und Ferdinand haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Greta beschreibt sich selbst als "introvertiert" und "sensibel", es falle ihr schwer, sich zu öffnen. Ferdinand dagegen trägt gerne dick auf. "Fett, fetter, Ferdi" heißt sein Motto, dass er jedem, der ihn anspricht, gerne unter die Nase reibt. Auf einer Datingplattform wären die beiden sicher kein Match.

Doch Greta und Ferdi findet man nicht auf Tinder und Co., sie leben im Hochbeet. Es handelt sich nämlich um Pflanzen, genauer gesagt um Wiesen. Greta ist eine sogenannte Frischwiese und Ferdinand eine Fettwiese. Was die beiden trotz ihrer Unterschiede eint, ist, dass sie mit Menschen kommunizieren können. Denn Studierende des Studiengangs Onlinekommunikation an der Hochschule Darmstadt haben ihnen im Rahmen ihres Projekts "Pflanzendialoge" das Sprechen beigebracht.

Mittels smarter Technologie und Künstlicher Intelligenz können Greta, Ferdi und ihre Freundin Maggie Magerwiese nun mit Menschen chatten und ihre Geschichten erzählen.

Aus Pflanzen werden Charaktere

Knapp zusammengefasst funktioniert das so: Über Sensoren, die die Studierenden in drei eigens am Campus in Dieburg aufgestellten Hochbeeten angebracht haben, sammeln sie Daten etwa über Temperatur, Feuchtigkeit oder Luftdruck und können so den Zustand der Wiesen zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen, zum Beispiel in Phasen extremer Dürre oder von Dauerregen.

Abgeleitet aus der unterschiedlichen biologischen Beschaffenheit der Wiesen haben die Studierenden ihnen dann Charaktere zugewiesen, in etwa so wie Rollen in einem Theaterstück.

"Die Grundeigenschaften, die diese drei Wiesen mit sich bringen, bieten eine perfekte Grundlage für die Erstellung von Charakteren mit typischen menschlichen Eigenschaften", sagt Studentin Yasmina El Aallali. Der satt grünen Fettwiese Ferdinand haben sie zum Beispiel ein übersteigertes Selbstbewusstsein und einen gewissen Egoismus zugeschrieben. "Ich bin die coolste Wiese überhaupt. Wanna chat?", wird man von Ferdi im Chat begrüßt.

Auszug aus einer Unterhaltung mit Fettwiese Ferdi

Die Frischwiese Greta fragt dagegen höflich: "Wie darf ich dir behilflich sein?" Mit ihren zierlichen Gräsern und kleinen Blütenpflanzen stellen sich die Studierenden Greta als sanften und eher zurückhaltenden Charakter vor. Magerwiese Maggie, die mit wenig Nährstoffen zurechtkommt und dennoch eine Blütenpracht entwickelt, sei ein genügsamer, offener und diverser Charakter, so die 22 Jahre alte Studentin El Aallali. "Keine Angst, ich beiße nicht", heißt es bei Maggie zum Einstieg.

Diese Personifikation sei für El Aallali und ihre Kolleginnen und Kollegen essenziell gewesen, "um sich mit den Wiesen zu identifizieren". Die Wiesen stünden hierbei stellvertretend für die ganze Pflanzenwelt.  

Diese Charaktereigenschaften haben die Studierenden dann mit den Sensordaten verknüpft und so komplexe Persönlichkeiten mit tagesaktuellen Launen und Bedürfnissen entwickelt. Um mit diesen Persönlichkeiten dann auch kommunizieren zu können, haben die Forschenden mit verschiedenen Medien wie WhatsApp oder Instagram experimentiert und Chats entwickelt. "In diesen Chats kann man die Wiesen zum Beispiel fragen, wie es ihnen gerade geht", erklärt Professor Sebastian Pranz, der das Projekt begleitet. Auf der Internetseite des Projekts kann man die Prototypen der Chats ausprobieren.

Sensibilisierung für Biodiversität und Klimawandel

Die Idee für das Projekt hatte er bereits 2022 zusammen mit einem Datenjournalisten, umgesetzt hat er es mit seiner Gruppe im vergangenen Sommer. Doch hinter dem Projekt steckt mehr als nur Spaß und Experimentierfreude. "Wir wollen die Themen Biodiversität und Klimawandel einmal anders erzählen und Menschen auf andere Art darauf aufmerksam machen", sagt Pranz.

In den Beeten stecken mehrere Sensoren.

Das Team habe dann Natur und Technik zusammengebracht und so eine Möglichkeit geschaffen, mit den Pflanzen zu reden. "Uns war es wichtig, hier vor allem eine junge Zielgruppe zu den Themen Biodiversität und Klimawandel anzusprechen, die viel in Chats und auf anderen sozialen Plattformen unterwegs ist", sagt Studentin El Aallali.

Die notwendigen biologischen Hintergrundinformationen haben sich die Studierenden von außen geholt. Neben Experten vom Bund für Naturschutz und Umwelt (BUND) und dem Darmstädter Umwelt-Projekt BioDivKultur hat auch Scarlett Umlauf das Projekt fachlich begleitet.

Emotionale Identifikation mit den Pflanzen

Von den Möglichkeiten, die in der Idee des Projekts stecken, war sie sofort begeistert. "Wir sprechen die Menschen auf der emotionalen Ebene an. Ich kann hier meine Empfindungen mit denen der Pflanze abgleichen", sagt die Kuratorin des Bioversums im Jagdschloss Kranichstein. Das können einfache Dinge sein wie Durst oder Stress, aber auch Bedrohung oder Existenzängste.

Diese emotionale Nähe haben auch Pranz und sein Team empfunden. "Die Identifikation mit den Pflanzen war plötzlich eine ganz andere, wir haben eine innige Bindung aufgebaut", beschreibt der Professor. Darin sieht er großes Potenzial, vor allem im Bereich der Naturpädagogik. Menschen, die sich mit Pflanzen identifizieren, kümmern sich auch eher um sie. "Über diesen Weg kann man zur Natur eine ganz andere Beziehung aufbauen."

Ein Pflanzenleben lasse sich allerdings nicht so ohne weiteres auf ein Menschenleben übertragen, merkt Biologin Umlauf an. Dennoch biete das Pflanzendialoge-Projekt einen unterhaltsamen und leichten Zugang zu den Themen Biodiversität und Umweltschutz.

Noch befindet sich das Projekt in einem Anfangsstadium, wie alle Beteiligten betonen. Die Daten, die den Chats zugrunde liegen, stammen allesamt aus dem vergangenen Juli. Derzeit sind die Wiesen nicht mit Sensoren ausgestattet, deswegen bekommt man in den Chats aktuell auch nur alte Antworten. "Die Technik wirft noch viele Fragen auf. Die Sensoren sind noch nicht für einen dauerhaften Betrieb ausgelegt und auch eine dauerhafte Betreuung können wir noch nicht sicherstellen", erklärt Professor Pranz.

Spannende Ansätze und praktischer Nutzen

Gerne hätten sie die Interaktion mit den Pflanzen noch smarter gestaltet, so dass eine echte Unterhaltung möglich wird. Pranz nennt ein Beispiel: "Eine Wiese ist schon seit Tagen zu trocken, sie weiß aufgrund der Wettervorhersage aber, dass es morgen regnen soll. Man könnte dann erfahren, wie ihre Stimmung gerade ist und ob sie sich etwa auf den Regen freut."

Denkbar wäre auch, die Kommunikation über einen Sprachassistenten wie etwa Amazons Alexa oder Apples Siri laufen zu lassen. Das könnte auch einen ganz praktischen Nutzen haben: Wiesen könnten mitteilen, dass sie gerade nicht gemäht werden möchten oder Balkonpflanzen um einen schattigen Platz oder mehr Wasser bitten. Allerdings habe die knappe Zeit nicht ausgereicht, um all das umzusetzen, sagt Pranz.

Der Grundstein ist aber gelegt, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. "Es gibt in dieser Richtung spannende Ansätze, die weit über unser Projekt hinausgehen. Zum Beispiel die Idee, dass sich Wiesen oder Wälder irgendwann einmal selbst verwalten und sich mit dem versorgen, was sie gerade brauchen."

Können bald alle mit Pflanzen sprechen?

Doch es gibt auch konkrete Schritte, die Pranz und die Studierenden jetzt angehen wollen. "Unser Anspruch an der Hochschule ist ja immer, die Forschung auch in den Alltag der Menschen zu bringen", sagt Pranz. Er hat auch schon konkrete Vorstellungen: "Wir planen die Entwicklung einer mit Sensoren ausgestatteten Sitzbank, die wir gerne an mehreren Orten in Darmstadt aufstellen wollen." So könnten Bürgerinnen und Bürger immer gerade dort, wo die Bank steht, mit den Pflanzen in Kontakt treten.

Deswegen hoffen Pranz und sein Team, dass das Projekt fortgesetzt wird. Bislang sind rund 10.000 Euro in die Arbeit geflossen, die zu großen Teilen aus Mitteln des WPK Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus stammen. "Aber noch ist nichts entschieden", so Pranz.

Vielleicht können die Darmstädterinnen und Darmstäder schon bald gemütlich auf einer Bank im Garten oder im Park sitzen und sich mit Gänseblümchen über den Sinn des Lebens unterhalten. Die kleinen Blumen hätten sicher viel zu erzählen.

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