Parteienforscher zur Landtagswahl Was bringt eigentlich Wahlkampf?

Mehrere Millionen Euro wollen die Parteien vor der Hessen-Wahl ausgeben - etwa für Kugelschreiber, Plakate und Social-Media-Spots. Lassen sich die Wähler davon beeinflussen? Politikwissenschaftler Christian Stecker erklärt, was einen guten Wahlkampf ausmacht.

An einer Straße hängen mehr als ein Dutzend Wahlplakate verschiedener Parteien.
Die Wahlplakate hängen vielerorts schon. Bild © Imago Images
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Für die Parteien ist die Landtagswahl in Hessen nicht nur zeitlich, sondern auch finanziell ein riesiger Aufwand. Zwei Millionen Euro plant allein der SPD-Landesverband für den Wahlkampf ein - davon sollen zum Beispiel 300.000 Euro in großflächige Wahlplakate und 600.000 Euro in Social Media-, Fernsehwerbung sowie Printanzeigen fließen.

Auch die FDP lässt sich die Wahl mehr als eine Million Euro kosten. Die Grünen sprechen gar vom teuersten Landtagswahlkampf überhaupt, rechnen mit rund 1,5 Millionen Euro. AfD und Linke setzen ihre Ausgaben mit 430.000 und 350.000 Euro nach eigenen Angaben etwas niedriger an. Die CDU ließ eine hr-Anfrage unbeantwortet.

Aber wie viel bringt Wahlkampf? Politikwissenschaftler Christian Stecker von der TU Darmstadt forscht zu Wahlen und dem Wettbewerb der Parteien. Im Interview mit hessenschau.de spricht er darüber, was im hessischen Wahlkampf besonders ist.

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Das Interview führte Simon Rustler.

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hessenschau.de: Herr Stecker, Plakate kleben, an Ständen stehen, Kugelschreiber verschenken - in den Wochen vor der Hessen-Wahl stecken Parteiangehörige eine Menge Zeit und Geld in den Wahlkampf. Lohnt sich das?

Christian Stecker: Das ist die zentrale Frage, die man sich in den Hauptquartieren der Parteien stellt. Inwiefern sie die Wahl beeinflussen können, hängt stark vom Kontext ab. Manchmal ist die Themenlage so prägend, dass die Parteien kaum dagegen wahlkämpfen können und dem ausgeliefert sind - etwa nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima, die sehr stark den Grünen-Erfolg in Baden-Württemberg begründet hat.

Sparen kann man sich den Wahlkampf auf keinen Fall. Es gehört zum Kern der Demokratie, dass die Parteien im Wahlkampf ihre Positionen und Kandidaten präsentieren. Man kann mit einer guten Kampagne, bei der die Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat zu den Themen passt, Unentschlossene auf seine Seite ziehen.

Ein Mann schaut in die Kamera.
Politikwissenschaftlicher Christian Stecker von der TU Darmstadt Bild © privat

hessenschau.de: Was gehört zu einem guten Wahlkampf in Hessen dazu?

Stecker: Zwei Dinge sind wichtig. Erstens, dass die Wählerinnen und Wähler sehr gut über die unterschiedlichen Angebote informiert werden. Und zweitens spielen bei den Parteien strategische Überlegungen eine große Rolle. Jeder möchte sein Wählerpotenzial voll ausschöpfen. Dazu stellen die Parteien gerne die Spitzenkandidaten ins Schaufenster.

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Es ist fast ein Naturgesetz, dass Parteien der Bundesregierung auf Landesebene auf den Deckel bekommen.
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Sie fokussieren sich auch in Landtagswahlkämpfen sehr stark auf die Bundespolitik, da dort meist die Themen laufen, die die Wähler besonders interessieren. Wenn es ganz düster wird, kommt es zum sogenannten Negative Campaigning, also Angriffen auf die politischen Mitbewerber, die nicht nur sachlich sind.

hessenschau.de: Fließt die gute oder schlechte Arbeit der Bundesregierung in die Wahlentscheidung mit ein - Wahlkampf in Hessen hin oder her?

Stecker: Landtagswahlen sind immer ein Zwischenzeugnis für die Bundesregierung. Es ist fast ein Naturgesetz, dass Regierungsparteien auf Landesebene auf den Deckel bekommen.

Wahlkämpfe werden damit nicht obsolet, denn sie können beeinflussen, wie schlecht oder wie gut dieses Zwischenzeugnis ausfällt. Häufig geht es auf Landesebene im Wahlkampf um Themen, die eigentlich auf Bundesebene entschieden werden - etwa um die Flüchtlingsproblematik oder den Ukraine-Krieg. Und die Spitzenkandidaten machen sich auch Bundesthemen zu eigen und setzen landespolitische Akzente, etwa die Idee eines eigenen Landwirtschaftsministeriums bei der CDU.

hessenschau.de: Sie sprachen eben von Angriffen auf politische Mitbewerber. Erwarten Sie in Hessen denn einen solchen Krawall-Wahlkampf?

