Neubaugebiet mit Spielplatz am Hafen in Offenbach

Ein von der schwarz-grünen Landesregierung in Auftrag gegebener Index soll den Lebensstandard in Hessen besser erfassen. Daran gibt es viel Kritik. Die Opposition im Landtag sieht die Wirklichkeit verzerrt.

Audiobeitrag

Audio

Kritik an Al-Wazirs neuem Wohlfahrtsindex

Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne).
Ende des Audiobeitrags

Das Land Hessen hat einen "Regionalen Wohlfahrtsindex" (RWI) ermitteln lassen, der die Entwicklung der Lebensqualität untersuchen soll. Diese lasse sich nicht alleine in wirtschaftlichen Kennzahlen wie Einkommen, Vermögen oder Konsum abbilden, erklärte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) am Montag.

Der Gradmesser berücksichtigt demnach 21 Komponenten, die die Wohlfahrt steigern oder mindern. Dazu gehören positiv etwa Investitionen in Bildung, ehrenamtliche Arbeit und Erhaltung der Natur sowie negativ beispielsweise Treibhausgasemissionen, Lärm und Verkehrsunfälle.

CDU und Grüne fühlen sich bestätigt

Al-Wazir betonte, der RWI zeige, dass sich die Lebensqualität in Hessen in den vergangenen zehn Jahren besser entwickelt habe als im Rest Deutschlands. Die Grünen sind seit knapp zehn Jahren an der Regierung beteiligt.

Auch für die CDU ist gut fünf Monate vor der nächsten Landtagswahl klar, "dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg sind und Hessen in den letzten Jahren in vielen Bereichen deutlich vorangebracht haben", wie der wirtschaftspolitische Sprecher Heiko Kasseckert sagte.

Beteiligte Wissenschaftlerin sieht Beschränkungen

Doch was ist ein solcher Index wert? Die RWI-Untersuchung kostete 45.000 Euro und stammt vom Institut für interdisziplinäre Forschung der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg. Laut einer der beteiligten Wissenschaftlerinnen, Dorothee Rodenhäuser, hat der neue Index Beschränkungen.

So werde etwa die subjektive Lebenszufriedenheit oder die Qualität von Sozialkontakten nicht erfasst. Zudem werde unterstellt, dass sich verschiedene Wohlfahrtsaspekte untereinander aufrechnen ließen, wie Rodenhäuser sagte.

Mit der Studie wird eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung umgesetzt. Kaya Kinkel, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, sagte, die Koalition habe sich "zu Anfang der Legislaturperiode" das Ziel gesetzt, "endlich ganz konkret zu messen, wie gut es den Menschen geht, und warum".

SPD: methodisch höchst fragwürdig

Warum das Ergebnis erst zum Ende der Legislaturperiode vorgestellt wurde, blieb am Montag unklar.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der oppositionellen SPD-Landtagsfraktion, Tobias Eckert, kritisierte das: "Endlich sehen wir, dass die Landesregierung aus CDU und Grünen und insbesondere Wirtschaftsminister Al-Wazir kurz vor der Landtagswahl ihr Interesse für die Lebensqualität der Hessinnen und Hessen entdecken - man fragt sich jedoch, wieso dies bislang kein vordergründiges Thema für die Regierungskoalition war."

Der RWI sei "methodisch höchst fragwürdig ausgestaltet". Eckert sprach von einem "bestellten" Index, der "auf die Belange der Landesregierung aus CDU und Grünen maßgeschneidert" sei und keine Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern sowie dem Bund ermögliche.

Der Landessozialbericht habe kürzlich gezeigt, dass es dringende Maßnahmen brauche, "um flächendeckende Kinderbetreuungsangebote, integrierte Mobilitätsangebote oder bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten", sagte Eckert weiter. Der neue Index dagegen verzerre die Lebenswirklichkeit der hessischen Bürgerinnen und Bürger.

DGB: kein Beleg für gute Sozialpolitik

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Hessen-Thüringen sieht in dem neuen Index ebenfalls "keinen Beleg für gute Sozialpolitik der Landesregierung". Der RWI sei "kaum geeignet, die soziale Entwicklung in Hessen angemessen zu erfassen", sagte der hessische DGB-Vorsitzende Michael Rudolph.

Auch er forderte, Wirtschaftsminister Al-Wazir solle den Landessozialbericht studieren. "Dann müsste er unter anderem zur Kenntnis nehmen, dass die Armutsquote in Hessen dramatisch gestiegen ist". Rudolph sagte, an dieser Entwicklung habe die schwarz-grüne Landesregierung ihren Anteil.

Zwar versuchten insbesondere die Grünen in Hessen "permanent den Eindruck zu vermitteln, sie würden bei der Transformation der Wirtschaft auch soziale Kriterien berücksichtigen", sagte Rudolph. In der konkreten Politik würden soziale Kriterien aber keine Aufmerksamkeit geschenkt.

AfD: in Auftrag gegebenes Selbstlob

Die oppositionelle AfD bezeichnete den RWI als "ein in Auftrag gegebenes Selbstlob von Schwarz-Grün". Der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Andreas Lichert, sagte zum Bemessungszeitraum des Indexes:

"Schwarz-Grün kam durch die Wahl 2013 ins Amt und zufällig ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl kommt eine vom Wirtschaftsministerium bezahlte Studie zum Schluss, dass sich seitdem die Lebensqualität in Hessen deutlich erhöht habe."

Das sei mit wissenschaftlicher Objektivität kaum zu erklären und widerspreche außerdem der Wahrnehmung der meisten Bürger im Land. Lichert sprach von einem "mit Steuerzahlergeld finanzierten Wahlkampfpapier".

FDP: Kennzahlen nicht vergleichbar

Von der Oppositionsfraktion der FDP kam ebenfalls Kritik. Der grüne Wirtschaftsminister habe neue Kennzahlen erfunden, um Mängel seiner eigenen Politik zu überdecken, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher Stefan Naas. "Unter Al-Wazir hat sich das Bruttoinlandsprodukt in Hessen nicht sonderlich gut entwickelt. Außerdem lag das Wirtschaftswachstum in Hessen in 2022 unter dem Bundesschnitt."

Der regionale Wohlfahrtsindex liefere Kennzahlen, "die nicht mit denen anderer Bundesländer vergleichbar sind". Die Zahlen sagten nichts darüber aus, wie wohlhabend Hessen im Bundesvergleich sei.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen
Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbstellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars