Volkswagen kündigt Job-Garantie Schock, Hoffnung und Kampfbereitschaft im VW-Werk Kassel
Volkswagen macht ernst: Die Konzernspitze hat die seit rund 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Ab Mitte 2025 könnte es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen. Die Beschäftigten am Standort Baunatal schwanken zwischen Schock und Hoffnung.
Dass die Konzernspitze so weit gehen würde - "das hätte ich nicht gedacht", sagt eine Beschäftigte am Werkstor in Baunatal (Kassel). Sie arbeitet seit 36 Jahren bei Volkswagen. "Wir hatten Krisen, aber die haben wir gemeinsam überstanden", sagt sie.
Ob das diesmal auch so sein wird, weiß hier keiner. Die Beschäftigten am VW-Standort in Baunatal sind verunsichert - und stinksauer. Ihr Groll richtet sich gegen die Geschäftsleitung des Weltkonzerns. Denn die hatte am Dienstag angekündigt, möglicherweise Werke zu schließen und bestehende Tarifverträge der Volkswagen AG aufzukündigen. Damit hatte der Konzern eine seit 30 Jahren bestehende Beschäftigungssicherung aufgegeben.
Ein Mitarbeiter sagt dem hr, er habe noch Hoffnung, dass es sich doch noch zum Besseren dreht. Ein anderer, der kurz vor der Rente steht, sorgt sich um jüngere Generationen. An eine Krise wie diese kann er sich nicht erinnern. Kurzum: die Stimmung im Werk ist niedergeschlagen.
Betriebsbedingte Kündigungen ab Mitte 2025 möglich
Die Tarifverträge für die 120.00 Beschäftigten an den Standorten in Deutschland haben somit keine Gültigkeit mehr, wie Oliver Dietzel, Bezirksbevollmächtigter der IG Metall, erklärt. Konkret heißt das: ab Sommer 2025 könnte es betriebsbedingte Kündigungen geben.
Von Seiten der Gewerkschaft hätte man sich gewünscht, in gemeinsamen Verhandlungen Lösungen für die "unbestritten schwierige Situation" zu finden, so Dietzel. Die Konzernleitung sei einen anderen Weg gegangen. Der Gewerkschafter sieht darin eine "unnötige Verschärfung der Auseinandersetzung".
Volkswagen steht unter Druck. Zum einen haben die Zahlungen aus dem Diesel-Skandal von 2015 ein tiefes Loch in die Unternehmenskasse gerissen. Allein in den USA zahlte VW für die Abgasmanipulation mehr als 20 Milliarden US-Dollar Strafe. Dazu kommt das schwierige China-Geschäft. Einst habe VW hier 40 Prozent Umsatz und Renditegezogen, so Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender vom Volkswagenwerk Kassel.
Diese Zeiten sind vorbei. Der chinesische Markt ist für den deutschen Autobauer eine Herausforderung geworden, auch weil immer mehr Startups den Markt erobern. Sie haben nicht mit alten Strukturen zu kämpfen und können die nötige Software für die E-Mobilität selbst liefern. Dem hat Volkswagen entgegen gewirkt und 2020 mit Cariad eine eigene Software-Marke gegründet.
Doch jetzt könnten auch noch die EU-Strafzölle auf importierte E-Autos aus China dem deutschen Autobauer das Geschäft vermasseln. Denn sollten die Verteuerung kommen, könnte die chinesische Regierung Gegenmaßnahmen treffen, von der auch die Exporte von VW betroffen sein könnten. Dazu ist BYD auf dem europäischen Kontinent längst auf dem Vormarsch. Der chinesische Autohersteller hatte zuletzt angekündigt, ein Werk in der Türkei zu bauen. Schon im ersten Quartal 2024 waren 24 Prozent der neu zugelassenen E-Autos aus China.
Warum Volkswagen vor einer der größten Herausforderungen in der Unternehmensgeschichte steht
Volkswagen steht unter Druck. Zum einen haben die Zahlungen aus dem Diesel-Skandal von 2015 ein tiefes Loch in die Unternehmenskasse gerissen. Allein in den USA zahlte VW für die Abgasmanipulation mehr als 20 Milliarden US-Dollar Strafe. Dazu kommt das schwierige China-Geschäft. Einst habe VW hier 40 Prozent Umsatz und Renditegezogen, so Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender vom Volkswagenwerk Kassel.
Diese Zeiten sind vorbei. Der chinesische Markt ist für den deutschen Autobauer eine Herausforderung geworden, auch weil immer mehr Startups den Markt erobern. Sie haben nicht mit alten Strukturen zu kämpfen und können die nötige Software für die E-Mobilität selbst liefern. Dem hat Volkswagen entgegen gewirkt und 2020 mit Cariad eine eigene Software-Marke gegründet.
Doch jetzt könnten auch noch die EU-Strafzölle auf importierte E-Autos aus China dem deutschen Autobauer das Geschäft vermasseln. Denn sollten die Verteuerung kommen, könnte die chinesische Regierung Gegenmaßnahmen treffen, von der auch die Exporte von VW betroffen sein könnten. Dazu ist BYD auf dem europäischen Kontinent längst auf dem Vormarsch. Der chinesische Autohersteller hatte zuletzt angekündigt, ein Werk in der Türkei zu bauen. Schon im ersten Quartal 2024 waren 24 Prozent der neu zugelassenen E-Autos aus China.
Konzernpersonalvorstand und Arbeitsdirektor Gunnar Kilian hatte am Dienstag intern Verhandlungen über die Zukunft des Konzerns angekündigt. Man sei sich bewusst darüber, dass die aktuelle Phase zu einer Verunsicherung beitrage, wie Kilian mitteilt. Man wolle sich jetzt mit Arbeitnehmervertretern beraten und sei bereit, den Beginn der bevorstehenden Tarifrunde vorzuziehen.
Den Zeitraum bis zum Ende der bisherigen Beschäftigungssicherung will VW laut Personalvorstand Kilian nutzen, um mit Gewerkschaft und Betriebsrat Lösungen zu finden, wie man Volkswagen "nachhaltig wettbewerbs- und zukunftsfähig aufstelle", so Kilian weiter.
Betriebsrat sieht "enorme Existenzängste"
Ein Aus für die Job-Garantie - bis vor kurzem war das noch undenkbar. Entsprechend groß sei die Sorge unter den Beschäftigten, erläutert Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender im VW-Werk Kassel. Die Aktion des Volkswagenvorstandes habe "enorme Existenzängste" ausgelöst, so Büchling im Gespräch mit dem hr.
Die Beschäftigten seien zu Recht erbost über das Vorgehen - zumal VW seit dreißig Jahren eine Unternehmenskultur entwickelt habe, die so ein "Angstszenario" bisher ausgeschlossen hätte, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. Das sei jetzt alles Vergangenheit.
Gewerkschafter Dietzel glaubt, dass Volkswagen "die Gunst der Stunde genutzt hat und mit auf den Zug aufgesprungen" ist. Viele Automobilhersteller und -zulieferer planten aufgrund der schwierigen, wirtschaftlichen Situation, Personal abzubauen. Mutmaßlich habe die Geschäftsleitung gehofft, dass so der Aufschrei nicht so laut sei. Doch da habe man sich getäuscht, so Dietzel, "der Aufschrei in der Belegschaft ist sehr laut".
Auswirkungen auf Standort Baunatal noch unklar
Ist das VW-Werk in Baunatal künftig Geschichte? Solch ein Szenario hätte massive Auswirkungen auf die Region Nordhessen. Der Standort ist das zweitgrößte Werk Deutschlands und mit 15.500 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der Region.
Ein Wirtschaftsexperte der Uni Kassel hatte die Auswirkungen für Nordhessen im Fall einer Schließung sogar mit Ostdeutschland nach der Wende verglichen. Und Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte im hr-Sommerinterview Landesgelder für den kriselnden VW-Konzern nicht ausgeschlossen.
Doch so weit ist es nicht. Bisher ist unklar, was die Konzernspitze mit den einzelnen Standorten vorhat. Büchling zeigt sich kämpferisch. Man stehe für die Beschäftigungssicherung an allen Standorten und werde sich "massiv gegen Werksschließungen wehren".
Guter Ruf beschädigt
Die Entscheidung der Konzernspitze hat Auswirkungen auf bestehende, aber auch auf künftige Mitarbeiter - egal ob Ingenieurinnen, Meister oder Bandarbeiter. Sie ist ein harter Dämpfer für den guten Ruf von Volkswagen: als Unternehmen und als Arbeitgeber. Das sieht auch Büchling so, VW genieße derzeit eine "maximal niedrige Arbeitgeber-Qualität".
Dazu treffe die Entscheidung auf eine Belegschaft inmitten eines Transformationsprozesses, so der Betriebsratsvorsitzende. Solch ein Schritt helfe nicht dabei, "die Transformation weiter zu gestalten". Unmut und Enttäuschung unter den Beschäftigten sind groß. Das Tischtuch sei zerschnitten, sagt Büchling, "jetzt müssen diejenigen, die die Schere angelegt haben, mit Nadel und Faden zurückkommen".
Ein Mitarbeiter am Werkstor spricht von einem Tabubruch, den es seit 30 Jahren nicht gegeben habe. An die VW-Geschäftsleitung hat er eine Botschaft: "Wir haben die Zügel nicht in der Hand, aber wir sind kampfbereit".