Audio

Streit um Grenzkontrollen erreicht hessische Regierung

Boris Rhein und Tarek Al-Wazir

Je näher die Hessen-Wahl rückt, desto hörbarer knirscht es in der schwarz-grünen Koalition. Jetzt stellt sich Vize-Ministerpräsident Al-Wazir gegen Regierungschef Rhein und dessen Forderung nach scharfen Grenzkontrollen.

Als CDU und Grüne im Jahr 2014 die erste schwarz-grüne Landesregierung in einem Flächenland stellten, galt das als wegweisend für pragmatische Politik in Deutschland. Differenzen gab es zumindest nach außen hin lange Zeit nicht; das goutierten auch die Wählerinnen und Wähler beider Lager: Trotz internationaler und nationaler Krisenstimmung lag die Zufriedenheit mit der Regierung im jüngsten hr-Hessentrend vom März 2023 bei 52 Prozent - Werte, von denen die Ampel aktuell nur träumen kann.

Doch aus disziplinierten Partnern werden wenige Monate vor der Landtagswahl im Oktober langsam aber sicher erkennbare Widersacher. Heizungsstreit, Streit um die Ausrichtung der CDU - der Ton wird rauer. Am Sonntag hat Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) nun erstmals deutliche Kritik an Landeschef Boris Rhein (CDU) geübt. Anlass war ein Interview von Rhein in der Bild am Sonntag (BamS), in dem dieser bundesweite Grenzkontrollen gegen illegale Migration forderte.

Al-Wazir: Forderung widerspricht der europäischen Idee

Ein solcher Vorschlag sei "grundfalsch", widerspreche der europäischen Idee und sei obendrauf noch wirtschaftlich gefährlich, teilte Al-Wazir am Sonntag in einer Pressemitteilung mit. "Wir müssen alles dafür tun, die Binnengrenzen innerhalb Europas offenzuhalten", sagte er dem hr. Der Grünen-Politiker bezeichnete den Wegfall ebenjener Kontrollen als "eine der großen Errungenschaften der europäischen Einigung".

Dass nun "aus der Partei Helmut Kohls aus Angst vor einer am Rande des politischen Spektrums stehenden Partei solche Forderungen erhoben werden", so Al-Wazir, sei schlicht unverständlich und widerspreche dem europäischen Gedanken eklatant.

Ex-Kanzler Kohl ist der einzige CDU-Politiker, den er in seiner Mitteilung beim Namen nennt. Der Name von Boris Rhein, auf den die Kritik erkennbar zielt, taucht darin nicht auf. Der Regierungschef dürfte sich aber logischerweise angesprochen fühlen.

Hintergrund: Die anstehende Wahl in Hessen ist die erste, vor der die Grünen einen klaren Führungsanspruch formuliert haben. Bei seiner Kritik an Rheins Forderung nach Grenzkontrollen tritt Al-Wazir laut Mitteilung daher ganz offiziell als "Ministerpräsidentenkandidat" auf. Neben Rhein und Al-Wazir hat auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser Anspruch auf das Amt erhoben. Sie tritt als Spitzenkandidatin der SPD in Hessen an.

Rheins Kritik zielte gegen SPD-Kandidatin Faeser

Nancy Faeser sitzt an einem Redepult.

Gegen Faeser zielte auch Rheins BamS-Interview. Darin forderte er bundesweite Grenzkontrollen nach bayrischem Vorbild und härtere Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung: "Der Bund muss endlich dafür sorgen, dass weniger Menschen illegal nach Deutschland kommen. Dazu brauchen wir flächendeckende Kontrollen an den deutschen Außengrenzen."

Verantwortlich dafür sei nun mal die Bundesinnenministerin, sagte Rhein. Faeser solle "endlich die bundesweiten Grenzkontrollen durch die Bundespolizei anordnen", forderte der CDU-Politiker – "zumindest an den besonders belasteten Binnengrenzen".

SPD: "Dafür hat Rhein das falsche Amt"

Bei der hessischen SPD stoßen die jüngsten Aussagen des Regierungschefs auf Unverständnis. "Es ist billig, wie Boris Rhein versucht, von den Problemen in Hessen abzulenken", teilte der Fraktionsvorsitzende Günter Rudolph am Sonntag mit. "Angesichts der schlechten Bilanz in Hessen scheint Boris Rhein lieber über europäische Außenpolitik philosophieren zu wollen, aber dafür hat er schlicht das falsche Amt. Hessen hat keine Außengrenze, Hessen hat Fachkräftemangel."

Gegner auf Bundesebene, Gegner auch im Land?

Zuletzt hatte auch der hessische Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner den Koalitionspartner gewarnt, seinen bisherigen Kurs für eine Linie nach Vorbild des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz und Bayerns CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder aufzugeben. Merz hatte die Grünen als Hauptgegner der CDU im Bund bezeichnet - und damit größerere Irritationen auch im hessischen Parlament provoziert.

Rhein selbst hatte die Zusammenarbeit mit den Grünen noch vor Kurzem als geradezu harmonisch bezeichnet, mit Blick auf die Hessen-Wahl aber gesagt: Die Grünen hätten einen Dreikampf gewollt, "jetzt bekommen sie ihn". Diesen Ball hat Al-Wazir nun zurückgespielt.

Weitere Informationen

Landtagswahl 2023 auf hessenschau.de

Ergebnisse der Hessen-Wahl:

Aktuelles zur Landtagwahl:

Alle Informationen im Wahl-Dossier:

Ende der weiteren Informationen
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen