Schulleiterinnen und Schulleiter haben in einem Brief an Oberbürgermeister Josef den Zustand an den Frankfurter Schulen scharf kritisiert. Die Situation sei so schlecht, dass sie ihrem Bildungsauftrag kaum nachkommen könnten.

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Frankfurter Schulleiter schlagen Alarm

Die Frankfurter Schulleiterin Silke Mühl in einem Klassenzimmer
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In dem Brief, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, dem hr aber vorliegt, schreiben die Sprecherinnen und Sprecher der Schulformen, an den öffentlichen Schulen in Frankfurt herrsche ein Notstand. Es fehle an allen Ecken und Enden: an Schulgebäuden, Klassen- und Fachräumen, Konzepten für Ganztag und Inklusion. Die digitale Ausstattung der Bildungststätten gehe viel zu langsam voran. Mittlerweile seien die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass sie sich Sorgen um den Nachwuchs machten, schreiben die Schulleiter an Mike Josef (SPD).

Darauf reagiert hat der Oberbürgermeister bisher nicht, zumindest nicht öffentlich. Das OB-Büro teilte auf hr-Anfrage mit, dass der Brief angekommen sei und Gespräche mit den zuständigen Stellen liefen.

Die Schulformsprecher vertreten Schulleitungen von der Grundschule bis zur Berufsschule. Silke Mühl leitet die Heinrich-Seliger-Schule im Stadtteil Dornbusch und ist die Sprecherin für die Grundschulen. hessenschau.de hat mit ihr über den ungewöhnlichen Protest gesprochen.

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hessenschau.de: Frau Mühl, warum haben Sie diesen Brandbrief an den Oberbürgermeister persönlich geschrieben? Zuständig ist doch das Bildungsdezernat.

Silke Mühl: Wir treffen uns als Schulformsprecher seit Jahren regelmäßig mit dem Bildungsdezernat, dem Stadtschulamt und der Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD). Wir tragen dort immer und immer wieder dieselben Punkte vor und machen das alle paar Monate wieder. Eigentlich müssten wir uns gar nicht mehr treffen, sondern nur noch ein Tonband abspielen, weil es immer wieder das gleiche ist und es sich einfach gar nichts ändert.

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„Wir sind pädagogische Leitungen, keine Bauleitungen.“
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Wir Schulleiter aller Schulformen haben alle dieselben Probleme und verbringen sehr viel unserer Zeit damit und nicht mit der pädagogischen Leitung unserer Schulen. Deshalb haben wir uns diesmal an das Stadtoberhaupt, den Oberbürgermeister direkt, gewandt.

hessenschau.de: Sie können weniger pädagogisch arbeiten - was heißt das konkret?

Mühl: Ich bin Schulleitung und pädagogische Leitung, aber ich bin keine Bauleitung. Was ich aber hier machen muss den ganzen Tag, ist, immer wieder E-Mails zu schreiben, immer wieder nachzufassen: Wann bekomme ich denn den neuen Bodenbelag für den Schulhof? Wann wird denn hier dieses Wasserloch zugeschüttet? Wann kommt denn einer, der den Schimmel beseitigt? Das mache ich immer und immer und immer wieder. Das kostet einfach sehr viel Zeit. Und weil es eine sehr schlechte Kommunikation mit den Ämtern gibt, steht dann auf einmal einer da und sagt: "Ich fälle jetzt hier drei Bäume. Auf Wiedersehen." Und ich weiß von gar nichts.

hessenschau.de: Abgesehen von einer schlechten Kommunikation zwischen Schulen und Ämtern berichten viele Schulleitungen auch davon, dass immer wieder einzelne Projekte angefangen und nicht zu Ende gebracht werden. Wie ist da Ihre Erfahrung?

Mühl: Ich bin seit 2007 an meiner Schule, der Heinrich-Seliger-Schule. Seitdem warten wir auf eine Sanierung der Toiletten in der Turnhalle. Alleine für dieses Projekt ist jetzt der vierte Architekt tätig. Die bekommen ja alle, nehme ich an, auch Geld dafür. Immer wieder heißt es: Jetzt passiert was, jetzt passiert was. Und dann passiert einfach doch wieder nichts. Es ist kein Ende in Sicht.

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„Am schlimmsten ist für mich, dass ich die Kinder ständig enttäuschen muss.“
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Egal, was man hier beantragt: Es dauert Jahre, und es passiert erst mal nichts. Außer dass es irgendwann genehmigt wird und dann immer noch nichts passiert. Wir Schulleiterinnen und Schulleiter sind alle extrem frustriert. Man kann auch nichts anderes sein, wenn man sich über so viele Jahre immer wieder bemüht, anfragt und nichts passiert. Für mich ist aber am schlimmsten, dass ich die Kinder ständig enttäuschen muss.

hessenschau.de: Wie meinen Sie das?

Mühl: Ich arbeite ja an einer Grundschule und habe regelmäßige Kinderkonferenzen. Ich traue mich schon gar nicht mehr, welche zu machen. Die Kinder überlegen sich da etwas, zum Beispiel was sie gerne für den Schulhof hätten. Das besprechen wir gemeinsam, und ich beantrage das dann. Dann fragen mich die Kinder immer: Wann kommt das, wann kommt das? Die Kinder nehmen ab der zweiten Klasse an der Kinderkonferenz teil. Wenn sie in der vierten Klasse ausgeschult werden, gibt es immer noch keine Rutsche und immer noch keine Schaukel. Das geht über Jahre und Jahrzehnte. Partizipation von Kindern ist hier ganz schwierig. Ich muss mich dann rechtfertigen. Die Kinder verstehen es nicht, wenn ich sage: Die Stadt Frankfurt macht leider nichts.

hessenschau.de: Was sind aus Ihrer Sicht die gravierendsten Probleme an den Frankfurter Schulen? Sie schreiben in dem Brief an Oberbürgermeister Josef ja sogar, dass Sie zum Teil Ihrem gesetzlichen Bildungsauftrag nicht mehr nachkommen können.

Mühl: Es fehlt an so vielen Dingen: an der Ausstattung, an Schulgebäuden, Fach- und Klassenräumen. Viele Schulen sind zu klein und überfüllt. Wenn es an einer weiterführenden Schule zum Beispiel keinen Chemieraum gibt, weil der aufgelöst wurde, damit darin noch eine Schulklasse sitzen kann, dann kann man dort auch keine Versuche machen. Alles, was eigentlich im Lehrplan vorgesehen ist, findet dann einfach nicht statt.

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„Eine Lehrkraft aus dem Hochtaunuskreis sagte: Sorry, das ist ja wie im Mittelalter! “
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Wir haben auch keine Differenzierungsräume für die Inklusion. Wer es hier in der Klasse mit 25 Schülern nicht schafft, der wird eben auf dem Flur beschult. Es gibt auch keine Räume für pädagogisches Personal, oft gibt es keine Sozialräume, Lehrerzimmer sind viel zu klein. Die Teilhabeassistenten, die die Schulen haben, sind da noch gar nicht mitgedacht.

hessenschau.de: Wie sieht es mit der digitalen Ausstattung aus? Ist das inzwischen etwas besser geworden?

Mühl: Auch damit geht es viel zu langsam voran. Vieles ist nicht zu Ende gedacht. Von den digitalen Tafeln an unserer Schule zum Beispiel funktioniert nur die Hälfte. Dann hat bei der Stadt wieder der Dienstleister für IT gewechselt, das heißt wir wissen nicht, ob das überhaupt jemals nochmal nachgebessert wird. Kein einziger Lehrer bei uns ist bisher fortgebildet. Von einer wirklich guten digitalen Ausstattung sind wir noch weit entfernt.

hessenschau.de: Sie schreiben in Ihrem Brief an den Oberbürgermeister auch, dass Sie sich Sorgen um den Nachwuchs an Lehrkräften und Schulleitungen in Frankfurt machen.

Mühl: Es ist einfach denkbar unattraktiv in Frankfurt. Es fehlen ja jetzt schon viele Schulleiterinnen und Schulleiter. Immer wieder geben auch welche ihren Job zurück. Frankfurt ist die einzige Kommune in Hessen, von der wir wissen, dass man zum Beispiel nicht von zu Hause aus auf die Daten der Schulrechner zugreifen kann. Das heißt, dass keiner von uns Schulleitern im Homeoffice arbeiten kann, egal ob wir krank sind, Corona haben oder ob wir einfach am Wochenende nicht noch mal 20 Kilometer in die Schule fahren möchten.

Ich persönlich habe kein eigenes Büro, weil wir gar keinen Platz haben. Wir sitzen zu dritt in einem Raum. Das alles führt dazu, dass kaum jemand mehr eine Schulleitung übernehmen möchte. Auch Lehrkräfte zu bekommen, ist schwer in Frankfurt. Ich hatte jüngst Bewerber aus dem Hochtaunuskreis. Die haben sich das hier angeguckt und gesagt: "Sorry, das ist ja wie im Mittelalter. Mit der Ausstattung haben wir nicht einmal im Referendariat gearbeitet." Darauf haben solche Kolleginnen und Kollegen gar keine Lust. Und dann stehen wir hier.

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