Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Schreibtisch vor Computern und schauen in die Kamera. Im Bildvordergrund drei kleine Reisebusse aus Blech, die auf dem Tisch stehen.

Sind rechtswidrige Beihilfen für die Bussparte der Deutschen Bahn gezahlt worden? Das will ein Familienunternehmen aus Hessisch-Lichtenau wissen und hat eine Beschwerde bei der EU eingereicht. Das Busunternehmen hatte zuvor eine Ausschreibung für den ÖPNV an die Bahntocher verloren.

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Weitergedreht: Bus-Ärger im Werra-Meißner-Kreis

Busfahrerin beim Interview
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Seit 16 Jahren arbeitet Anja Wille-Jaufmann bei Frölich, einem Busunternehmen aus Hessisch-Lichtenau (Werra-Meißner). Bis Ende 2023 fuhr die Busfahrerin im Linienverkehr, beförderte Schulkinder, brachte Menschen zum Einkaufen und hielt auch das ein oder andere Schwätzchen mit ihren Fahrgästen. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Denn das Unternehmen hat im letzten Jahr eine europaweite Ausschreibung für drei sogenannte Linienbündel rund um den Sitz des Unternehmens gegen die DB Regio Mitte, einer Tochtergesellschaft der DB AG verloren. Seitdem ist für Wille-Jaufmann nichts mehr, wie es mal war.

Vorwurf: Wettbewerbsverzerrung durch Beihilfen

Zwar fährt sie noch immer für die Frölich-Linie, allerdings mit reduzierter Stundenzahl und vor allem Reisebusse, dazu hat sie Kollegen und ihre Fahrgäste verloren. "Ich finde es unfair, dass die kleinen Unternehmen nicht mithalten können und alle darunter leiden", sagt Anja Wille-Jaufmann.

Bereits direkt nach der Neuvergabe der Buslinien hatte es Ärger gegeben. Damals hatten Verspätungen, volle Busse und eine offene Tür während der Fahrt des neuen Betreibers für Diskussionen gesorgt. Nun werden die Diskussionen weitergehen. Der Grund: die Frölichs haben vor gut einer Woche eine Beihilfebeschwerde bei der EU-Kommission eingereicht.

Ein Frau sitzt in einem Führerhaus eines Busses hinter dem Lenkrad und lacht in die Kamera.

Der zentrale Vorwurf laute, so Geschäftsführerin Bianca Frölich, dass der Bund der DB AG Beihilfen gewähre, um so Verluste auszugleichen. Dazu komme, dass die Bussparten zentrale Servicefunktionen der DB AG wie beispielsweise Consulting, Controlling oder Rechtsberatung nutzten, ergänzte Konstantin Frölich, mutmaßlich zu verbilligten Konditionen. 

Zitat
„Wir möchten aufdecken, ob die Tochtergesellschaften der DB AG Beihilfen erhalten, um ihre Verluste ausgleichen zu können. Damit würde eine Wettbewerbsverzerrung entstehen.“ Bianca Frölich, Geschäftsführerin des Busunternehmens Frölich. Bianca Frölich, Geschäftsführerin des Busunternehmens Frölich.
Zitat Ende

Daraus ergebe sich ein verzerrter Wettbewerb am Markt, weil die Tochtergesellschaften so finanzielle Vorteile gegenüber anderen Unternehmen hätten, die zu handelsüblichen Preisen auf dem Markt einkauften.  

Keine kostendeckende Kalkulation 

Insgesamt 26 Mitarbeiter konnten die Frölichs wegen der verlorenen Aufträge nicht weiterbeschäftigen. Dabei habe das Unternehmen, das in Eschwege und Melsungen für seine Busse eigene Werkstätten unterhält, mit schmalen Margen von dreieinhalb bis vier Prozent nach eigenen Angaben äußerst knapp kalkuliert.  

Dass der Konkurrent vom DB-Konzern sie dennoch unterboten hat, sei nur deshalb möglich gewesen, weil dieser nicht darauf angewiesen sei, dass am Ende des Jahres ein Gewinn übrigbleibe, vermuten die Frölichs.  

Verluste und Gewinne intern verrechnen 

Das Busunternehmen hat die Anwaltskanzlei Roling & Partner aus Osnabrück (Niedersachsen) beauftragt, um eine Beihilfebeschwerde bei der EU-Kommission einzureichen. Hierbei habe man festgestellt, dass der DB-Konzern verschiedene Gewinn- und Verlustabführungsverträge habe - und somit Verluste oder Gewinne intern verrechnen könne.  

Wettbewerb heißt, dass faire Chancen bestehen müssen, sagt Rechtsanwalt Till Martin von der Anwaltskanzlei Roling & Partner. Das sei jedoch nicht gegeben, "weil der Staat über öffentliche Gelder dieses Unternehmen selektiv bevorteilt, indem er Verluste dieses Unternehmens übernimmt".  

So arbeiteten die Tochterunternehmen der DB hoch defizitär, erklärte Martin. Dazu komme, dass die Defizite nicht vom Staatsunternehmen selbst, sondern vom Steuerzahler getragen würden, so der Rechtsanwalt. Die Bahn als Mutterkonzern wollte sich auf Anfrage des hr nicht zu dem Sachverhalt äußern. Die Beschwerde bei der EU sei bisher nicht bekannt, teilte eine Bahnsprecherin mit. 

Ein Bus steht an einer Haltestelle auf einer Landstraße. Neben der Haltstelle ein weißes Gasthaus. Drumherum Landschaft.

Verluste bei DB-Tochtergesellschaft 

Zahlen, die durch eine Anfrage Abgeordneter und der Fraktion der Grünen im Bundestag zu Tage kamen, zeigen, dass die DB Regio Bus Mitte über Jahre zweistellige Millionen-Verluste eingefahren hat. So hat die Bahn-Tochter zwischen 2017 und 2019 jeweils zwischen 10 und 19 Millionen Euro Verlust gemacht.  

In ihrem Beschwerdeschreiben an die EU-Kommission beziehen sich die Anwälte auf diese Zahlen und schreiben: "Jedes andere nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführte Verkehrsunternehmen hätte bereits seit geraumer Zeit mangels Kostendeckung den Betrieb einstellen und abgewickelt werden müssen".  

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Verkehrsverbünde zur europaweiten Ausschreibung verpflichtet

Der Nordhessische Verkehrsverbund (NVV), für den die Frölichs bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2023 gefahren ist, habe bei der Entscheidung für den Zuschlag keine Wahl gehabt, so die Frölich-Geschäftsführerin. Denn dieser sei dazu verpflichtet, europaweit auszuschreiben und das günstigste Unternehmen zu beauftragen.  

Das bestätigte auch eine Sprecherin des Verkehrsunternehmens. So dürfe man zwar bei der Entscheidung neben dem Preis auch andere Kriterien wie beispielsweise Erfahrung, Qualität und Nachhaltigkeit des jeweiligen Unternehmens heranziehen. Diese seien allerdings deutlich schwieriger zu bewerten als der Preis.  

Vergaberechtler: Unterstützung durch den Staat transparenter machen 

Der Rechtsanwalt Kai Uwe Schneevogl aus Frankfurt sieht allerdings die Verantwortung für einen fairen Wettbewerb auch bei Auftraggebern wie dem NVV. Diese müssten sicherstellen, dass Angebote vergleichbar seien.  

Zugleich sei eine finanzielle Unterstützung durch den Staat schwer zu identifizieren, gibt der Experte für Vergaberecht und EU-Beihilfenrecht zu Bedenken. Hier sei "Transparanz der Schlüssel", damit öffentliche Auftraggeber ein mögliches Problem schneller erkennen könnten. 

Laut Schneevogl gibt es durchaus eine erhöhte Gefahr von Beihilfen an staatliche Unternehmen zu Lasten privater Konkurrenten, da diese Unternehmen historisch bedingt eine Monopolstellung oder enge Verbindung zur öffentlichen Hand hätten. Dies führe dazu, dass diese Unternehmen möglicherweise Subventionen erhielten, die zu einer potenziellen Verzerrung führten.

Kai-Uwe Schneevogl ist Fachanwalt für Vergaberecht in der Kanzlei Görg in Frankfurt.

Beihilfebeschwerde ein "wichtiger Schritt"

Den Schritt von Frölich, eine Beihilfebeschwerde bei der EU einzureichen hält Schneevogl für einen "wichtigen Schritt", um Klarheit über zulässige oder unzulässige Beihilfen zu erlangen. Zumal andere Verfahren im ähnlichen Kontext noch nicht entschieden seien.  

Nur so könne erreicht werden, dass der Wettbewerb im ÖPNV nicht weiter durch möglicherweise unzulässige Subventionen, die einen fairen Wettbewerb ausschließen, verzerrt werde.

Davon würden dann auch andere private Busunternehmen profitieren. Aus der Branche gibt es nach Angaben von Bianca und Konstantin Frölich, die das Familienunternehmen in fünfter Generation gemeinsam mit ihrem Vater führen, viel Zuspruch. Auch in anderen Regionen hätten private Busunternehmen die europaweiten EU-Ausschreibungen gegen die Töchter der DB AG verloren.

Nun ist also erst einmal die EU-Kommission am Zuge. Sollte sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verlustübernahmen innerhalb des DB-Konzerns haben, wird sie - so Anwalt Martin - ein förmliches Prüfverfahren einleiten. 

Abhängig vom Ergebnis könne die Kommission dann Maßnahmen gegenüber Deutschland ergreifen, um die Beihilfe abzustellen oder so zu verändern, dass keine Wettbewerbsverfälschung mehr möglich sei. Eine Frist zur Entscheidung über die Beschwerde gibt es nicht.

Verträge könnten neu ausgeschrieben werden

Bis es so weit ist, müssen die Frölichs sich gedulden. Eine ähnliche Beschwerde gegen DB-Cargo aus dem Jahr 2022 läuft immer noch. Auch hier wird geprüft, ob Deutschland die Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn unrechtmäßig unterstützt.

Sollte die EU-Kommission illegale Beihilfen erkennen, könnten die vom NVV mit der DB Regio Bus Mitte geschlossenen Verträge rechtswidrig sein. Dann müssten sie aufgelöst und die Buslinien neu ausgeschrieben werden. Ob und wann es so kommt, ist dabei völlig offen.

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