Mann läuft vor Geschäft entlang, oben den Schrifzug "Corona Test"

Mindestens 49 Millionen Euro haben Testzentren in Hessen zu viel abgerechnet, die Dunkelziffer könnte sogar deutlich höher sein. Das genaue Ausmaß des möglichen Betrugs kann immer noch niemand überblicken.

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Das Geschäft mit den Corona-Testzentren

Eine Frau bekommt einen Rachenabstrich an der Corona-Teststation am Hauptbahnhof.
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Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Gerichtsverfahren. In Hessen häufen sich die Berichte über Betrug im Zusammenhang mit Corona-Test-Zentren. Vier Jahre Haft gab es beispielsweise in Kassel für Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe.

Auch in Gießen wurde bereits ein Mann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt: Er hatte PCR-Tests abgerechnet, die nie im Labor untersucht worden waren. Und erst vorige Woche wurde ein mutmaßlicher Corona-Test-Betrüger in Mittelhessen verhaftet. Man hatte mehr als 350.000 Euro Bargeld bei ihm gefunden.

Klar ist: Mit Corona-Tests ließ sich im Laufe der Pandemie schnelles Geld verdienen. Und wer dabei betrügen wollte, hatte es offenbar nicht sonderlich schwer. Doch niemand kann bisher sagen, wie viel genau betrogen wurde.

49 Millionen Euro an Rückforderungen

Zuständig für die Abrechnungen und nun auch für die Rückforderungen ist die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen. Die KV teilt mit: Im Laufe der Pandemie wurden insgesamt 1,3 Milliarden Euro an Corona-Teststellen in Hessen ausgezahlt. Bisher habe man davon 49 Millionen Euro zurückgefordert.

Ein Corona-Testzentrum in Stuttgart (Baden-Württemberg). (dpa)

2022 hatte die KV noch von 4,9 Millionen Euro an Rückforderungen gesprochen. Diese Zahl habe sich mittlerweile verzehnfacht, so die KV. Man führe Stichproben und "Auffälligkeitsprüfungen" durch, etwa bei Rechenfehlern oder wenn eine Teststelle ungewöhnlich viele Tests abgerechnet habe. Mittlerweile habe die KV 52 Verdachtsfälle an Ermittlungsbehörden weitergegeben.

Weil aber eine engmaschige nachgelagerte Prüfung durch die Testverordnung der Bundesregierung nicht vorgesehen ist, geht die KV von einer hohen Dunkelziffer an möglichen Betrugsfällen aus.

Keine genauen Zahlen zu Ermittlungen

Das Landeskriminalamt (LKA) kann ebenfalls keine genauen Zahlen bezüglich Corona-Test-Betrug in Hessen nennen. Die Rede ist lediglich "von polizeilichen Vorgängen im niedrigen zweistelligen Bereich". Das LKA verweist zudem auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften. Hier wird allerdings mitgeteilt: Corona-Testbetrug werde statistisch nicht erfasst.

Immerhin: Laut WDR schätzt das Bundeskriminalamt den bundesweiten Corona-Test-Betrug auf etwa 1,2 Milliarden Euro Schadenssumme. Tatsächlich zurückgefordert worden sei davon aber bisher nur ein Bruchteil.

Bundesgesundheitsministerium will Frist verlängern

Das Gesundheitsministerium in Wiesbaden verweist auf die Verantwortung der KV und die des Bundes. Das Bundesgesundheitsministerium wiederum teilt mit: Man führe keine Schätzungen dieser Art durch und habe auch keine Erkenntnisse zu Anzahl und Umfang der laufenden Ermittlungsverfahren.

Aber: Man wolle mit "geeigneten rechtlichen Vorgaben die vollständige Aufdeckung und Verfolgung strafrechtlich relevanter Sachverhalte" ermöglichen. Derzeit werde in diesem Zusammenhang auch geprüft, ob die Aufbewahrungsfrist für Abrechnungsunterlagen verlängert werden kann. Diese läuft eigentlich Ende des Jahres aus. Auch dem Ministerium erscheine die aktuelle Regelung zu kurz, heißt es.

Teststellen-Boom ab 2021

Inzwischen ist bekannt: In der kurzfristig aus der Taufe gehobenen Corona-Test-Branche herrschte zeitweise eine Art Goldgräber-Stimmung. Waren Corona-Tests kurz nach Pandemie-Ausbruch noch Mangelware und basierten zudem immer auf einer Laborauswertung, begann im Frühling 2021 ein wahrer Teststellen-Boom.

Es gab kostenlose Schnelltests für alle, ausgewertet direkt vor Ort im Testzentrum, bezahlt vom Bundesgesundheitsministerium. 11,50 Euro gab es dafür pro Test, zeitweise sogar noch etwas mehr. Im April 2021 sprach der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits von 15.000 Schnellteststellen in Deutschland.

Keinerlei Anforderungen für Betreiber

Viele Corona-Testzentren wurden von etablierten medizinischen Dienstleistern betrieben: vom Roten Kreuz oder der Caritas, von Apotheken oder Altenhilfe-Trägern. Aber eben nicht nur.

Die Anforderungen waren nämlich nicht nur niedrig. Sie waren quasi nicht existent. Keinerlei medizinisches, technisches oder administratives Vorwissen wurde für die Eröffnung einer Teststelle gefordert. Noch nicht mal ein polizeiliches Führungszeugnis.

Testen konnte also jeder, der bereit war, es zu tun, und schnell genug die Infrastruktur dafür aufbauen konnte.

Kassenärztliche Vereinigung: "Von Anfang an davor gewarnt"

Karl Roth von der KV Hessen sagt: Die Kassenärztlichen Vereinigungen, auch in Hessen, hätten schon von Anfang an davor gewarnt, dass die gesetzlichen Vorgaben viel zu lasch seien – doch das Gesundheitsministerium habe darauf nicht gehört.

"Es war von vornherein klar und absehbar, dass durch eine quasi fehlende Prüfung der Eignung und den Verzicht auf eine engmaschige nachgelagerte Prüfung dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet würden werde", so Roth. Genau dies sei nun offenbar passiert.

Die aus Sicht der KV mangelhafte Regulierung zeige sich nun auch im Nachgang ganz praktisch, etwa bei den eingereichten Abrechnungen. "Kraut und Rüben" sei das, meint Roth und erklärt: Man bekomme die Abrechnungen von manchen Teststellen-Betreibern per Excel-Listen, von anderen als eingescannte Zettel, andere wiederum würden die unterschriebenen Originaldokumente in Papierform schicken.

Drogen-Prozess in Marburg offenbart Details aus Testcenter-Betrieb

Aufschlussreiche Einblicke, welche Klientel die Aussicht aufs schnelle Geld auch anlockte, gibt momentan ein Prozess in Marburg gegen den 25 Jahre alten Leiter einer Teststelle. Verurteilt wurde er allerdings nicht wegen Corona-Testbetrugs, sondern wegen Drogenhandels im großen Stil.

Im Verfahren stellte sich heraus: Besonders nötig hatte der junge Mann die ihm vorgeworfene Dealerei gar nicht. In den vergangenen Jahren hatte er mit dem Testzentrum mehrere hunderttausend Euro verdient.

Im Prozess wurde unter anderem besprochen, wie er denn die "Tüten voller Bargeld" unterscheiden konnte, mit denen offenbar hantiert wurde: die für die Corona-Tests und die für die Drogen-Deals.

Auf die Frage der Staatsanwältin, was er denn nun eigentlich den ganzen Tag lang machen würde, wo es doch jetzt gar keine Bürgertests mehr gibt, antwortete er im Verfahren: Er müsse noch so einiges nacharbeiten – zum Beispiel Abrechnungen an die Kassenärztliche Vereinigung.

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