Schild mit der Aufschrift "Stoppt Nazis"

Rechtsextremismus ist näher ins private Umfeld gerückt - das stellen mobile Beratungsstellen gegen Rechts fest. Bei den Teams in Hessen steigt die Zahl der Anfragen laut dem aktuellen Jahresbericht. Das sei aber auch ein gutes Zeichen.

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Kampf gegen Rechts – mobile Beratungsstelle hilft in Nordhessen

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Der Job von Christopher Vogel wandelt sich - und zwar immer wieder. Vogel arbeitet im "Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus - für demokratische Kultur in Hessen" (MBT Hessen) und berät Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen engagieren wollen. 

Die Schwerpunkte änderten sich mit der Zeit, sagt Vogel. 2015 sei die Unterbringung von Geflüchteten in den Dörfern ein Fokus seiner Arbeit gewesen, während der Corona-Pandemie habe man viel zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen beraten, dann kamen die hohen Wahlergebnisse der rechten Parteien, jetzt spiele der Nahost-Konflikt eine große Rolle. Die Beratung reiche von einem Telefonat bis hin zu einer längerfristigen Prozessbegleitung.

Seit geraumer Zeit beobachte das Team der Beratungsstelle eine sinkende Hemmschwelle, sich menschenfeindlich zu äußern, so Vogel. Die aktuellen Wahlergebnisse tun ihr Übriges. "Es ist normaler geworden, rechts zu wählen", erklärt Vogel vom mobilen Beratungsteam in Kassel. 

Mobile Beratungsstelle gegen rechts

Drei Gründe, warum Rechtsextremismus ins nahe Umfeld rückt

Das bestätigt auch der Jahresbericht der mobilen Beratungsstellen gegen Rechts. Rechtsextremismus sei näher ins private Umfeld, in die Nachbarschaft und an den Arbeitsplatz gerückt, heißt es dort.

Der Bericht nennt dafür drei Gründe. Zum einen sei die AfD erfolgreicher denn je. Dazu sei aus den Corona-Protesten ein "stabiles, antidemokratisches Protestmilieu entstanden", das jede Krise verschwörungsideologisch auflade. Außerdem hätten extrem rechte Akteure vielerorts Immobilien gekauft und seien so weiter in die Sozialräume vorgedrungen.

Wesertal wehrt sich gegen Rechts

So hat es auch das Projekt aus Wesertal (Kassel) in den Jahresbericht geschafft. Der Landkreis Kassel hatte vor einem Jahr eine leerstehende Immobilie im Ortsteil Gieselwerder gekauft, um damit eine Nutzung durch Rechtsextremisten aus dem Umfeld von Meinolf Schönborn, einem mehrfach verurteilten Neonazi, zu verhindern. 

Im August wurde der Schlüssel symbolisch übergeben. Schönborn hatte ein ehemaliges Hotel 2020 zum "Gemeinschaftsprojekt für Patrioten" umfunktioniert. 

Schnell hatten sich Menschen aus der Gegend gefunden, die einen rechten Szenetreff nicht einfach hinnehmen wollten. "Das Wesertal ist bunt", sagt Silke Jordan vom gleichnamigen Verein, der sich gegen Rechts positioniert. Die Nachbarn im Hotel seien "keine normalen Mitbewohner", sagt Jordan. In regelmäßigen Abständen fänden in dem Schönborn-Hotel Aktionen statt, die Polizei beobachte die Treffen, so Jordan.

Widerstand in der Zivilgesellschaft wird schwächer

Von Anfang an hatte die Initiative in Gieselwerder Unterstützung vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und Rassismus bekommen. Das Team in Kassel feiert nun 20-jähriges Jubiläum - und berät schon ebenso lange.

Bereits beim ersten Telefonat habe das Beratungsteam ihnen Mut gemacht, sich als Gesellschaft in die Öffentlichkeit zu begeben und zu sagen: "Wir wollen das nicht", erinnert sich Jordan.

Menschen wie Jordan, die Mitglieder im Verein und die Wesertaler Bevölkerung seien geforderter denn je, das bestätigt der Bericht. Allerdings sei die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft schwächer geworden.

Silke Jordan, Vorsitzende des Vereins "Wesertal ist bunt" vor dem Haus. Auf einem großen Plakat steht neben dem Vereinsnamen "Kein Platz für Nazis"

Beratungszahlen steigen

Zeitgleich sei die Gesellschaft für rechtsextreme Ideologien anschlussfähiger geworden, beobachtet Reiner Becker vom Demokratiezentrum Hessen an der Philipps-Universität Marburg. Das zeige sich in den sozialen Medien, bei Demonstrationen auf den Straßen bis hin zum Mord an Walter Lübcke oder den rassistischen Morden in Hanau.

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„Immer mehr Menschen suchen Unterstützung, nehmen Probleme ernst und möchten sie in ihren Systemen, Vereinen und Kommunen bearbeiten.“ Reiner Becker Reiner Becker
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Die Beratung könne den Rechtsextremismus nicht besiegen, unterstütze aber genau dann, wenn Menschen vor Ort mit den Vorkommnissen nicht mehr zurechtkämen.

Mobile Beratungsstelle gegen rechts

Dass die Beratungszahlen von Jahr zu Jahr ansteigen, kann Becker bestätigen. Dabei gehe es nicht um die bloße Zahl von Beratungsfällen, sondern auch um Dauer, Intensität und Vielfalt der Anfragen. Das Beratungsnetzwerk Hessen verzeichnete im vergangenen Jahr kaum einen Rückgang bei den sich anhäufenden Beratungsfällen - trotz langer Prozessbegleitung.

Für Becker ist das auch eine gute Nachricht, weil immer mehr Menschen Unterstützung suchten, die Probleme ernst nähmen und sie in ihren Systemen, Vereinen und Kommunen bearbeiten wolten.

Berater Vogel hat in diesem Jahr bereits 35 neue Fälle gezählt, "dazu zehn bis 20 längerfristige Beratungen aus den Vorjahren". Bearbeitet würde diese von insgesamt acht hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Kassel und Fulda.

Auf die vergangenen 20 Jahre blickt er mit Stolz zurück - doch das Jubiläum zum 50. möchte er eigentlich nicht mehr feiern, wie er sagt: "Es wäre schön, wenn es uns nicht mehr geben müsste."

Weitere Informationen

Mobile Beratungsteams gegen Rechtsextremismus  

Bundesweit gibt es rund 50 mobile Beratungsteams. Sie sind im Dachverband “Bundesverband Mobile Beratung (BMB)” organisiert. In Hessen gibt es zwei Teams: in Nordhessen und für Osthessen und den Vogelsberg. Sie sind Ansprechpartner für Einzelpersonen, Organisationen, Schulen, Betriebe, Politiker*innen oder zivilgesellschaftliche Bündnisse, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen engagieren wollen.  

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