A44 und A49 teilweise gesperrt "Verkehrssituation kippt": Autobahn-Großbaustelle sorgt für Chaos in Kassel
Seit Mai ist die Südtangente rund um Kassel eine Großbaustelle. Der Verkehr läuft nur in eine Richtung. Viele nutzen den Weg durch die Stadt. Die Folge: Es staut sich auf Nebenstraßen. Pendler und Anwohner sind gleichermaßen gefrustet.
Morgens um sieben schiebt sich tagein, tagaus eine Blechlawine durch Oberzwehren. Was für Berufspendler eine Geduldsprobe ist, bedeutet für die Menschen in dem Stadtteil von Kassel eine Einschränkung ihrer Lebensqualität.
Grund für das massiv erhöhte Verkehrsaufkommen ist eine Baustelle auf der A49 - einer wichtigen Verkehrsader der Stadt. Um den Verkehrskollaps zu verhindern, herrscht seit Beginn der Baumaßnahme Anfang Mai auf zwei Autobahnen das Einbahnstraßenprinzip - im ersten Bauabschnitt wird die Fahrbahn Richtung Süden saniert, der Verkehr entgegen dem Uhrzeigersinn geführt. Im zweiten Bauabschnitt ist die Fahrbahn Richtung Norden dran - die Verkehrsführung wird dann umgekehrt und läuft entgegen dem Uhrzeigersinn.
So ist ein riesiger Kreisverkehr entstanden, damit alle Richtungen erreichbar bleiben. Doch der Verkehr fließt zäh. Und so werden Schleichwege mitten durch die Stadt für viele attraktiv. Wie in Oberzwehren.
Ein Stadtteil wird überrollt
Ortsvorsteher Philipp Humburg (SPD) beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Schon lange habe der kleine Stadtteil Oberzwehren mit einem hohen Verkehrsaufkommen zu kämpfen, jetzt erlebten Anwohnerinnen und Anwohner "eine Dauerbelastung von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang".
Das zeigt auch eine Erhebung der Stadt Kassel. Sie ermittelte im Stadtteil auf der Altenbaunaer Straße Höhe Waldmannstraße zwischen 7 und 8 Uhr einen zwischenzeitlichen Anstieg des Verkehrs um 174 Prozent.
Das macht sich bemerkbar. Mittlerweile bekomme er verstärkt Rückmeldungen von genervten Anwohnerinnen und Anwohnern, berichtet Humburg. Diese müssten zum Teil Umwege von bis zu drei Kilometern in Kauf nehmen, weil ein Einfädeln auf die Hauptstraße unmöglich sei. Auch, da die Straße bereits vor der Baumaßnahme stark befahren gewesen sei: Jetzt "ist es an dem Punkt, wo die Verkehrssituation kippt", sagt Humburg.
Deutliche Verkehrszunahme seit Beginn der Baumaßnahme
Die Verantwortlichen der Stadt Kassel beobachten die Entwicklung auf den Einfallstraßen im Süden der Stadt. So habe man insbesondere stadteinwärts in der Druseltalstraße, der Korbacher Straße und der Altenbaunaer Straße "eine deutliche Zunahme des Verkehrs feststellen können", heißt es aus dem Straßenverkehrsamt. In stadtauswärtiger Richtung wurde jeweils nur eine leichte Zunahme verzeichnet.
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Während die Druseltalstraße im Kasseler Stadtteil Bad Wilhelmshöhe und die Korbacher Straße in Kassel-Niederzwehren eine durchschnittliche Steigerung um 29 beziehungsweise 24 Prozent pro Tag verzeichnen, zeigt sich in der Altenbaunaer Straße eine deutliche Steigerung des Tageswerts um 104 Prozent.
Humburg sieht vor allem die Stadt Kassel in der Verantwortung. Diese habe bereits vor Beginn der Baustelle verschlafen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Leute von der Straße zu bekommen, bemängelt er.
Landes-SPD kritisiert verfehlte Verkehrspolitik
Kritik kommt auch aus dem Landtag. Die beiden Abgeordneten Esther Kalveram und Florian Schneider (beide SPD) hatten die Einbahnstraßenregelung schon vor Beginn der Baumaßnahme als realitätsfern eingeschätzt. Beide sehen sich durch die von ihnen prognostizierten Staubildungen auf den Ausweichstrecken bestätigt.
In einer Stellungnahme kritisieren sie eine fehlende, vorausschauende Planung in der Vergangenheit. Diese hätte, so Kalveram und Schneider, den Umfang der Sanierungsmaßnahme verhindern können. So belaste das Verkehrsaufkommen auf den Ausweichstrecken in und um Kassel "nicht nur Anwohnerinnen und Anwohner, sondern Berufspendler und ÖPNV-Nutzer zugleich".
Autobahn GmbH: Dauerstaus bisher ausgeblieben
Bei der Autobahn GmbH sieht man die Verkehrsführung trotz aller Kritik positiv. Dauerstaus seien bisher ausgeblieben, erklärt der Leiter der Außenstelle Kassel, Bernhard Klöpfel. Dabei weiche vor allem der Durchgangs- und Lkw-Verkehr nicht auf das Stadtgebiet aus.
Durch die Einbahnstraßenregelung könne man die Bauarbeiten deutlich schneller abschließen, sagt Klöpfel: "Eine kleinteiligere Bauweise hätte eine Bauzeit von vier bis fünf Jahren zur Folge gehabt – mit ebenfalls massiven verkehrlichen Auswirkungen."
Ortsvorsteher Humburg hofft auf eine schnelle Lösung für Oberzwehren. Man habe bereits vor der Sanierung Maßnahmen gefordert, um den Verkehr in den Griff zu bekommen, beispielsweise einen ÖPNV, der den Stadtteil in einem engeren Takt anbinde, dazu Buslinien, die die Menschen dort abholen, wo sie wohnen. Doch bis dahin bleibt den Oberzwehrenern nur eins: Abwarten.
Denn erst Ende 2024 soll die Instandsetzung abgeschlossen sein und die Südtangente wieder in beide Richtungen genutzt werden können. Ein schwacher Trost für Oberzwehren - und Ortsvorsteher Humburg: "Wir haben - Stand jetzt - nur den ersten von voraussichtlich 24 Monaten Stau und Umbauarbeiten überstanden."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 31.05.2023, 19.30 Uhr
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