Stecker: Früher ja, aber Hessen hat sich davon wegentwickelt: Es war das Mutterland des polarisierenden Wahlkampfs mit sehr rechten Positionen in der CDU versus einer sehr linkslastigen SPD vor allem in Südhessen. Eine große Koalition war lange nicht denkbar.

hessenschau.de: Sie meinen, als der damalige Oppositionsführer Roland Koch (CDU) vor der Wahl 1999 eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft startete und Menschen "gegen Ausländer" unterschrieben?

Stecker: Das hat sich verändert, ja. Eine solche Unterschriftenaktion der CDU wäre heute nicht mehr denkbar. Spätestens seit der schwarz-grünen Koalition sind es eher kuschelige Zeiten.

Das ist gut, wenn es um den persönlichen Umgang zwischen den Kandidierenden geht. Der Kuschelkurs sollte aber nicht dazu führen, dass man keine Unterschiede zwischen den Parteien sieht. Wählerinnen und Wähler müssen schon noch erkennen, worin die Unterschiede und Konflikte bestehen. Denn die gibt es, anders als die AfD behauptet: Es ist ein Trugschluss, dass es keinen Unterschied zwischen den Parteien geben würde.

hessenschau.de: Wie unterscheidet sich der Wahlkampf in Hessen von dem in anderen Bundesländern? Sind wir durch den Stadt-Land-Unterschied besonders divers?

Stecker: Hessen ist ein Flächenland mit einer heterogenen Sozialstruktur - es gibt ländliche Gebiete und urbane Zentren. Deswegen ist der Gegensatz Grüne/AfD hier so stark. Bei gesellschaftspolitischen Konflikten werden wir immer eine stärkere Polarisierung sehen als in Stadtstaaten wie Hamburg.

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In Hessen haben wir in diesem Jahr gleich drei bekannte Kontrahenten um den Posten des Ministerpräsidenten.
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hessenschau.de: Und die Kandidatinnen und Kandidaten spielen natürlich auch eine Rolle.

Stecker: Ja, hier kommt in Hessen eine bundespolitische Komponente dazu, weil Bundesinnenministerin Nancy Faeser SPD-Spitzenkandidatin ist. Den Amtsinhaberbonus bringt aber Boris Rhein mit - der CDU-Ministerpräsident ist bekannt und zugleich beliebt. Doch auch Tarek Al-Wazir ist für einen Grünen-Spitzenkandidaten überdurchschnittlich populär.

Häufig tritt bei Landtagswahlen ein Ministerpräsident gegen einen mehr oder weniger unbekannten Gegenkandidaten an. In Hessen haben wir gleich drei bekannte Kontrahenten.

hessenschau.de: Hessen wird seit 1999 von einem CDU-Ministerpräsidenten regiert. Umfragen sehen die CDU auch dieses Mal als stärkste Kraft. Kann ein guter Wahlkampf der Oppositionsparteien daran etwas ändern?

Stecker: Opposition auf Landesebene ist extrem schwierig. Die generelle Aufmerksamkeit ist ohnehin sehr auf die Bundespolitik gerichtet - und wenn dann ins Land geschaut wird, wird dieser Blick häufig vollständig durch den Ministerpräsidenten ausgefüllt. Klarer Vorteil also für Boris Rhein, der aber jetzt mit der Bekanntheit einer Bundesministerin ausgeglichen wird.

Als Opposition kann man auf keinen Fall das Ruder vollständig herumreißen, kann aber im Wahlkampf alles geben, um ein paar Prozentpunkte herauszuholen, die womöglich zu einer anderen Regierungsbildung beitragen könnten.

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hessenschau.de: Was ist eigentlich am erfolgreichsten: Der Wahlkampfstand in der Fußgängerzone, Plakate oder TikTok-Videos und Youtube-Werbung?

Stecker: Wenn man das so genau wüsste, könnte man damit viel Geld verdienen. Es gibt zwar Unternehmen, die das behaupten, aber die Datengrundlage existiert eigentlich nicht. Die Wahlkampfforschung zeigt, dass das effektivste Instrument gleichzeitig das aufwendigste ist: an der Tür klopfen und sich vorstellen. So bleibt man in den Köpfen der Leute verankert. Ob und wie Flugblätter oder Plakate Effekte auf die Wählermobilisierung haben, lässt sich nur schwer sagen.

Was hilft, ist eine Kampagne mit einem guten Spitzenkandidaten und großer Reichweite: nette Spots auf Social Media, die jüngere Wähler erreichen, die sich verbreiten, weil sie interessant sind. Aber den Ausschlag gibt am Ende das Gesamtpaket. Man kann nicht sagen: Mach' noch mal zwei TikTok-Videos, und dann überspringst du die Fünf-Prozent-Hürde.

hessenschau.de: Wann entscheiden Wählerinnen und Wähler überhaupt, wen sie wählen?

Stecker: Zunehmend später.

hessenschau.de: Warum?

Stecker: Wir leben in einer Zeit, in der sich die lebenslangen Bindungen zwischen Wählerinnen und Wählern und den Parteien mehr und mehr auflösen. Wenige Tage vor der jüngsten Bundestagswahl waren laut Umfragen noch über 40 Prozent der Wahlberechtigten unentschlossen - das ist bei Landtagswahlen auch der Fall. Deswegen lohnt es sich bis zum Öffnen der Wahllokale, Wahlkampf zu betreiben.

Quelle: hessenschau.de