Wettbewerb "Exzellenzcluster" Vier hessische Universitäten kämpfen um Millionenförderung

Die Landesregierung will die hessischen Universitäten an die Spitze der deutschen Forschungslandschaft bringen. Sieben Projekte sind derzeit im Rennen um den begehrten Titel "Exzellenzcluster" der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Mit dabei: Künstliche Intelligenz mit Vernunft.

Der Prototyp-Roboter mit dem Name Tiago steht in den Räumen des Pearl Lab der TU Darmstadt
Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz soll Assistenz-Roboter "TIAGo" in Zukunft Menschen im Haushalt helfen können. Bild © Michel Setz/hr
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Exzellenzcluster-Wettbewerb – vier hessische Unis bewerben sich

Eine Frau steht neben einem Roboter.
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Langsam und noch etwas unbeholfen zieht der Arm von Roboter "TIAGo" die Schublade in der Küche auf, greift nach einem orangefarbenen Becher und holt ihn heraus. TIAGo sieht ein bisschen aus wie der kleine Roboter mit Aufräumfimmel aus dem Animationsfilm WALL-E. Ähnlich wie der kleine Disney-Roboter soll auch TIAGo in Zukunft den Menschen ein hilfreicher Begleiter im Haushalt sein.

Noch ist TIAGo aber ein Prototyp und wird derzeit von Forschern der TU Darmstadt mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) trainiert. Das Projekt "Reasonable Artificial Intelligence" (RAI) will dabei KI erschaffen, die mit Verstand arbeitet.

"Die derzeitige KI basiert vor allem darauf, möglichst viele Daten einfach zu konsumieren und daraus neue Vorhersagen zu treffen", erklärt Marcus Rohrbach, Professor im Fachbereich Informatik mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz.

Zitat
Wir wollen einen Schritt weiter denken und das Ganze vernünftig machen, in dem Sinne, dass wir es zuverlässig, vertrauenswürdig und effizient machen, so dass es für den Menschen ist und für die breite Bevölkerung. Zitat von Marcus Rohrbach
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Flexibel reagieren in allen Lebenslagen

Konkret heißt das: Die KI in TIAGo soll so trainiert werden, dass sie flexibel reagieren kann. "Es ist jedes Mal eine andere Küche, jeder Haushalt hat andere Teller, andere Tassen, andere Schubladen, andere Türen, andere Lichtverhältnisse", sagt Doktorandin Sophie Lüth. TIAGo soll aber nicht nur in der Küche helfen können, sondern auch beim Bad putzen oder wenn jemand Assistenz beim Gehen braucht.

Zusätzlich ist TIAGo so konzipiert, dass er mit Vernunft auf Hindernisse reagiert, indem er zum Beispiel ausweichen kann oder den Lichtschalter mit dem Ellenbogen ausschalten, wenn er die Hände voll hat - genau so wie ein Mensch es tun würde.

Bund und Länder fördern exzellente Forschung in Deutschland

Mit ihrer Forschung ist die TU Darmstadt im Rennen um den Titel "Exzellenzcluster". Der Wettbewerb, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Wissenschaftsrat durchgeführt wird, ist Teil der gemeinsamen Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. Der Fördertopf ist derzeit mit jährlich 533 Millionen Euro ausgestattet, ab 2026 soll dieses Budget auf 687 Millionen Euro steigen.

"Grundlage für die Förderentscheidungen ist die wissenschaftliche Bewertung der Antragsskizzen und Anträge, die sowohl herausragende Vorarbeiten als auch die aufgezeigten Entwicklungsperspektiven berücksichtigt", schreibt die DFG auf hr-Anfrage zu den Kriterien, nach denen die Sieger-Projekte gekürt werden. Eine Rolle spiele zudem das Umfeld, also die Unterstützung durch die Universität, zum Beispiel bei der Förderung junger Forscherinnen und Forscher.

Neben dem RAI-Projekt der TU Darmstadt sind sechs weitere hessische Projekte im Rennen um das "Exzellenzcluster":

Das große Geheimnis menschlichen Erlebens und Verhaltens zu verstehen, ist das Ziel des Projekts "The Adaptive Mind" (TAM) unter Federführung der Justus-Liebig-Universität Gießen in Kooperation mit der Philipps-Universität Marburg und der TU Darmstadt. "Warum kann ein Fußgänger spontan ausweichen, wenn jemand unerwartet seinen Weg kreuzt?", ist eine der Fragen, die Katja Fiehler dabei umtreibt. Mit TAM will die Gießener Psychologie-Professorin anhand von verschiedenen Experimenten das menschliche Gehirn entschlüsseln und herausfinden, warum und wie es sich anpasst und Vorhersagen treffen kann.

Dabei wird die Forschung laut Fiehler aus dem sterilen Labor in die reale Welt geholt, zum Beispiel indem Probanden mit mobilen Hirnstrommessgeräten oder Augenbewegungsmessbrillen ausgestattet über den Campus laufen, wo sie auf andere Menschen treffen oder unvorhergesehene Situationen erleben.

Mit Hilfe dieser Grundlagenforschung könnten zum einen KI-Systeme oder Roboter leistungsfähiger werden. Um Synergien zu schaffen, gibt es deshalb schon jetzt Wissenschaftler, die parallel bei TAM und dem Darmstädter Projekt RAI arbeiten. Außerdem könnten die Forschungsergebnisse von TAM bei der Diagnose von psychischen Störungen wie Schizophrenie helfen, so Fiehler, indem man besser verstehe, wie die Anpassungsmechanismen in einem gesunden Gehirn funktionieren und was passiert, wenn diese Fähigkeit gestört sei.

Wie genau funktioniert das Innere einer Zelle? Das wollen Wissenschaftler des SCALE-Projekts der Frankfurter Goethe-Uni erforschen. Die Abkürzung "SCALE" steht für "Subcellular Architecture of Life" ("Subzelluläre Architektur des Lebens"). Ähnlich wie die Zimmer eines Hauses habe auch eine Zelle verschiedene Abteilungen, heißt es in einem Artikel der Goethe-Uni. Durch "Fenster oder Türen" könne etwas hinein oder herausgebracht werden; es gebe dynamische Architekturelemente, die sich bilden oder abgebaut werden können.

Die Forscher gehen der Frage nach, ob Zellen unter Stress mit "architektonischen Veränderungen" reagieren und welche Folgen das hat. Neben der Goethe-Uni sind das Max-Planck-Institut für Hirnforschung und das Frankfurt Institute of Advanced Studies beteiligt. Das langfristige Ziel: ein digitales dynamisches 4D-Modell einer Zelle zu erstellen.

Bei "CoM2Life" soll eine neue Generation weicher Biomaterialien entwickelt werden. Diese könnten langfristig in der Krebsimmuntherapie oder zur Geweberegeneration eingesetzt werden, die wiederum Tierversuche ersetzen könnten, oder dazu beitragen, künstliche Organe zu schaffen.

Für das Projekt arbeitet die TU Darmstadt mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und dem Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung zusammen.

Beim Projekt "Microbes for Climate" (M4C) stehen Mikroorganismen im Mittelpunkt der Forschung. Die Philipps-Universität Marburg und das Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie haben das Ziel, einen ausgeglichenen Kohlenstoffkreislauf zu schaffen.

Grundlage der Forschung ist die Annahme, dass Mikroorganismen für die Bildung und Umsetzung von Treibhausgasen eine Schlüsselrolle spielen und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, Treibhausgase in klimaunschädliche Moleküle umzuwandeln.

Ziel des Exzellenzclusters "Cardio-Pulmonary Institute" (CPI) ist es, zu verstehen, welche molekular-biologischen Prozesse dazu führen, dass das Herz-Kreislaufsystem funktioniert oder warum Herz und Lunge im Krankheitsfall versagen. Ziel ist nach eigenen Angaben, innovative Behandlungsmethoden für Patienten zu entwickeln. "Herz und Lunge kann man nicht getrennt voneinander erforschen", sagte die Biologin und Biochemikerin Stefanie Dimmeler laut einem Online-Beitrag der Goethe-Uni. Durch den Blutkreislauf seien die Organe miteinander verbunden, voneinander abhängig und von den gleichen Faktoren beeinflusst.

So haben die CPI-Forscher im Zuge der Covid-19-Pandemie nicht nur die Folgen der Infektionskrankheit für die Lunge untersucht, sondern anhand von im Labor gezüchteten "3D-Miniherzen" beispielsweise herausfinden können, wie das Virus den Herzmuskel befällt und wie selbst leichte Entzündungen in den kleinsten Blutgefäßen zu Langzeitfolgen führen können. Bei "CPI" kooperieren die Universitäten in Gießen und Frankfurt mit dem Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim.

Das Projekt "Post Lithium Storage" (POLiS) der Justus-Liebig-Universität Gießen forscht an der Zukunft von Batterien, zum Beispiel anhand von Natrium, Magnesium, Aluminium, Calcium und Chlor. Dabei geht es nicht nur um die Frage der Leistungsfähigkeit, sondern auch darum, wie verfügbar die Stoffe sind, was letztlich den Preis der Batterien beeinflussen kann, und wie sicher deren Anwendung ist.

Das Ziel: Die neuen Batterien sollen zuverlässiger, nachhaltiger und umweltfreundlicher sein als die derzeitigen Lithium-Ionen-Batterien. Die Universität in Gießen forscht bereits gemeinsam mit den Universitäten Ulm und Karlsruhe und hat nun erstmals gemeinsam mit ihren Partner-Unis den Exzellenz-Antrag gestellt.

Die Konkurrenz ist groß

Zwei der Projekte dürfen sich bereits Exzellenzcluster nennen: CPI und POLiS. Sie bewerben sich nun um eine Fortsetzung der Förderung. Alle hessischen Projekte wurden von November 2024 bis Januar 2025 begutachtet und konkurrieren nun mit mehr als 90 anderen Vorhaben aus ganz Deutschland. Am Ende winken für bis zu 70 Projekte jährliche Fördergelder zwischen drei und zehn Millionen Euro.

Die Kommission, die die Projekte prüft, besteht aus international renommierten Wissenschaftlern sowie den Wissenschaftsministern des Bundes und der Länder. Vom 19. bis 21. Mai hat die Jury beraten und wird ihre Entscheidung an diesem Donnerstag verkünden. Wer gewinnt, bekommt das Fördergeld ab 1. Januar 2026 für sieben Jahre ausgezahlt.

Land Hessen förderte Projekte mit zwölf Millionen Euro 

Die hessische Landesregierung hat die Bewerbungen finanziell unterstützt, mit über zwölf Millionen Euro seit Anfang 2024. "Die Exzellenzstrategie ist für die Leistungsfähigkeit und für die Sichtbarkeit des Wissenschaftsstandortes Hessen von enormer Bedeutung", sagt Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD). Die erste Exzellenzcluster-Entscheidung fiel 2018, damals war Boris Rhein (CDU) noch Wissenschaftsminister. Die Bewerbungen für die aktuelle Förderperiode hat größtenteils dessen Nachfolgerin Angela Dorn (Grüne) begleitet.

Rhein habe zu wenig getan, kritisiert die forschungspolitische Sprecherin der Grünen Nina Eisenhardt, deswegen habe Hessen 2018 nur zwei Exzellenzcluster bekommen. Die Grünen hätten daraus gelernt: mehr investiert, die Hochschulen gut vorbereitet und die besten Forscher nach Hessen geholt. "Wenn es am Donnerstag gut läuft, haben wir als Grüne mit Angela Dorn die Hauptarbeit geleistet, natürlich gemeinsam mit den Forscherinnen und Forschern", so Eisenhardt. "Die Landesregierung muss die Tore nun verwandeln."

Vom "Exzellenzcluster" zur "Exzellenzuniversität"

Wer sich "Exzellenzcluster" nennen darf, kann sich außerdem für einen weiteren Titel bewerben: Mit bis zu 15 Millionen Euro jährlich werden so genannte "Exzellenzuniversitäten" gefördert. Grundlage dafür sind allerdings mindestens zwei Exzellenzcluster.

Derzeit gibt es zehn Exzellenzuniversitäten in Deutschland, Hessen hat bislang noch keine. "Im Rennen um den begehrten Titel Exzellenzuniversität geht es um nationales Renommee und hohe Fördermittel", sagt Minister Gremmels. "Es wäre ein fantastischer Erfolg, wenn es einer hessischen Hochschulen erstmals gelänge, sich Exzellenzuniversität nennen zu dürfen."

So weit ist man an der TU Darmstadt noch nicht. Das "RAI"-Projekt zu vernünftiger KI wäre das erste "Exzellenzcluster" der Universität. Auf die Forschungsgelder ist man aber dringend angewiesen, um langfristig planen zu können. "Die ganze Arbeit und Vorbereitung kommt zu einem Punkt, an dem wir wirklich starten können", sagt Marcus Rohrbach. "Dann können wir wirklich loslaufen."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de