Ein Arzt behandelt eine Long-Covid-Patientin, die auf einer Liege liegt.

Erschöpfung, Schmerzen, Herzprobleme: Für Long-Covid-Patienten gibt es nur wenige Anlaufstellen – und die sind auch noch völlig überlaufen. Auch wer nach einer Impfung an ähnlichen Symptomen leidet, muss oft lange nach Hilfe suchen.

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Kaum Anlaufstellen für Long-Covid-Patienten

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André F. ist müde. Auch fast drei Monate nach einer milden Corona-Erkrankung ist der 52-Jährige aus der Wetterau noch ständig erschöpft, hat Kopfschmerzen, kann sich nicht konzentrieren. Long-Covid, das habe sein Hausarzt inzwischen festgestellt, aber ihm ansonsten wenig helfen können. "Mein Alltag besteht derzeit aus Arbeiten und Schlafen", sagt er.

Der Familienvater ist inzwischen aber nicht nur körperlich erschöpft, sondern auch innerlich ausgezehrt davon, wie schwer Menschen wie er derzeit an medizinische Hilfe kommen. Weil das Krankheitsbild noch neu und schwer zu fassen ist, würde er gerne in eine Spezialambulanz gehen. Aber: "Ich habe bei einer angerufen und mir wurde gesagt, dass ich frühestens im Winter einen Termin bekommen kann."

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Nur in fünf Städten Post-Covid-Ambulanzen in Hessen

Damit ist er nicht allein. Eine hr-Umfrage unter den 23 größten Kliniken in Hessen zeigt: Erstens gibt es hessenweit nur eine Handvoll Spezialambulanzen für Post-Covid-Patienten. Und zweitens sind die, die es gibt, völlig überlaufen. Das Offenbacher Sana Klinikum meldet etwa vier bis fünf Monate Wartezeit, auf der Liste des St. Josefs-Hospitals in Wiesbaden warten derzeit rund 300 Menschen. Andere Kliniken berichten ähnliches.

Eine besonders große Versorgungslücke klafft offenbar in Nord- und Osthessen: Nur in Rotenburg an der Fulda (Hersfeld-Rotenburg) gibt es eine Long-Covid-Ambulanz. Im Raum Kassel existiert bisher gar keine zentrale Anlaufstelle, laut Angaben des Klinikums Kassel wird derzeit ein Angebot für Kinder mit Langzeitfolgen aufgebaut.

Wie viele Betroffene gibt es?

Die Infektion ist überstanden – doch die Symptome sind geblieben: Wie viele Menschen das betrifft, kann derzeit niemand genau beziffern. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) spricht von einer "lückenhaften Datenlage". Je nach Untersuchung und Methodik schwankt der Anteil von erwachsenen Covid-Erkrankten mit Langzeitfolgen in Studien zwischen 7,5 und 41 Prozent.

Derartige Hochrechnungen basieren zum Beispiel auf Krankschreibungsdaten oder Stichproben aus Reha-Zentren oder Arztpraxen. Auch das hessische Sozialministerium und die Deutsche Rentenversicherung können auf Anfrage keine regionalen Zahlen zu Langzeiterkrankungen oder Reha-Behandlungen im Zusammenhang mit Covid-19 nennen.

Arzt: "Stetig wachsende Bevölkerungsgruppe"

Der Marburger Kardiologe Bernhard Schieffer leitet die Post-Covid-Ambulanz am Uniklinikum Gießen und Marburg (UKGM) mit Sitz in Marburg, wo bisher rund 1.000 Patientinnen und Patienten behandelt wurden. Auch hier ist die Warteliste lang. "Es handelt sich leider um eine stetig wachsende Bevölkerungsgruppe", so Schieffer.

Die Symptome, die in Marburg behandelt werden, gehen laut Schieffer von kleinen, harmlosen Beschwerden bis hin zu schwersten Komplikationen und Organschädigungen nach Langzeit-Intensivaufenthalten. Die Diagnose sei oft herausfordernd, die Behandlung sehr individuell.

Marburger Post-Vac-Ambulanz

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Long-Covid-Behandlung in Hessen: Nur wenige Anlaufstellen

Ein Arzt behandelt eine Long-Covid-Patientin, die auf einer Liege liegt.
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Eine Besonderheit in Marburg ist zudem: Hier werden nicht nur Post-Covid-Betroffene behandelt, sondern auch Menschen, die nach einer Corona-Impfung an ähnlichen Symptomen leiden. 220 Geimpfte wurden bisher in der Marburger Post-Vac-Spezialsprechstunde behandelt. Auch in anderen hessischen Kliniken gibt es einige solcher Fälle, die meisten haben jedoch keine gesonderte Anlaufstellen dafür. Auch zum Post-Vac-Syndrom ist die Zahlen- und Forschungslage bisher dürftig. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte erst kürzlich in einem Tweet, das Syndrom besser zu erforschen.

Der Marburger Kardiologe Schieffer schätzt den Anteil der Geimpften mit Post-Vac-Folgen auf 0,02 Prozent. "Es handelt es sich um eine kleine, aber bedeutsam erkrankte Gruppe." In Marburg wurde die erste Anlaufstelle für Betroffene in ganz Hessen geschaffen, die Nachfrage ist hier besonders hoch: Rund 3.500 Namen stehen laut UKGM auf der Warteliste, sie kommen aus ganz Deutschland und teilweise sogar anderen europäischen Ländern sowie dem asiatischen und arabischen Raum.

Post-Vac-Patientin: Nicht ernst genommen gefühlt

Lea Nientiedt aus Münster in Nordrhein-Westfalen ist eine der Betroffenen. Die 33-Jährige berichtet, dass sie seit etwa einem Jahr an Herz-Kreislauf-Beschwerden leide. Zuerst seien es unerklärliche Symptome gewesen, die auch auf andere Krankheitsbilder passen würden. Lange sei sie damit nicht ernst genommen worden, sowohl im persönlichen Umfeld als auch von Medizinern. "Man rennt von Arzt zu Arzt und ist sich selbst überlassen", sagt Nientiedt.

Nachdem schließlich ein Antikörper-Test einen möglichen Zusammenhang mit der Impfung gezeigt hätte, habe für sie überhaupt nicht zur Diskussion gestanden, die 300 Kilometer lange Fahrt auf sich zu nehmen. "Ich glaube, dass sowohl Post-Vac als auch Long-Covid viel komplexere Krankheitsbilder darstellen, die nur von Experten, die sich alles umfassend anschauen, betreut werden können."

"Wir brauchen eine dezentrale, bundesweite Netzwerkstruktur"

Auch Bernhard Schieffer erklärt: Weil das Spektrum so groß und schwer zu fassen ist, sei es wichtig, Menschen sowohl bei Post-Covid- als auch Post-Vac interdisziplinär zu betreuen. In Marburg seien beispielsweise Lungenfachärzte, Neurologinnen, Kardiologen und Psychologinnen involviert.

Die starke Nachfrage liege seiner Ansicht nach daran, dass es schlicht und einfach zu wenige Anlaufstellen für Erkrankte gebe. Dass so viele Menschen betroffen sein könnten, darauf seien Politik und Gesundheitswesen nicht gefasst gewesen. "Wir sind von dieser Dimension alle etwas überrollt worden." Schieffer fordert deshalb, dass eine dezentrale, bundesweite Netzwerkstruktur aufgebaut werden sollte, die sich um diese Patienten kümmert.

Weitere Informationen

Long-Covid, Post-Covid, Post-Vac

Nach einer Corona-Infektion kann es zu langanhaltenden Beschwerden kommen. Bestehen die Beschwerden länger als vier Wochen, wird von Long-Covid gesprochen, nach zwölf Wochen vom Post-Covid-Syndrom.

Häufig treten die Beschwerden nach schweren Infektionen mit Krankenhausaufenthalt auf, jedoch kann es auch nach milden Verläufen zu Langzeitfolgen kommen. Die Betroffenen leiden beispielsweise unter Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen oder Herzrasen. Wie viele Menschen nach einer Infektion Long-Covid bekommen, wird in Studien sehr unterschiedlich beziffert.

In seltenen Fällen treten ähnliche Symptome auch bei Menschen auf, die keine Corona-Infektion, aber eine Impfung hinter sich haben. Dann spricht man vom Post-Vac-Syndrom.

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