Rund 50 Teilnehmende kamen bei der gemeinsamen Demo auf dem Goetheplatz in Frankfurt zusammen.

Der Krieg im Nahen Osten sorgt dafür, dass auch in Hessen die Menschen auf die Straße gehen. Meistens sind es entweder Pro-Israel- oder Pro-Palästina-Demos. In Frankfurt gab es nun eine gemeinsame Kundgebung. Warum, erklären die Veranstalter hier.

Videobeitrag

Video

Gegen den Hass – Juden und Muslime demonstrieren gemeinsam

hs1645_29.11.
Ende des Videobeitrags

Die Frankfurter Jüdin Elishewa Patterson und der Muslim und Imam Khaled El Sayed haben am Mittwoch auf dem Frankfurter Goetheplatz eine gemeinsame Demo von Juden und Muslimen in Hessen veranstaltet - die erste Kundgebung dieser Art seit Beginn des Kriegs im Nahen Osten am 7. Oktober. Rund 50 Menschen fanden sich nach hr-Informationen gegen 17 Uhr dort zusammen.

Mit der Demo wollten die Veranstalter ein erstes Zeichen gegen die Polarisierung in der Debatte über den Krieg in Israel und im Gaza-Streifen setzen. Die Veranstalter der Demonstration appellierten vorab im Interview, die Menschenwürde zu achten und respektvoll unterschiedliche Meinungen zum Nahost-Konflikt zuzulassen.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen

hessenschau.de: Warum haben Sie sich entschlossen, gemeinsam eine jüdisch-muslimische Demo zu veranstalten?

Elishewa Patterson: Wir hatten beide bis zum 7. Oktober den Traum, in einer Welt mit gleichen Grundwerten zu leben. Dann mussten wir die barbarischen Untaten der Hamas mitansehen, aber auch ihre Nachwirkungen. Aus der Zivilgesellschaft gab es keine Solidaritätswelle, kein kollektives Zeichen, dass wir Juden Teil der Gesellschaft sind.

Stattdessen müssen wir aushalten, dass auf den Straßen "Tod den Juden" gerufen wird und dass antisemitische Übergriffe zugenommen haben. Und wir müssen aushalten, dass der Judenhass instrumentalisiert wird, um Rassismus zu legitimieren.

hessenschau.de: Weil es gerade so viel um den Antisemitismus von Geflüchteten und Muslimen geht?

Patterson: Es wird so getan, als hätten wir keine Nazis mehr im Land, es wird nur noch von Migration und vom importierten Antisemitismus gesprochen. Khaled und ich sind fassungslos über das Schwarz-Weiß-Denken, das um sich greift, und darüber, dass die Menschlichkeit so wenig zählt. Aus dieser Situation heraus ist die Idee entstanden, gemeinsam ein Zeichen dagegen zu setzen.

Khaled El Sayed: Beim Nahost-Konflikt sterben etliche Menschen gerade. Man beobachtet hier, dass die Communities sich positionieren und sagen: Das sind meine Leute, denen darf nichts passieren, bei den anderen hat es seine Berechtigung. Das ist falsch.

Wir wollen mit der Aktion zeigen: Wir trauern um alle, ob auf israelischer oder auf palästinensischer Seite. Gerade in Krisenzeiten, wo die Menschen nicht wissen, wie sie sich einordnen und orientieren können, und wo es viel Manipulation gibt, glauben wir an die Würde des Menschen und an das Grundgesetz.

Die Frankfurter Jüdin Elishewa Patterson und der Muslim und Imam Khaled El Sayed sind in einem Büro und blicken in die Kamera

hessenschau.de: Herr El Sayed, Sie sind Imam und Seelsorger. Wie ist die Stimmung unter den Muslimen?

El Sayed: Es ist ja schon lange so, dass man eigentlich Muslime meint, wenn man über misslungene Integration spricht. Muslime fühlten sich ohnehin schon nicht wertgeschätzt und angenommen in der Gesellschaft. Seit dem 7. Oktober hat sich das noch verstärkt.

hessenschau.de: Inwiefern?

El Sayed: Viele muslimische Jugendliche erzählen mir, dass sie gerade kriminalisiert, sofort mit der Hamas in Zusammenhang gebracht werden, weil sie sich mit den palästinensischen Opfern solidarisieren. Zum Beispiel, indem sie ein Palästinensertuch tragen. Das ist Schwarz-Weiß-Denken. Nicht jeder, der sich mit den palästinensischen Opfern solidarisiert, ist gleich Hamas-Unterstützer.

Muslime im Allgemeinen werden gerade in Deutschland oft als Antisemiten bezeichnet. Das machen Politiker genauso wie viele andere, und das stimmt so einfach nicht.

hessenschau.de: Aber es gibt ja durchaus pro-palästinensische Demos in Deutschland mit antisemitischen Parolen. Antisemitische Übergriffe haben zugenommen.

El Sayed: Ja, es gibt Antisemitismus bei Muslimen. Aber das sind nicht die Muslime im Allgemeinen. Dass einige hundert Muslime die Übergriffe der Hamas gefeiert haben, bedeutet nicht, dass die 5,6 Millionen Muslime in Deutschland das auch so sehen.

Audiobeitrag

Audio

Demo zum Nahost-Konflikt: "Will mich streiten, ohne dass mir der Tod gewünscht wird"

Demonstranten mit Israel-Fahnen auf dem Frankfurter Römerberg
Ende des Audiobeitrags

Mir ist auch wichtig zu sagen: Wenn ich als Muslim die Politik der israelischen Regierung kritisiere, heißt das nicht gleich, dass ich Antisemit bin. Ich kritisiere Politiker, egal wo sie sitzen, den türkischen Präsidenten Erdogan genauso wie den König von Jordanien, den amerikanischen Präsidenten oder die israelische Regierung. Mein Eindruck ist, dass der liberalen offenen Gesellschaft immer weniger Bedeutung beigemessen wird.

hessenschau.de: Wie beurteilen Sie antisemitische Äußerungen von Muslimen, Frau Patterson?

Patterson: Der muslimische Antisemitismus ist meiner Meinung nach meist auf Israel und nicht sehr auf die Religion bezogen. Aber das vermischt sich. Wenn die jungen muslimischen Menschen in ihrer Bubble sind und in den sozialen Medien "durchgeballert" werden mit Bildern von toten Kindern, dann ist es schwer, differenziert zu bleiben.

Wir müssen mit den jungen Menschen mit Migrationsgeschichte sprechen, die selbst schon oft Rassismus erlebt haben. Aber nicht indem wir sagen: Ihr habt keine Ahnung. Sondern eher so: Guck mich mal an, ich bin Jüdin - bin ich dein Feind, bin ich diejenige, deren Tod du dir wünschst?

hessenschau.de: Erreichen Sie mit der Demo die jungen Menschen, die Sie erreichen wollen?

Patterson: Wahrscheinlich nicht. Deshalb kann die Demo nicht das Ende sein, sie muss der Anfang sein. Wir wollen mit den Schulen ins Gespräch kommen.

hessenschau.de: Ist aus Ihrer Sicht eine Voraussetzung für einen sinnvollen Dialog die Einigkeit in wesentlichen Fragen?

Patterson: Khaled und ich sind sehr unterschiedlich. Wenn wir lange genug sprechen, können wir uns bestimmt auch anfangen zu streiten. Ich will mich auch streiten dürfen, aber dabei nicht entmenschlicht werden. Wir sollten alle mal kurz innehalten und unsere Haltung als Mensch überprüfen.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen